Clemens Anwander

Des Orakels Richterspruch


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war, schwingend, und schon hatten sich alle Köpfe nach ihr gedreht. Naileen lächelte. Sie hatte Geduld bewiesen. Anders als die Mädchen, die einst ihre Freundinnen gewesen waren, hatte sie sich nicht dem erstbesten Kerl hingegeben, der ihr Komplimente gemacht und um ihre Hand angehalten hatte. Sie hatte immer irgendwie gewusst, dass der besondere, für sie perfekte Mann, irgendwo auf sie wartete. Dass ihr Pendant, das ihr so immens wichtig war, ausgerechnet der König Sekoyas war, hatte sie sich aber selbst im Traum nicht vorgestellt. Doch Degaar hatte ihr Herz gewonnen, und sie war Königin Sekoyas geworden. Ja, das Glück war ihr hold gewesen, einzig eines fehlte noch zu ihrer vollkommenen Freude. Doch darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie hatte die Frauen der Fürsten, die zum Kolloquium erschienen waren, lange genug warten lassen. Es war Brauch, dass während die Fürsten in ihrem Kreise zusammensaßen, auch deren Frauen dies taten und sich ebenfalls über Dinge des Reiches austauschten. Zwar hatten diese Gespräche zumeist nicht dieselbe politische Tragweite wie jene, welche die Männer führten, doch auch die Frauen waren nicht ohne Macht und Einfluss. Während der König und seine Fürsten den großen Fragen des Staates nachgingen, beschäftigte sich die Frauenrunde normalerweise mit Einzelfragen. So war es im letzten Jahr beispielsweise einmal passiert, dass die Damen entschieden hatten, dass in Fdajkar unbedingt eine neue Schule gebaut werden musste, nachdem Hjolga, Frau Harson Jannicks, die zusammen Fdajkar und die umliegenden Gebiete verwalteten, von dem katastrophalen Zustand der alten erzählt hatte. Das interessante dabei war, dass die Männer sich aus finanziellen Gründen eigentlich gegen den Bau neuer Bildungseinrichtungen ausgesprochen hatten. Nach einer kurzen Diskussion zwischen den beiden Gesprächskreisen war dann aber doch das benötigte Gold zur Verfügung gestellt worden. Naileen war auf diesen Erfolg noch heute stolz, hatte es sie doch einiges an Überzeugungskraft gekostet, Degaar dazu zu bringen, die Staatskasse zu öffnen. Naileen war so sehr in Gedanken vertieft, dass es sie überraschte, als ihr plötzlich die Luft wegblieb.

      »Sanfter Ruika, oder willst du mich umbringen?«

      Die junge Dienerin, welche ungefähr zur gleichen Zeit wie sie selbst auf den Königshof gekommen war, lockerte die Schnüre etwas.

      »Verzeihung. Doch der Mieder muss streng sitzen, sonst sieht er nichts gleich.«

      Naileen nickte geistesabwesend, es war schon höchste Zeit aufzubrechen. Schnell zog sie das lavendelfarbene Hemd, dessen Kragen ihr Ruika flachlegte, über und schlüpfte vorsichtig in den schleppenden Rock. Sie strich die dabei entstandenen Falten flach, genauso wie sie es einst gelernt hatte, nur mit dem Unterschied, dass sie die edlen Gewänder nun selbst trug. Anschließend stieg sie in ihre offenen Halbschuhe und machte sich auf den Weg zu ihrem Treffen, und das, obwohl sie sich eigentlich nicht gut fühlte. Seit ein paar Tagen hatte sie bereits diesen Schwindel und ausgerechnet heute war ihr auch noch leicht übel geworden. Doch dies galt es jetzt zu vergessen und ihre Aufmerksamkeit auf das folgende Treffen zu lenken. Nach einigen Treppen abwärts, der Wohnbereich des Königs und der Königin lagen in den oberen Stockwerken des Palastes, war sie auch schon in dem großen Saal angekommen. Ruika, die ihr respektvoll in einigem Abstand gefolgt war, eilte an ihr vorbei und öffnete die Tür. Die Fürstinnen standen im Raum und unterhielten sich, doch diese Gespräche verebbten sofort, als die Königin eintrat. Die Damen verneigten sich tief und Naileen, der das Ganze immer noch etwas unangenehm war, deutete schnell auf die Sessel, die rund um einen großen Tisch aufgestellt worden waren.

      »Aber, aber, meine Freundinnen, bitte nicht so förmlich, setzt euch.«

      »Freundin hin oder her, du bist nun mal die Königin Naileen, und wenn wir dich schon in so vertrauter Weise ansprechen sollen, wie du es uns schon des Öfteren ins Gedächtnis gerufen hast, dann gehört es sich doch zumindest, auf dein Eintreffen gebührend zu reagieren.«

      Wutja, die Fürstin Seestadts, lächelte auf ihre unvergleichliche Art und Weise, während sie auf Naileen zuging und sie herzlich in die Arme schloss. Diese erwiderte die Umarmung gerne. Wutja war ein Urgestein in den Reihen der anwesenden Damen, da sie mit ihren inzwischen über 60 Jahren schon in der dritten Generation dieser Treffen anwesend war. Als sie das erste Mal hier gewesen war, als junges, unschuldiges Mädchen, gerade erst ihrem Mann zur Frau gegeben, war dies noch unter der Herrschaft Tchiyo Xardics gewesen, Degaars Großvaters. Während ihres ersten Treffens war sie so nervös gewesen, dass sie die ganze Zeit über, nicht ein einziges Wort gesagt hatte und unendlich froh gewesen war, als sie endlich wieder die Heimreise antreten durfte. So zumindest hatte Wutja sie getröstet, als Naileen vor zwei Jahren das erste Mal dieses Treffen, zumindest nominell, leiten hätte sollen und auf Grund ihrer blank liegenden Nerven nichts als Gestammel zustande gebracht hatte. Bereits zu dem Zeitpunkt hatte die Königin die Fürstin Seestadts ins Herz geschlossen. Sie blickte diese eindringlich an. Mochte sie früher auch von anmutiger Schönheit gewesen sein, so war heute nicht mehr viel davon zu sehen. Sie war mittel großen Wuchses, doch man mochte sie durchaus für klein halten, auf Grund ihrer nach vorne gekrümmten Haltung. Außerdem hatte sie einen kugelrunden Wanst, in den sie normalerweise während der Treffen ohne Unterlass eine Leckerei nach der anderen schob. Doch dies hinderte sie nicht im Geringsten daran, zumeist die Gespräche zu führen, hatte sie sich als älteste anwesende Person doch schon lange als inoffizielle Leiterin dieser Treffen heraus kristallisiert. Naileen konnte es sich nicht erklären, aber neben ihr fühlte sie sich einfach wohl. Und schon ergriff die Fürstin Seestadts auch wieder das Wort.

      »Es tut gut, dich wieder zu sehen. Du siehst blendend aus! Also dass du mit diesem Aussehen noch immer keinen zukünftigen Thronfolger in dir trägst, verwundert mich über alle Maßen. Du wirst dir wohl bald einen Liebhaber ins Bett holen müssen.«

      Während Wutja noch lachte, stach es Naileen innerlich. So sehr sie die alte Dame auch mochte, Feingefühl war nicht ihre Stärke. So hatte sie genau Naileens wunden Punkt getroffen, und dies sicherlich ohne es zu wollen. Denn allen Bemühungen zum Trotz, war es der Königin noch nicht gelungen, Degaar ein Kind zu schenken. Naileen hatte wirklich schon beinahe alles versucht. Sie hatte verschiedene Ärzte kommen lassen um herauszufinden, was mit ihr nicht stimmte, doch niemand konnte es ihr sagen. Sie hatte auch einen angeblich mit magischen Kräften ausgestatteten Heiler zu sich gerufen, doch auch dessen Mühen waren umsonst gewesen, ganz abgesehen davon, dass sie wohl nie erfahren würde, ob der Mann nicht doch ein Schwindler gewesen war. Als einzig übrige Möglichkeit verblieb noch, sich einem anderen Mann hinzugeben, doch dies zog sie nicht einmal in Erwägung. Sie war die Königin Sekoyas und als solche galt es ein Vorbild zu sein und nicht mit irgendwelchen Männern ins Bett zu steigen. Außerdem würde sie das nie tun. Sie erwartete von ihrem Ehemann ja schließlich auch absolute Treue, und sie war sich sicher, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Und so mussten sie es auf herkömmliche Weise weiter versuchen, und obwohl sie die so verbrachte Zeit sehr genoss, lag doch immer dieser dunkle Schatten über ihrem Liebesspiel. Vielleicht würde sie einfach einsehen müssen, dass Degaar inzwischen schon zu alt war, um Nachkommen zu zeugen, doch noch war sie nicht gewillt aufzugeben.

      »Ganz im Gegensatz zu dir, meine liebste Wutja, empfinde ich es als großes Vergnügen, bei meinem Ehemann zu liegen. Ich bin auf das Lendenfeuer anderer nicht angewiesen!«

      Diese instinktive Antwort war um einiges gemeiner und wesentlich weniger neckisch ausgefallen als beabsichtigt. Wutjas Aussage hatte sie wohl mehr in Rage gebracht als sie vermutet hatte, und der Schwindel machte es auch nicht gerade leichter, kluge Sätze zu formulieren. Ein solch plumper Satz zu einer Fürstin konnte ein mehr oder weniger großes Unheil heraufbeschwören. Die anderen Fürstinnen, deren Gespräche alle abrupt abgerissen waren, starrten gespannt auf die beiden.

      »Verbring du erst einmal über 40 Jahre mit demselben Mann, und wir werden sehen, ob es nicht auch dich nach ein bisschen Abwechslung gelüstet. Auch wenn ich diese Zeit wohl nicht mehr erleben werde.«

      Die Fürstin Seestadts zwinkerte der Königin zu, wohl um ihr klar zu machen, dass sie keinerlei Grohl ihr gegenüber hegte.

      »Also dann meine Damen, zu Tisch, zu Tisch!«

      Wutja scheuchte die anderen Fürstinnen mit wedelnden Bewegungen ihrer Hände in Richtung der großen Tafel. Naileen steuerte mehr schlecht als recht den Platz der Königin an. Zwar gab es an dem runden Tisch keinen Vorsitz, doch der Herrscherin Sekoyas gebührte der Stuhl, der etwas über all die anderen ragte. Und genau dort nahm sie nun auch Platz, was