Clemens Anwander

Des Orakels Richterspruch


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verbringen? Das würde auch ihren seltsamen Gesichtsausdruck erklären. Würde sie vielleicht gar noch gewalttätig werden? Einen Augenblick lang blickte sie ihn verständnislos an, dann grinste sie, als ob ihr soeben ein Licht aufgegangen wäre und verschränkte verspielt beleidigt die Arme vor ihrem Bauch, was ihre weibliche Formen nur noch weiter betonte.

      »Willst du, dass ich mir hier die Beine in den Bauch stehe, oder soll ich damit nicht doch etwas anderes anstellen?«

      Verwirrt schaute Jarihm sie an. Sie war es doch gewesen, die stehend geblieben war, und nicht er. Wenn sie nicht weitergehen wollte, was sollte er da schon tun? Anscheinend amüsierte sein verdutzter Gesichtsausdruck Sucaría sehr, denn jetzt konnte sie sich ein Lachen nicht mehr verkneifen. »Anscheinend hat sich dein ganzes Blut bereits anderswo gestaut… ich kenne den Weg nicht! Du wirst schon voraus gehen und mich hinführen müssen. Oder ist dir etwa die Lust vergangen?«

      Noch während sie das sagte, umspielte sie mit ihrem linken Zeigefinger seinen Hosenbund, ihren feixenden Blick auf ihn gerichtet. Jarihms Gesicht wurde heiß, so unendlich peinlich war ihm die Szene. Natürlich wusste sie nicht, wo sein Raum lag, sie war ja auch noch nie hier gewesen! Und Türen gab es hier im ersten Stock wahrlich mehr als genug, um sich irren zu können. Er hätte sich Ohrfeigen können für seine Dummheit. Er überlegte, was er jetzt erwidern könnte, um nicht komplett dämlich dazustehen, doch leider ohne Erfolg. Seine Mutter hatte immer gesagt: „Lieber den Mund halten und die Leute mutmaßen lassen, man sei ein Narr, als ihn zu öffnen und deren Vermutungen zu bestätigen!“ Darum entschloss er sich, einfach wortlos den Weg anzuführen. Einige große Schritte später stand er bereits vor der richtigen Tür, das Familienwappen der Los Cuervos, der große, schwarze Rabe, garantierte ihm, hier richtig zu sein. Sucarías warmer Atem in seinem Nacken löste mittlerweile ein wohliges Gefühl in seiner unteren Magengegend aus. Nervös tastete er nach dem Schlüssel in seiner Tasche, als der Arm der Schildmaid an ihm vorbei fuhr und den Türknopf drehte. Mit einem leisen Klicken sprang die Pforte auf und Sucaría drängte ihn hindurch. Jarihm war sich eigentlich sicher gewesen, dass er abgesperrt hatte, doch auch er konnte sich schließlich einmal irren. Er trat in den großen, wunderschön möblierten Raum, doch sein Interesse lag nun wirklich nicht an den vielen luxuriösen Gegenständen. Er drehte sich um und wollte Sucaría gerade küssen, als er bemerkte, wie sich ihre Augen, die an ihm vorbei in den Raum hinein blickten, weiteten. Mit einem lauten »Achtung!«, riss die Schildmaid ihn zur Seite, nur einen Augenblick später fuhr ein Schwert an eben der Stelle durch die Luft, an der er eben noch gestanden hatte. Jarihm schlug hart am Boden auf. Alle Atemluft in seinen Lungen wurde aus ihm herausgequetscht, er bekam kurz keine Luft mehr. Während er noch versuchte zu realisieren, was hier eben geschehen war, machte sich die gute Ausbildung der Streiterin des Königs bereits bezahlt. Schnell wie der Wind wich sie von einem weiteren, waagrecht geführten Streich, der ihr anderenfalls wohl den Bauch aufgeschlitzt hätte, zurück in Richtung der vom Eingang links liegenden Wand. Jetzt sah Jarihm den Angreifer auch erstmals richtig vor sich. Es war ein kräftig gebauter Mann mittleren Alters, welcher dank seiner heruntergekommenen Kleidung und seinem lang wuchernden Bart aussah, als ob er die letzten Nächte auf der Straße verbracht hätte. Mit einem bösen Grinsen im Gesicht setzte er der Schildmaid mit einer Geschwindigkeit und Gewandtheit nach, die Jarihm ihm nicht zugetraut hätte. Sie steckte in der Klemme! Ohne Waffe und mit der Wand im Rücken sah es düster für sie aus. Doch das Zurückweichen Sucarías war nicht planlos gewesen. An eben dieser Wand hingen zwei gekreuzte Schwerter, für die Jarihms Vater ein solches Vermögen ausgegeben hatte, dass er sogar in der jetzigen Situation schlucken musste, wenn er daran dachte. Mit einer schnellen Bewegung griff sie sich die beiden Waffen und konnte gerade noch eine davon in die Höhe reißen. Es klirrte metallisch laut auf, als die Klinge des bärtigen Unbekannten auf die der Schildmaid traf. Sucarías gesamter Arm erbebte unter der Wucht des Angriffs, aber der Schlag war pariert. Doch wer glaubte, dass sie dadurch beeinträchtigt war, irrte. Sie vollführte eine Rolle nach rechts und holte noch in kniender Position zum Schlag aus. Doch diesen konnte Jarihm nicht mehr sehen, denn ein Schatten zu seiner Rechten erforderte seine gesamte Aufmerksamkeit. Ein silberner Bogen schnitt durch die Luft und eine große Streitaxt steckte nicht einmal eine Handbreit neben seinem Fuß im Boden. Geschockt, aber so schnell wie es ihm nur irgendwie möglich war, rappelte er sich auf und wich panisch in eben jene Ecke zurück, in der sich kurz zuvor auch seine Gefährtin befunden hatte. Was sollte er nur tun? Er hatte keine Waffe, und noch dazu war er ein miserabler Kämpfer. Schnell schickte er ein Stoßgebet gen Ylyrianum, um dafür zu danken, dass der Streich ihn hauchdünn verfehlt hatte, und das, obwohl er, am Boden sitzend, wohl ein sehr leichtes Ziel abgegeben haben musste. Ein zweiter Angreifer, der zwar um vieles kleiner, aber dafür auch um einiges muskulöser war als der andere, zog die Axt hämisch grinsend mit einem Ruck aus dem Boden. Während sich das Mondlicht, dass durch das große Fenster in den Raum fiel, auf seiner kahlgeschorenen Glatze spiegelte, kam er in aller Seelenruhe auf ihn zu, die Waffe bedächtig in seinen beiden Händen hin und her wiegend. Jarihm wich weiter zurück und erschrak, als er die kalte Steinmauer in seinem Rücken spürte. Er konnte nirgends mehr hin! Gerade als er sich in einer ausweglosen Situation wägte, hörte er Sucarías Stimme.

      »Jarihm, fang!«

      Er blickte in die Richtung, aus der er ihre Stimme vernahm, und zwar gerade noch rechtzeitig. Sie warf eines der beiden kostbaren Schwerter in seine Richtung und er griff schnell danach. Er bekam den Griff nur mit den Fingerspitzen zu packen. Seine einzige mögliche Rettung drohte ihm aus der Hand zu gleiten! Er griff kurz, aber geschickt nach, und konnte es so gerade noch verhindern. Jetzt hörte er den Glatzkopf auflachen.

      »Mit dem Zahnstocher willst du dich gegen meine Sissi verteidigen? Probier‘s nur!«

      Erneut zischte die Axt durch die Luft und schnitt ihm dabei den Weg zur Flucht ab. Der von schräg oben geführte Schlag krachte auf Jarihm herab und er hielt sein Schwert dagegen. Donnernd knallten die beiden Kriegsinstrumente aufeinander. Der Lärm betäubte Jarihms Ohren kurzzeitig und die Wucht des Aufschlags ließ ihm ein angestrengtes Stöhnen entfleuchen. Doch er hielt der Axt stand. Der Kahle wirkte sichtlich erstaunt, und auch Jarihm konnte sich einer gewissen Verwunderung nicht erwehren, dass er es tatsächlich geschafft hatte, den schnellen und wuchtigen Angriff abzuwehren. Der Schwertkampflehrer seiner Kindheit wäre stolz gewesen. Jarihm holte zu einem Gegenstoß aus. Durch das Drehen seines Handgelenks ließ er die Klinge in die entgegengesetzte Richtung zeigen und zielte auf den, seiner Meinung nach, ungeschützten Oberkörper des Angreifers. Aber wie sich zeigte, war der Kämpfer äußerst geschickt im Umgang mit der Axt. Auch wenn der Axtkopf ihm nicht zur Verfügung stand um den Angriff abzuwehren, schaffte er es spielend leicht den Schaft gegen das Schwert zu richten. Noch dazu fehlte Jarihms Schlag die Kraft, die er vorhin beim Abwehren des Angriffs noch aufgeboten hatte. Der muskulöse Angreifer fletschte seine Zähne zu einem boshaften Lachen. »Und ich dachte schon, du kleiner Schisser könntest kämpfen.«

      Er hielt die Axt mit beiden Händen der Breite nach und stieß Jarihm damit zurück, welcher abermals zu Boden ging. Der Aufprall war schmerzhaft, seine Hüfte würde wohl bald ein blauer Fleck zieren. Breitbeinig stand der Angreifer über ihm und holte gerade wieder zu einem Schlag aus, als ein von der Seite geführter Schwertstreich seinen Hals nur um Haaresbreite verfehlte. Der Mann mit der Glatze wich zurück, Jarihm atmete erleichtert aus. Kurzzeitig hatte er schon gedacht, dass er gleich seine Mutter wiedersehen würde. Sucaría trat vor ihn, einige Strähnen ihres blonden Haares hatten sich aus dem Zopf befreit und klebten in ihrem schweißnassen Gesicht. Ihr Blick verriet unbändigen Kampfeswillen, und ihre tiefblauen Augen wirkten entschlossen und zu allem bereit. Jarihm kam wieder auf die Beine und sah, warum ihm die Schöne zur Hilfe eilen hatte können. Die dreckige Kleidung des bärtigen Angreifers, der sich mit ihr angelegt hatte, war blutverschmiert und Jarihm konnte nur vermuten, dass es das seine war, schließlich schien die Schildmaid nicht verwundet zu sein. Der Glatzkopf wollte gerade wieder zum Angriff ansetzen, als der Bärtige ihn rief.

      »Wir ziehen uns zurück Iklop, zumindest vorläufig. Du entkommst uns nicht, Sucaría! Wir werden dich finden, und dann bist du dran. Und dein kleiner Freund hier wird ebenso bezahlen wie du!«

      »Aber mein Blut kommt gerade erst in Wallung, Vastor. Und Sissi hat auch noch nicht vom Lebenssaft dieses Schissers getrunken…«

      »Keine Widerrede! Rückzug!«