Clemens Anwander

Des Orakels Richterspruch


Скачать книгу

Er hasste es, wenn man ihn nicht für voll nahm. Das hatte sein Vater auch getan, als seine Mutter plötzlich krank geworden war. Niemand hatte ihm irgendetwas gesagt. Endlich begann die Schildmaid zu sprechen.

      »Sagt dir Zilrags Spielschuppen etwas?«

      »Klar«, antwortete Jarihm knapp. Es war ein Haus etwas außerhalb der Stadtmauer Tchiyos, in dem alle möglichen Arten von Glücksspiele gespielt und eigentlich jede Art von Zerstreuung, nach der es einem gelüstete, angeboten wurden. Und das für hohe Summen. Der Besitzer Zilrag war inzwischen ein reicher Mann, aber er war nicht gerade dafür bekannt, nachsichtig mit seinen Schuldnern zu sein. Jarihm konnte sich schon jetzt vorstellen, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickeln würde.

      »Wie du ja gesehen hast, habe ich eine kleine Leidenschaft für Pajam, und ich halte mich eigentlich auch für eine sehr gute Spielerin. Also dachte ich mir: Warum nicht nebenbei etwas meinen Sold aufbessern?« Die Schildmaid verschränkte die Arme abwehrend vor ihrer Brust und sog hörbar Luft ein.

      »Tja, jetzt weiß ich warum nicht… In nur einer Nacht habe ich, nun sagen wir mal so, eine etwas größere Summe verloren.«

      Jarihm schlug die Hände vor den Kopf. Wegen so etwas lächerlichem wie ein paar Spielschulden hatte er beinahe sein Leben verloren? Und war einen halben Tag lang wie ein Irrer geritten, so dass ihm jetzt jedes Glied einzeln schmerzte? Doch irgendwie war er auch erleichtert, dass die Schöne nicht in noch größeren Schwierigkeiten steckte, denn diese hier waren leicht zu lösen. Es benötigte lediglich einen kleinen Griff in die Schatztruhen seines Vaters.

      »Wie viel ist „eine etwas größere Summe“ genau?«

      Die Schildmaid räusperte sich, bevor sie wieder anfing zu sprechen.

      »Knapp über 400 Goldstücke.«

      Jarihm pfiff durch seine Zähne. Das entsprach wohl in etwa einem Jahreseinkommen der Soldatin. Um innerhalb von nur einer Nacht eine solch hohe Summe zu verlieren, musste sie schon in einem der speziellen Hinterzimmer für besonders gut betuchte Kunden gewesen sein. Und da kam man eigentlich nur rein, wenn Zilrags Buchmacher grünes Licht bezüglich der Zahlungsfähigkeit des Kunden gab. Nun war ihm auch klar, warum die ausgesandten Schuldeneintreiber auch ihm an den Kragen wollten. Sie konnten wohl kaum hoffen, die ganze Summe nur von ihr allein einzutreiben. Da kam wohl jeder recht, der mit ihr verkehrte.

      »Wie hast du mit dem einfachen Sold einer Schildmaid da hinein gelangen können?«

      Sucaría wirkte verwirrt.

      »Durch die Tür, wie sonst?«

      Jarihm blickte beleidigt in die Ferne der Ebene. Solch eine flapsige Antwort hatte er sich nun wirklich nicht verdient, schließlich würde er für ihre nicht gerade mageren Spielschulden aufkommen. Aber es war ihm jetzt auch Einerlei, wenn sie es für sich behalten wollte. Wahrscheinlich hatte sie jemanden bestochen und wollte diese Person jetzt nicht ans Messer liefern.

      »Gut, behalt es für dich. Aber weißt du was das bedeutet? Wir können in die Stadt zurück. Mein Vater treibt regelmäßig Handel mit Zilrag, daher kennt und respektiert er mich ebenfalls. Ich werde sicherlich mit ihm reden können, sodass er seine Schläger, die er anscheinend auf dich angesetzt hat, zurück beordert. Deine Schulden werde vorläufig ich begleichen. 400 Goldmünzen sind zwar keine Kleinigkeit, aber meiner Meinung nach auch nicht wert, sein Leben zu verlieren.«

      Sucaría zog eine Augenbraue empor.

      »Dein Vater ist also der Besitzer des Handelsimperiums Los Cuervos, und nicht du. Ich dachte mir schon, dass du dafür eigentlich noch zu jung bist.«

      Jarihm wurde zum wiederholten Mal an diesem Tag scharlachrot im Gesicht. Bald hatte er wohl alle verschiedenen Gründe dafür durch – Hitze, Wut, Scham… Wobei in diesem Fall letzterer zutraf. Diese Lüge war nach hinten losgegangen. Er hätte sich nicht so verstellen sollen. Allerdings hatte er auch nicht gedacht, die Schildmaid nach der gestrigen Nacht nochmals wieder zu sehen. Sie konnte sie es sich aber eigentlich sowieso nicht leisten auf ihn sauer zu sein, immerhin wollte sie über 400 Goldstücke von ihm.

      »Dein Gold kann ich übrigens nicht annehmen«, warf sie seine Annahme sofort wieder über den Haufen.

      »Wir Elitisten und Schildmaiden des Königs haben nicht viel, aber auf unsere Ehre sind wir stolz. Und meine würde mit Füßen getreten, würde ich dir diese Menge an Gold einfach so abnehmen.«

      War die Frau denn von allen guten Geistern verlassen? Das konnte wohl nicht ihr Ernst sein. Da waren bereits Männer auf sie, schlimmer noch, sogar auf ihn angesetzt, und sie sorgte sich um ihre Ehre? Dafür war nun wirklich nicht die richtige Zeit. »Sucaría, …«, begann er zu sprechen, doch sie unterbrach ihn forsch.

      »Außerdem ist es vollkommen unnötig. Weißt du, warum wir den ganzen weiten Weg aus der Stadt geritten sind? Noch gut eineinhalb Tagesritte von hier entfernt, wohnt eine alte Freundin von mir, welche mir noch horrende Summen an Gold schuldet. Dorthin sind wir beide jetzt unterwegs. Ich werde mir Gold holen, das rechtmäßig mir zusteht und damit meine Schulden begleichen.«

      »Doch dafür brauchst du mich doch nicht. Ich könnte mich inzwischen wieder nach Tchiyo zurück begeben.«

      »Lieber nicht. Die beiden Söldner haben dich mit mir gesehen und werden zweifelsfrei versuchen mein Geld bei dir einzutreiben, sobald du zurück bist. Nein, das wäre zu gefährlich, und ich könnte deinen Tod nicht verantworten. Ich fürchte, du musst mit mir mitkommen.«

      Während sie das sagte, blickte sie ihm tief in die Augen. Er dachte über das in Erfahrung Gebrachte nach. Irgendetwas störte ihn daran, aber er konnte einfach nicht erkennen, was das war. Ihre Argumentation war auf jeden Fall schlüssig, und er konnte sich wahrlich schönere Dinge vorstellen als wieder auf den kleinen, mörderhaften Glatzkopf zu treffen. Außerdem würde ihn in Tchiyo sowieso niemand vermissen. Er würde wohl wirklich mit ihr reiten müssen. Langsam stand er auf und griff sich die Palloka, die er vorhin ins Gras gefeuert hatte. Außer einer leichten Druckstelle inmitten des Oranges der Morgensonne, welche durch den wuchtigen Aufprall entstanden war, war ihr nichts geschehen. Er biss hinein und ein leckerer, saftig süßer Geschmack breitete sich augenblicklich in seinem Mund aus.

      Gefahr im Verzug

      Mit einem surrenden Geräusch zischte die Axt durch die Luft und traf mit voller Wucht. Die Schneide durchschnitt ohne Mühe den fleischigen Teil des Halses, und auch die Halswirbelsäule stellte keinen nennenswerten Widerstand dar. Mit einem satten Geräusch fiel der abgetrennte Kopf zu Boden, der machtlose Rumpf glitt in sich zusammen. Eine wahre Fontäne aus Blut schoss aus der Wunde und übergoss alles und jeden in ihrer unmittelbaren Nähe mit dem Lebenssaft. Despot Tera Ubrokar, Herrscher über Mik-Tar, genoss diesen Augenblick. Wie jedes Mal, wenn er über jemanden richtete, kostete er diesen Augenblick des Triumphes ausgiebig aus. Er liebte es, wenn sich im Gesicht des abgetrennten Schädels noch der entsetzte Gesichtsausdruck der letzten Schmerzen widerspiegelte. Oder wenn die Augen, trotz fehlendem Rumpfes, noch rastlos hin und her rasten, so als wollten sie sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden, bis sie sich dann doch dem Unaufhaltsamen beugen mussten. Er ergötzte sich an dem Anblick der restlichen anwesenden, offensichtlich schockierten, Adeligen. Für wahr, die meisten von ihnen waren Gräueltaten gewöhnt, ließen sie diese auf seinen Befehl hin ja vollstrecken, doch die wenigsten gönnten den Hinzurichtenden die Ehre, dem Schauspiel auch tatsächlich beizuwohnen. Und noch viel undenkbarer war es wohl für sie, selbst die Dinge in die Hand zu nehmen. Natürlich führte auch Tera nicht alle Hinrichtungen selbst durch, dazu fehlte es ihm eindeutig an der benötigten Zeit, doch hin und wieder schritt er auch selbst zur Tat. Es hatte etwas revitalisierendes, das Leben eines anderen mit einem Atemzug auszulöschen, sich in dessen Blut zu baden und schließlich dessen Frauen und Töchter zu nehmen, ehe man diese ebenfalls dem Schafrichter übergab. Für ihn war es keine Arbeit, sondern ein wahres Vergnügen. Tera Ubrokar schnippte mit einem Finger, und eine zitternde Sklavin schritt eilends vor. Sie reichte ihm einige Tücher aus feinster Seide, mit denen er sich zuerst das Blut aus dem Gesicht, seinem Schädel mit der Stoppelfrisur und dann von seiner Lieblingsaxt wischte. Mit einer saloppen Bewegung