Clemens Anwander

Des Orakels Richterspruch


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nicht bestätigen, da ich niemals dort war, aber angeblich erfährt man dort seine Zukunft.«

      Milo rollte auffällig mit seinen Augen. Er glaubte wohl wirklich nicht ein Wort davon.

      »Das Ganze ist natürlich reiner Aberglaube, aber die Zivilisten denken sich nun mal gerne solche wahnwitzigen Geschichten aus.«

      Zu Degaars eigener Überraschung, konnte er kaum glauben, dass er tatsächlich mit dem Gedanken spielte, sich dorthin auf den Weg zu machen. Aber wenn er an seine sterbende Frau dachte, war ihm eigentlich jedes Mittel recht, um sie davor zu bewahren. Außerdem war ein kleiner Ausritt wohl auch besser als tatenlos hier herumzusitzen und nichts tun zu können.

      »Danke meine Herren, ihr dürft euch nun zurück ziehen«, hörte er sich sagen, und noch bevor die beiden, die üblichen formellen Abschiedsformeln verlautbarend, den Raum wieder verlassen hatten, erhob er sich ebenfalls. Der Alkohol ließ ihn etwas hin und her taumeln, doch das würde ihn auch nicht abhalten. Er gab einem Diener Anweisungen, das schnellste Pferd im Stall zu satteln und zum Ausritt fertig zu machen, einem anderen, Proviant für vier Tage bereitzustellen, und er selbst machte sich auf in seine Gemächer. Dort angekommen kam er nicht umhin, an Naileens Lager zu treten. Ihr Gesicht wirkte eingefallen und angespannt, sie litt Schmerzen. Er dachte daran zurück, als er seine Frau das erste Mal gesehen hatte. Er war gerade erst König geworden, und seine Fürsten hatten sich überall nach einer passenden Frau von Stand für ihn umgesehen. Doch die waren für den Herrscher alle nicht in Frage gekommen. Sie waren entweder zu oberflächlich, zu langweilig, zu hässlich oder schlichtweg geistig zu begrenzt gewesen. Aber als er eines Tages dem Landgut eines seiner Freunde seine Aufwartung machte, da sah er sie. Das hübscheste Mädchen, das ihm je unter die Augen gekommen war. Sie war im Obstgarten des Anwesens gestanden und hatte sich gerade nach einem reifen, tiefroten, hoch hängendem Apfel gestreckt. Dabei war ihr das Oberteil ihres Gewandes gerade so weit nach oben gerutscht, dass Degaar einen schnellen Blick auf ihren seidig glatten Bauch mit dem niedlichsten Bauchnabel aller Zeiten erhaschen hatte können, ehe sie die Frucht zu packen bekam. Sie hatte herzhaft hinein gebissen, und der Saft war ihr über die Lippen geronnen. Schnell hatte sie ihn mit ihrer geschickten Zunge wieder eingefangen, während ihr langes, pechschwarzes Haar sanft im Winde geweht hatte. Degaar war sofort zu ihr gegangen, sorgsam darauf achtend, dass er nicht zu laufen begann, und hatte das Gespräch aufgenommen. Sie war alles gewesen, was sich der König vorgestellt hatte. Bildhübsch, intelligent, humorvoll und charakterlich liebreizend. Er wusste bereits in diesem Moment, dass er seine Ehefrau gefunden hatte. Zwar hatte er sich in diesem ersten Gespräch nicht gerade geschickt angestellt, aber erobert hat er ihr Herz schließlich trotzdem. Degaar konnte nicht glauben, dass diese schönen Zeiten zu zweit nun ein Ende finden sollten. Erneut konnte er seine Tränen nicht im Zaum halten, während er ihre Hand in die seine bettete und sie liebevoll drückte. Er würde nicht zulassen, dass sie starb. Dafür war er auch bereit, sich an jeden Strohhalm zu klammern, den das Schicksal ihm zur Verfügung stellte. Und sei er auch noch so winzig. Er wandte sich ab von seiner Frau und stieg eilends in seine Reitkleidung, um sich Richtung Ställe aufzumachen.

      Ausgeritten

      Jarihm reichte es nun endgültig. Den ganzen Vormittag über waren sie geritten als wäre der große Verführer leibhaftig hinter ihnen her. Als sie kurz vor Morgengrauen überstürzt aufgebrochen waren, hatte er gedacht, dass sie nach gut zwei Stunden genügend Abstand zwischen sich und die Angreifer gebracht hätten und wollte Sucaría dazu bringen, anzuhalten. Doch als er nach ihr gerufen hatte, hatte er lediglich ein barsches „später“ zu hören bekommen. Also war er weitergeritten. Und das in einem Tempo, dass ihm bereits zu diesem Zeitpunkt alle Glieder geschmerzt hatten. Nach weiteren drei Stunden hatte er es erneut versucht, abermals mit demselben Ergebnis. Mittlerweile war die Sonne bereits auf ihrem höchsten Stand und schien unbarmherzig auf sie herab. Ihm stand der Schweiß auf der Stirn, seine Augenbrauen waren triefend nass und konnten die salzige Flüssigkeit nicht mehr davon abhalten, mit brennendem Schmerz in seine Augen weiterzulaufen. Genervt wischte er sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Der Wind des Rittes war schon lange nicht mehr erfrischend genug, und Jarihm entschied sich Sucaría nun wieder zu rufen.

      »Hey, Sucaría, bleib bitte stehen.«

      Sein Ruf war wohl zu freundlich ausgefallen, denn prompt bekam er die Rechnung dafür serviert.

      »Ich hab gesagt später!«, rief sie unwirsch über den Lärm der donnernden Hufe hinweg. Jarihm war gleichermaßen erschöpft und erzürnt. Sie war es als Schildmaid schließlich gewöhnt, lange Ritte auf Pferden quer durch das gesamte Königreich zu absolvieren. Er hingegen hatte bisher lediglich ganz kurze Ausritte im Trab hinter sich, zumeist zusätzlich noch mit einer Vertreterin des holden Geschlechts vor sich am Sattel. Es war ihm egal, was Sucaría sagte, er benötigte jetzt eine Pause. Und, wenn er an den Angriff von letzter Nacht zurück dachte, vor allem ein paar Antworten.

      »Ich bleib jetzt stehen, mit oder ohne dir!« brüllte er in ihre Richtung, verlangsamte seinen Braunen und lenkte ihn in Richtung von ein paar buschigen Laubbäumen, die ihm eine schattige Rast garantieren würden. Sucaría zügelte ihren Schimmel und ließ ihn in seine Richtung traben. Vorläufig zufrieden erreichte er die Bäume und stieg steif aus dem Sattel. All seine Glieder zogen auf Grund der ungewohnten Belastung, doch sein Rücken schmerzte so richtig. Er streckte sich, machte ein Hohlkreuz und anschließend einen Katzenbuckel. Das half. Noch während er das Pferd an einem tiefen hängenden, aber stabilen Ast anleinte, traf auch die Schildmaid neben ihm ein.

      »Mit dir ist es schon schwierig«, sagte sie von oben herab. »Zuerst kommen wir nur in diesem Schneckentempo voran und dann willst du auch noch ständig pausieren.«

      »Mit mir soll es schwierig sein?«

      Jarihm war fassungslos.

      »Ich wollte lediglich mit einer hübschen Schildmaid ins Bett - und nicht um mein verdammtes Leben kämpfen! Doch damit nicht genug, nein, ich muss auch noch Hals über Kopf aus der einzigen Heimat fliehen, die ich je gehabt habe. Also wenn hier jemand Ärger bedeutet, dann du.«

      Er hatte sich erfolgreich in Rage geredet. Erst jetzt bemerkte er selbst, wie aufgeregt er auf Grund der Vorkommnisse eigentlich war.

      »Ich will jetzt augenblicklich ein paar Antworten. Wer waren die Kerle, die uns angegriffen haben? Und was wollten sie von uns?«

      Die Tochter des Zujcan-Clans sah ihn kurz eindringlich an, schüttelte dann aber den Kopf.

      »Je weniger du weißt, desto besser für dich. Vertrau mir einfach, in Ordnung?«

      Um Contenance ringend starrte Jarihm sie an während sie so geschickt von ihrem Pferd sprang, als ob sie nicht gerade etliche Stunden geritten wäre.

      »Nichts ist in Ordnung! Ich kenn dich noch nicht einmal einen ganzen Tag lang. Dir vertrauen? Vergiss es! Was… geht… hier… vor?«

      Jarihm legte in seinem letzten Satz mehrere minimale Pausen ein, um seinen Worten größere Wirkung zu verleihen, sein Kopf war hochrot geworden. Und dies ganz sicher nicht nur auf Grund des Ritts in der prallen Sonne. Anscheinend war Sucaría den Ärger ihrer Mitmenschen aber gewöhnt, denn sie band ihren Schimmel seelenruhig neben seinem Braunen an, löste die Satteltasche und setzte sich dann in den Schatten. Wortlos griff sie in eben diese und förderte zwei Pallokas ans Tageslicht. Mit einer lässigen Bewegung der linken Hand warf sie eine davon Jarihm zu, der sie perplex auffing.

      »Iss sie. Pallokas erfrischen dich durch ihren hohen Flüssigkeitsanteil und geben dir Kraft durch ihr saftiges Fleisch. Und köstlich süß sind sie nebenbei auch noch.«

      Noch während sie das sagte, biss sie herzhaft in die ihre. Etwas Saft des Obstes rann über ihre Lippen, ehe sie ihre Zunge darüber gleiten ließ, um ihn aufzufangen. Jarihm nahm die Frucht und donnerte sie wütend auf den Boden. Er war kein kleines Kind, das man mit süßen Speisen besänftigen und verführen konnte. »Ich verlange jetzt eine Antwort, und ich bewege mich kein Stück mehr weg von hier, bis ich sie bekommen habe.«

      Sucaría seufzte hörbar auf. Doch sie blieb still, während sie ruhig ihren Imbiss aufaß. Jarihms Wut brodelte auf hohem Niveau, doch offensichtlich