Andreas Zenner

Heiße Tage - liebestolle Nächte


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to Mountain. Er singt das Titellied noch immer, knapp dreißig Jahre später. Ich hörte ihn erst neulich wieder auf dem Tollwood-Festival und war sentimental gerührt.

      Ich saß in der Blase meiner Freunde dicht an dicht, lauschte den verschrobenen Texten, eine anständige Halbe in der Hand, ein Mädel an der Seite, das sich an mich schmiegte, träumte von grenzenloser Freiheit und gefährlichen Abenteuern in fernen Ländern. Ausgrabungen in Peru oder im Zweistromland, Wüstenexpeditionen mit Jeep und Zelt. Wahr geworden ist von all diesen Fantasien nichts. Verreise ich heute, dann am liebsten als Pauschaltourist in ein Viersternehotel mit Vollpension in einem Nobelkurort.

      Das Leben hat mich zurechtgebogen. Ohne es zu merken bin ich gealtert. Ich träume nicht mehr von Urwaldexpeditionen zu menschenfressenden Kannibalen oder von fernen verheißungsvollen Ländern und Städten unter einer sengenden Sonne, mit geheimnisumwobenen Namen wie Timbuktu oder Surabaja, die so klangen als seien sie den Märchen aus tausendundeiner Nacht entsprungen. Ich stand nie an den Ufern des Urubamba und spürte die Gischt der Wasserfälle in meinem Gesicht. Heute denke ich an Fünfsterneresorts unter Palmen an schimmernden muscheldurchwebten Sandstränden am indischen Ozean. Wo rechtwinklig aufgereihte Liegestühle am gechlorten Pool und samtweichen Badetüchern locken, liebevoll umsorgt von aufmerksamen, mandeläugigen Kellnerinnen. Mich schaudert, wenn ich an die wackeligen Luftmatratzen meiner Jugend in windschiefen Zelten denke. Wir Deutschen belegen schon im Morgengrauen die besten Plätze mit unseren Handtüchern. Wegen dieser Unsitte stehen wir sogar im Urlaub um sechs Uhr früh auf, wenn alle anderen Touristen noch selig ihren Rausch ausschlafen. Wo bitte ist da der Unterschied zu unserem werktäglichen Wecker-Gebimmel? Wir führen einen stillen Kleinkrieg um eine lächerliche Liege. Engländer und Franzosen quittieren diese Unsitte mit einem spöttischen Lächeln. Wir haben zwei Kriege verloren, doch die Schlacht um die besten Liegen gewinnen wir noch immer. Sommer für Sommer. Wäre doch gelacht.

      Schwabing hat seinen Glanz, seine Magie dem Kommerz geopfert. Wo früher ein schmuddeliger Stehausschank sein kümmerliches Dasein fristete, verbrannte Currywurst in Ketchup-Soße dahin schrumpelte, steht heute ein thailändischer Schnellimbiss. Oder ein Inder, aus dessen Küche es nach exotischen Gewürzen duftet serviert Tandoori. An der Ecke, noch schlimmer, eine Champagner-Lounge mit roten Plüschsesseln und Samtvorhängen. In den einst urigen Standln des Elisabethmarktes residiert heute italienische Feinkost und auf den Schiefertafeln stehen so klangvolle Namen wie Pecorino oder Brebicon, vielleicht auch Chaource, um nur einige der unzähligen Käsespezialitäten zu nennen.

      Ich erkenne das Viertel kaum wieder. Mein Schwabing, in dem ich aufgewachsen bin, wo ich als Schüler gierig auf Liebe und Leben um die Häuser zog, hat sich gehäutet wie ein Chamäleon und ich weiß nicht ob mir diese Metamorphose gefällt. Der verwinkelte Taschenbuchladen in der Nordendstraße neben der Schauburg ist einem noblen Goldschmiedeladen mit blitzendem Geschmeide in der Auslage gewichen. Einzig die Namen der Straßen sind geblieben, erinnern mich daran wie es hier in meiner Jugend einmal ausgesehen hat.

      Wehmütige Gedanken überfielen mich mit ungeahnter Macht. Meine Augen suchten nach einem Fixpunkt, einem Gegenstand, an dem ich meine verblassenden Erinnerungen festzurren konnte. Dunkel fiel mir ein, die Kneipe in der wir hockten beherbergte vor fünfzig Jahren einen Milchladen. Ich blickte irrlichternd aus dem Fenster. Mein Blick blieb an einer jungen Frau hängen, die auf dem Gehsteig bei den dicht an die Hauswand gepappten Klappstühlen lehnte. Die Stammgäste kannten das Mädchen. Sie entrollte ein plakatähnliches Papier, zeigte es der Runde und lächelte dabei unsicher. Ein bezauberndes Lächeln in einem, von wilden Locken umrahmten, schmalen Gesicht. Sofort erwachte mein Jagdinstinkt. Sie passte in mein Beuteschema: jung, neugierig auf Erfahrungen mit Männern und sie würde nicht bleiben. Welches junge Mädchen verknallt sich schon in einen alten Mann? Über kurz oder lang würde sie einen gleichaltrigen Jungen kennenlernen, mit dem sie sich wieder aus dem Staub machte, spekulierte ich, vom Bier schon leicht benebelt. Ich gab mich keinen Illusionen hin, dachte an meine Regel Nummer Eins. Sie war gewiss keine dieser atemberaubenden sterilen Schönheiten entsprungen aus einem Hochglanzmagazin, doch ihr Schmollmund zog mich in seinen Bann. Er strahlte, leicht aufgeworfen, Sinnlichkeit aus. Ihr Lächeln unbefangen und doch herausfordernd, als riefe sie: mir gehört die Welt. Wenig später tauchte sie, angetan mit einer schwarzen Schürze auf der ein in oranger Farbe aufgedruckter Totenkopf prangte, auf dem eine Kochmütze schaukelte, hinter dem Tresen auf, schnappte sich die schmutzigen Gläser und trug sie in die Küche.

      Lahm schoss ein Tor und das Gejohle der Zuschauer gellte schmerzhaft in meinen Ohren.

      „Noch ein Bier?“, sprach sie mich an.

      Ihre vibrierende Altstimme gefiel mir. Ich mag keine Frauen mit piepsigen Quiekestimmchen, wie sie im Fernsehen in dummen Castingshows herumhüpfen. Ich nickte. Sie schnippte den Kronkorken gekonnt in den Abfalleimer, stellte das Bier vor mir auf die Theke. Mit einem Auge schon wieder beim Spiel.

      Kleine Biere stillen kaum den Durst, im Gegenteil und so blieb es nicht bei dem einen. Verstohlen musterte ich sie aus den Augenwinkeln. Ihre großen Rehaugen fielen mir auf, die vorwitzig durch die verwuschelten, fast schwarzen Haarsträhnen lugten. Ich schätzte sie deutlich jünger als meine Kinder, aber was besagte das schon. Fielen ihr die Haare in die Stirn zog sie den Mund schief und blies die Locken zur Seite, was allerliebst aussah.

      Die meisten Menschen macht Bier träge, wenn nicht gar dumm. Dann werden die Späße mit jeder Maß plumper und anzüglicher. Um das zu sehen braucht man sich nur in die Schwemme des Hofbräuhauses zu verirren. Mich dagegen macht der Gerstensaft, ab einer gewissen Menge, gesprächig. Vielleicht löst der Alkohol die mir lästige Schüchternheit beim Flirten mit einer Frau. Als sie wieder zu uns blickte, mit jenem geübten Blick einer Kellnerin, der blitzschnell feststellt, ob noch Flüssigkeit in der Flasche ist, sprach ich sie an.

      „Was hast du für ein Bild herumgezeigt, draußen vor der Kneipe? Darf ich es auch sehen?“

      Sie musterte mich, lächelte ein verschmitztes Lachen.

      „Ich kenne euch nicht. Zuerst sagt mir, wer ihr seid.“

      Sonderlich geistreich antwortete ich nicht. Ich war so verdattert darüber, dass sie mich überhaupt zur Kenntnis nahm.

      „Das ist der Vater vom Wirt“, stotterte ich und deutete mit dem Finger auf meinen Freund Bernd, der neben mir saß.

      „Und ich, ich bin Anwalt.“

      Warum stellte ich mich mit meinem Beruf vor? Wollte ich damit etwa Eindruck schinden? Meine Antwort erschien mir tollpatschig. Kein guter Start für einen Flirt. Warum nannte ich nicht einfach meinen Namen? Vorsicht? Scheu? Doch wovor? Sie schien trotzdem zufrieden zu sein, huschte in die Küche und kam mit einer Rolle grauen Papiers zurück, so eines, mit dem man normalerweise Pakete einwickelt.

      „Es ist ein Selbstbildnis“, erklärte sie ernsthaft und ihre Stimme kämpfte gegen den Lärm aus den Boxen an. Sie entrollte das Machwerk, schien stolz darauf zu sein. Nach einem ersten flüchtigen Blick, verschluckte ich mich wie ein Baby an meinem Bier. Bernd klopfte mir so lange hilfreich auf den Rücken bis mir die Tränen in die Augen traten. Ich hatte noch nie, wirklich nie, ein so scheußliches, abgrundtief hässliches Machwerk gesehen. Dabei kann mich nicht einmal ein Otto Dix schrecken. Und das will etwas heißen. In der modernen Malerei kenne ich mich ein wenig aus. Ich liebe die Impressionisten mit ihren hingetupften Frühlingsfarben und auch einem Picasso kann ich etwas abgewinnen. Auf den zweiten Blick jedoch ging eine seltsame Faszination vom Aquarell der jungen Frau aus.

      Ein riesiger Kopf im Profil, mit einem überdimensionierten stilisierten Frauenauge. Eine fliehende Stirn, der Mund nur angedeutet. Darunter hing ein kleiner Körper, nackt mit zur Seite hin ausgebreiteten Ärmchen. Die Scham kaum sichtbar und offensichtlich zu einem späteren Zeitpunkt übermalt, denn einzelne geringelte schwarze Haare waren noch schattenhaft zu erahnen. Zierliche Beinchen. Aber die Füße, riesig. Nein, keine Füße, das beschreibt es nicht zutreffend. Da blitzten gigantische Klauen, die einem Adler alle Ehre gemacht hätten. Gekrümmte Krallen, gegenständig, die sich in ein imaginäres Opfer zu bohren schienen. Das Bild in ockerfarbenem Gelb gehalten, der Hintergrund lehmfarben, ähnlich einer verblichenen Höhlenmalerei aus dem Neolithikum.

      „Sieht aus wie ein Fresko der Azteken oder der Mayas,