alma und was bedeutet alma, Herr Lateiner?« Der Vater ließ nicht locker.
»Alma ist nur ein Mädchenname – billig, Alma mater heißt natürlich ›Almas Mutter‹«, sagte Herbert großartig.
Der Vater zog ihn am Ohr. Diesmal lachte er nicht. »Daneben geschossen! So muß es allen Besserwissern ergehen, Herbert. Warum gestehst du's denn nicht ein, daß du es nicht weißt? Das ist doch keine Schande. Man hat nie ausgelernt, selbst große Leute nicht. Aber unwahr ist es und lächerlich, sich aufzuspielen, als ob man alles wisse.« Das war gleich eine ernste Rüge in der neuen Heimat.
»Na, was heißt denn alma?« knurrte Herbert.
»Die Nahrunggebende. Die nährende Mutter heißt Alma mater, und man versteht darunter die Universität, die ihren Söhnen, den Studenten, geistige Nahrung spendet. Als neue Bürger der alten Studentenstadt Jena müßt ihr das wissen. So – und nun schaut einmal dort hinüber. In diesem Garten, Prinzessinnengarten heißt er, liegt das Planetarium, die neue Wirkungsstätte eures Vaters. Seht ihr die große, runde Kuppel dort durch die Bäume schimmern? Das ist das Planetarium.«
»Vater, laß halten, bitte bitte, laß halten, daß wir es gleich ansehen können«, rief Herbert aufgeregt.
»Nein, mein Junge, dazu brauchen wir Zeit. Ihr sollt einen richtigen Eindruck von dieser großartigen Einrichtung bekommen. Nächste Woche halte ich dort einen Vortrag mit Vorführungen der Gestirne unseres Heimathimmels. Ich freue mich schon darauf, was für ein gewaltiges Erlebnis das für euch sein wird.«
»Wir wollen es lieber gleich erleben. Bis nächste Woche ist noch schrecklich lange hin. Da können wir noch zehnmal tot sein. Auf das Planetarium habe ich mich am allermeisten gefreut hier in Jena«, versuchte Herbert noch einmal sein Heil.
»Die Mutter wartet daheim mit dem Kaffee auf uns. Jetzt ist das Planetarium überhaupt geschlossen, mein Junge.«
»Na, wenn du der Direktor bist, Vater, mußt du doch die Schlüssel dazu haben«, beharrte der Junge eigensinnig. Aber es nützte ihm nichts. Wenn der Vater mal etwas gesagt hatte, dann blieb es dabei.
»Prinzessinnengarten, was ist das für ein schöner Name. Es klingt wie ein Märchen. Wohnen da richtige Prinzessinnen?« Für Suse, die ein sinniges Kind war, hatte der Garten mehr Interesse als das Planetarium.
»Das Schlößchen im Prinzessinnengarten gehörte zu Goethes Zeiten den weimarischen Prinzessinnen. Goethe war dort oft ihr Gast. Jetzt finden dort Ausstellungen statt«, erzählte der Vater.
»Der Großpapa in Freiburg hat aber gesagt, Jena sei die Stadt Schillers und Weimar die Stadt Goethes«, berichtete Herbert wieder mal als Besserwisser.
»Stimmt auch, Kinder. Schiller war hier in Jena Universitätsprofessor der Geschichte – – –«
»Wie Onkel Ernst«, fiel Suse erfreut ein.
»Und da Goethe seinen Freund Schiller oft besuchte, hielt er sich ebenfalls viel in Jena auf. Ganz Jena ist voll von alten Erinnerungen. Die denkwürdigen Stätten werdet ihr alle kennenlernen.«
Der Wagen war inzwischen aus dem Häusergewirr der Innenstadt zu dem an Bergeshöhen sich hinziehenden Villenviertel Jenas emporgeklommen. Von hier hatte man einen schönen Blick ins Saaletal, auf die tiefer liegende Altstadt und die am andern Saaleufer ansteigenden Berge.
»Dort drüben das ist der berühmte Fuchsturm.« Der Professor wies auf einen sich in die blaue Herbstluft bohrenden Turm auf der Höhe. »Der Überrest einer einst stattlichen Ritterburg.«
»Miau – miau –«, mauzte es jämmerlich in die Erklärung des Vaters hinein.
»Meine Piccola wird ungeduldig.« Suse lüftete vorsichtig das buntseidene Tuch, das sie über ein Körbchen auf ihrem Schoße gebreitet hatte. Grasgrüne Katzenaugen schauten blinzelnd heraus, ein rosenrotes Schnäuzchen mauzte jämmerlich. »Piccola kann das Fahren nicht vertragen. Sind wir denn noch nicht bald da, Vatichen?«
»Noch einen Augenblick, Fräulein Ungeduld. Gleich biegt der Wagen um die Ecke. Seht ihr das braune Holzhaus mit den leuchtend blauen Fensterläden da oben am Berge? Das ist unser neues Heim, das ›Sternenhaus‹.«
»Sternenhaus hast du's genannt? Wie hübsch, Vati. Ach, da guckt ja die Mutti schon vom Balkon herunter – sie winkt – Tag, Muttichen – – –.« Die Zwillinge nickten und schrien aufgeregt durcheinander.
»Pst, Kinder, ihr seid nicht allein in Jena«, beschwichtigte der Vater. Denn hinter den Gardinen der verschiedenen Villenfenster tauchten Köpfe auf, die den Einzug von Professors Zwillingen mit ansahen.
Langgezogenes Freudengeheul erklang plötzlich, und da schoß ein schwarzes Etwas aus dem Sternenhaus die Straße hinunter, war mit einem Satz im Wagen und sprang abwechselnd in ungezügelter Wiedersehensfreude an den Zwillingen empor.
»Bubi, alter Kerl, haben wir uns denn endlich wieder?« Herbert hielt den vierbeinigen Freund im Arm, ihm zärtlich das glatte Fell krauend. Keinen Blick hatte er mehr für das neue Haus und für die Mutter.
Von der andern Seite aber sprang es ängstlich miauend aus dem Körbchen vor dem blaffenden Feind.
»Piccola – Mies – Mies – Mies –.« Vergebens rief Suse ihr Kätzchen. Auf einer der Silberpappeln, welche die Straße besäumten, saß es hoch oben im schwanken Wipfel und hielt von dort Umschau über die neue Heimat.
Man mußte halten. Suse war nicht dazu zu bewegen, ihre Katze dort oben im Stich zu lassen.
Unter der Pappel stand sie und lockte zärtlich: »Mies – Mies – Mies – komm, meine kleine Mieze.« Aber das Kätzchen dachte nicht daran, ihren luftigen Aussichtspunkt zu verlassen. Denn da unten mischte sich in die lockende Kinderstimme das kriegerische Gebell des Feindes Bubi.
»Laß sie da oben sitzen, bis sie schwarz wird«, meinte Herbert gleichgültig. »Komm nach Haus zu Mutti Kaffee trinken.« Sein gesunder Jungenmagen merkte jetzt doch, daß er heute am Reisetage nur von belegten Broten gelebt hatte.
»Was – meine süße Piccola soll ich allein hier in der fremden Stadt lassen?« regte sich Suse auf.
»Die Katze wird schon von selbst den Weg zum Sternenhaus finden«, redete auch der Vater dem Töchterchen beruhigend zu. »Komm, Kind, wir können doch nicht bis in alle Ewigkeit hier stehen.«
»Sie kennt sich nicht aus hier in Deutschland, meine süße Mies. Sie ist doch aus Italien.« Suse weinte jetzt vor Aufregung.
»Na, da wollen wir sie mal wie 'n Maikäfer vom Baum schütteln.« Kräftige Jungenfäuste rüttelten an der Pappel, daß sie hin und her schwankte. Nur um so fester krallte sich das Kätzchen angstvoll in das Gezweig.
Inzwischen hatte sich ein Auflauf um die Silberpappel gebildet. Sämtliche Kinder und Hunde der Nachbarschaft hatten sich zu dem Schauspiel eingefunden. Das war ein Johlen und ein Blaffen, daß man die sonst so stille, vornehme Straße nicht wiedererkannte.
Dem Professor war es unangenehm, diesen Tumult verursacht zu haben. Er bestieg wieder den Wagen und forderte auch seine Kinder dazu auf.
Aber Herbert und Bubi waren schon den Berg hinauf dem Wagen vorangeeilt. Suse war nicht zum Einsteigen zu bewegen. Das Wiedersehen mit Mutti, die schon vier Wochen vorher Freiburg verlassen hatte, um das neue Haus einzurichten, ja das neue Heim selber, nichts kam gegen Suses Sorge um ihr Kätzchen auf. Sie setzte sich, leise vor sich hinweinend, ins Gras unter die Pappel, ab und zu zärtlich »Mies – Mies« rufend.
Die Kinderschar hatte sich zerstreut. Nur ein kleines Mädchen war zurückgeblieben. Neugierig starrte es auf das fremde Kind.
»Du – wohär biste denn, hä?« erkundigte sie sich schließlich. »Biste von Weimar här?«
Suse schüttelte den Kopf. »Nein, von Italien«, sagte sie, trocknete die Tränen und begann nun ihrerseits die kleine Gefährtin zu mustern. Sie hatte rötliches Haar und Sommersprossen, war ärmlich, aber sauber gekleidet.
»Ja, wär's glaubt – du kannst