Inge Elsing-Fitzinger

Bittere Wahrheit…


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alleine, habe keinen Menschen mehr, der mich liebt“, wimmerte sie kaum hörbar. In ihrem Kopf hämmerte Enttäuschung, Kummer, Verzweiflung. Ein heftiger Schmerz erfüllte ihre Brust, breitete sich langsam in ihrem ganzen Körper aus. Regungslos starrte sie aus dem Fenster. Der Mond stand am tiefblauen Himmel, tröstend, unbeirrbar.

       Ein entsetzlicher Schock

      Nachdem der erste Schmerz etwas nachgelassen hatte, beauftragte Isabelle einen Detektiv, sich nach besagter Marie-Louise de Valloir zu erkundigen. Der Mann wurde tatsächlich fündig. Ein ausführlicher Bericht folgte.

      „Marie-Louise Dubois, geborene de Valloir, stammt aus adeligem Hause. Eltern bewohnen ein wunderbares Anwesen in der Nähe von Paris. Die genaue Adresse war angegeben. Seit vierzehn Jahren mit einem gewissen Alain Dubois, Oberprokurist der Firma Bernard Villot, verheiratet. Wohnadresse und einige Photos lagen bei. Zum Abschluss standen noch andere Namen und Adressen. Freunde oder Bekannte der Dame. Bei diesen Leuten verkehre sie regelmäßig.

      Wer war diese Frau? Was meinte Mutter mit ihren letzten Worten. Noch nie hatte sie diesen Namen vorher gehört. Neugierig durchstöberte sie den Sekretär des Vaters. In einem, mit zusätzlichem Schlüssel versperrtem Fach, fand sie schließlich ein versiegeltes Kuvert.

      Ich, Marie-Louise de Valloir, gebe mein Kind unmittelbar nach der Geburt zur Adoption frei. Vater unbekannt. Vor dem Pflegschaftsgericht bestätige ich, dass mein Kind von dem Ehepaar Dr. Anton Steiner und Frau Regine Steiner adoptiert wird. Jede Menge Stempel und Unterschriften besiegelten den Vertrag.

      Erschüttert, völlig verwirrt, las Isabelle damals diese Zeilen immer und immer wieder. Warum hatten ihr die Eltern nie ein Wort gesagt? Hofften sie, sie würde es nie erfahren? Wollten sie ihr diesen Schmerz nicht antun, der sie nun mit doppelter Wucht traf. Nächtelang lag sie wach, fühlte sich verraten, im Stich gelassen, betrogen. Kein Mensch war da, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Keiner der zahlreichen Bekannten, der vermeintlichen Freunde ihrer Eltern, hätte für ihr seelisches Dilemma Verständnis gehabt.

      Langsam realisierte sich der Plan. Sie musste nach Paris reisen, musste die Person kennen lernen, die sie damals vor mehr als achtzehn Jahren buchstäblich verschenkt hatte, wie ein Schachtel Bonbons, ein wertloses Spielzeug.

      Vielleicht würde sie ja jetzt, nach so langer Zeit, eine vernünftige Frau antreffen, mit der sie eine neue Lebensplanung ausarbeiten könnte. Vielleicht würde sie nach Paris übersiedeln, um an der Sorbonne ihre Studien zu beenden. Wer weiß, was das Schicksal möglicher Weise alles mit ihr vorhatte.

      So war sie damals vor vier Jahren nach Paris gefahren, hatte eher zufällig von dem Osterfest bei den Montinacs auf Schloss Vallouchon erfahren. Als Aushilfsküchenhilfe war sie ohne Probleme eingestellt worden, brauchte nur mehr zu warten, bis die Gäste eintrafen. Dann hatte sie ihre leibliche Mutter zum ersten Mal gesehen. Anfänglich von ihrem entzückenden Äußeren begeistert, konnte sie kaum an sich halten sich ihr zu nähern. Doch schon nach kürzester Zeit erkannte sie, dass diese Frau mit ihren glorifizierten Vorstellungen soviel gemeinsam hatte, wie ein Riesenkrake mit einem Schoßhündchen. Marie-Louise war der Inbegriff eines männermordenden Ungeheuers. Ihr Ehemann hingegen war reizend, charmant und mehr als zuvorkommend. Er schien Höllenqualen zu leiden neben diesem zauberhaften, zierlichen Vamp, der Männer jeder Altersklasse zum Frühstück, zum Mittagmahl und zum Abendessen verschlang, wie luftiges Parfait. Isabelle hatte Mitleid mit dem liebenswürdigen, geduldigen Mann, wenngleich sie ihn für einen ziemlichen Waschlappen hielt, der eigentlich überhaupt keine Gnade verdiente. Die sogenannte Mutter hatte sie bereits nach den ersten vierundzwanzig Stunden wieder seelisch entsorgt. Doch Alain wollte sie unbedingt näher kennen lernen. Womöglich war er ihr Vater, oder wusste zumindest irgendetwas, was ihr auf die Sprünge helfen konnte. Denn medizinisch gesehen war es nun einmal eindeutig. Sie wurde gezeugt, von wem auch immer. Eine unangefochtene Tatsache.

      „Was macht diese Person in meinem Haus! Kannst du mir das erklären!“ Um elf Uhr morgens, am Dienstag nach Ostern, war Marie-Louise damals plötzlich mitten im Wohnzimmer gestanden, hatte Alain mit funkelnden Augen angekeift.

      „Du hast dich ja schnell getröstet, mein teurer Gatte. Nimmst dir ein junges Flittchen ins Haus, während ich mich vor meinen Freunden bemühe, eine plausible Ausrede für dein brüskierendes Verschwinden zu konstruieren!“

      Isabelle, in Marie- Louises Morgenmantel gehüllt, etwas strubbelig, doch bestens gelaunt, hatte Mühe das Tablett mit dem Frühstückskaffee nicht fallen zu lassen. Alain stand völlig hilflos da. Vergeblich versuchte er den aufgebrachten Wortschwall seiner Gattin zu unterbrechen. Ein aussichtloses Unterfangen. Madame stob wie eine Furie durch das Haus. Für sie war die Situation völlig eindeutig. Sie riss einige Koffer aus dem Garderobenschrank, kippte etwa fünf Dutzend Schuhe vor sich auf den Boden, fegte in die obere Etage, schmetterte eine Gemeinheit nach der anderen durch die weitläufigen Räume.

      Isabelle hatte die Szene damals beinahe belustigend gefunden. Als Marie Louise mit einem riesigen Berg Klamotten die breite Treppe wieder heruntertorkelte, stellte sie sich ihr in den Weg.

      „Madame, nur einen Augenblick. Bitte.“ Ein vernichtender Blick stampfte sie in den Boden, doch Isabelle sprach laut und deutlich weiter.

      „Madame, ich bin Isabelle Steiner aus Wien. Vielleicht erinnern sie sich an diesen Namen. Ich bin ihre Tochter!“

      Marie ließ den Wust Kleider fallen. Leichenblass stand sie einen Moment lang fassungslos, vor der jungen Frau. Alain war ebenfalls weiß im Gesicht geworden. Plötzlich lachte Marie- Louise hysterisch auf.

      „Sind sie ja völlig verrückt. Was fällt ihnen ein, eine solche Behauptung aufzustellen. Verschwinden sie augenblicklich aus meinem Gesichtskreis, oder ich rufe die Polizei.“

      Isabelles Lächeln blieb sphinxenhaft. „Sie glauben tatsächlich dies ist die Lösung ihres Problems. Ich habe es schwarz auf weiß!“ Isabelle hielt den Briefumschlag mit dem aufgebrochenen Siegel in die Luft. Marie- Louise stürzte sich wie von Sinnen auf das Mädchen, versuchte ihr den Brief aus den Händen zu reißen. Jetzt hatte sich auch Alain wieder gefangen. Vehement drängte er sich zwischen die beiden Frauen.

      „Kann mir vielleicht jemand erklären, was das alles zu bedeuten hat?“

      Marie-Louise ließ sich schluchzend auf den Teppich fallen. Sie spielte die Leidende, Missverstandene, Betrogene, mit perfekter Überzeugungskraft. Isabelle lief ins Gästezimmer. Wenig später stand sie, bepackt mit ihren wenigen Habseligkeiten, wieder im Raum.

      „Ich habe mich sehr gefreut Alain, dich kennen gelernt zu haben und danke dir auch von ganzem Herzen für deine Liebenswürdigkeit.“ Marie Louise bedachte sie mit einem vernichtenden Blick. Besser keine Mutter als eine solche, überlegte sie resigniert, nahm ihren Regenmantel vom Kleiderständer und öffnete die Eingangstür.

      „Warte Isabelle, ich bringe dich.“ Wenig später verließen beide in Alains Wagen das Haus. Er hatte eine ganze Weile gebraucht, die Sprache wieder zu finden. Schließlich hielt er vor einem Café, lud Isabelle zu einem ausgiebigen Déjeuner ein.

      „Was machen wir jetzt mit dir?“, fragte er etwas zögerlich. „Du hattest doch die Absicht in Paris zu bleiben? Nach diesem Vorfall hast du vermutlich deine Pläne geändert?“

      „Allerdings!“, meinte diese stockend. „Schade, ich hatte mir alles so schön ausgemalt.“ Richtig betrübt klang ihre Stimme. Aufsteigende Tränen füllten die wunderschönen Augen.

      „Du solltest aber dennoch nichts übereilen. Nimm dir ein Zimmer, und bleibe wenigstens noch ein paar Tage in der Stadt. Wir könnten uns dann wieder sehen, alles weitere in Ruhe überlegen.“

      Alain hatte seine Hand auf die ihre gelegt, drückte sie liebvoll, tröstend. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

      „Du bist ein feiner Kerl, Alain. Ich bin wirklich froh, dich kennen gelernt zu haben. Aber du hast ja Marie-Louises Reaktion selbst miterlebt. Sie mag mich nicht. Ich passe absolut nicht in ihre Lebensplanung. Aufdrängen will ich mich bestimmt nicht.“

      „Was hat dich denn gerade jetzt bewogen, deine leibliche Mutter zu suchen?“