Else Ury

Professors Zwillinge Bubi und Mädi


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Mann ist. Darum zeigt er, daß er noch mehr weiß. »Mein seine große Omama wohnt mit unserm Opapa in Freiburg, das is ganz doll weit weg.«

      »Und Mädis kleine Omama is in Berlin, das is gar nich doll weit. Da können Mädi und ihr Bubi immer mit der Puffpuffbahn hinfahren und schwei grosche Stück Kuchen kriegen.« Mädi will nun auch zeigen, daß sie nicht dümmer ist als Bubi.

      »Zwei große Stück Kuchen heißt es, Mädi.« Bubi muß in den zwei Stunden, die er früher auf der Welt gewesen ist als sein Zwillingsschwesterchen, entschieden besser sprechen gelernt haben. Er verbessert sie andauernd.

      Frau Annchen unterbricht die Auseinandersetzung. »Nun ist genug klug geschnackt. Jetzt nehmt ihr eure Eimerchen und buddelt Sand.«

      Bubi und Mädi ziehen mit Eimerchen und ihrer »Schippe« zu dem großen Sandberg in der Mitte des Spielplatzes, auf dem es von Kindern kribbelt wie auf einem Ameisenhaufen.

      Frau Annchen erzählt indessen den fremden Leuten, während sie die Nadeln an ihrem Strickzeug klappern läßt, daß sie schon über dreißig Jahre in der Winterschen Familie sei. Daß sie bereits den Vater von Bubi und Mädi, den Herrn Professor Winter, als er noch kleiner gewesen wäre als die beiden Kinder, auf ihren Armen getragen hätte. Ja, ja, das waren noch andere Zeiten, damals in Westpreußen. Aber jetzt sind die Polen da drin, und darum sei die alte Frau Winter, Bubis und Mädis kleine Omama, wie die Kinder sie immer nennen, weil sie kleiner ist als die andere Omama, mit ihr nach Berlin gezogen. Und sie, Frau Annchen, sei nun beim jungen Herrn Professor Kinderfrau geworden, und die lieben Kinderchen seien ja auch so artig. Hier muß Frau Annchen sich unterbrechen, denn sie bemerkt plötzlich zu ihrem Erstaunen, daß ihre lieben Kinderchen durchaus nicht artig sind.

      »Bubi, wirst du wohl nicht mit der Sandschippe hauen – aber Mädi, wer wirft denn andere Kinder mit Sand – pfui, wie unartig!« Frau Annchen setzt sich in Trab, um wieder Frieden zu stiften.

      »Na, wenn die ollen Kinder immer los mein sein ßönes Fernrohr, das ich und mein sein Mädi bauen, tot trampeln, denn muß ich sie doch doll verkloppen«, ruft Bubi mit blitzenden Augen und schwingt kriegerisch seine Schippe gegen die ängstlich zurückweichenden anderen Kinder.

      »Mädi schmeißt ihn die Augen voll Sand, daß sie behaupt nich mehr schukucken können, wenn Bubi und Mädi ihr grosches Fernrohr bauen.« Mädi läßt wiederum einen Sandregen über die kleinen Spielgefährten herniederprasseln.

      Da fühlt sie einen derben Klaps auf ihrer Hand.

      »Du bist ganz ungezogen, Mädi, Frau Annchen hat dich gar nicht mehr lieb.«

      Die braunen Kinderaugen füllen sich mit Tränen. Mädi wirft ihre Sandschippe fort und macht dafür mit der Unterlippe ein weinerliches »Schippchen«.

      Bubi schmiegt den braunen Kopf an Frau Annchens weiße Schürze. »Aber mich hat Frau Annchen doll lieb, weil ich gar nich gesmeißt, bloß gehauen habe«, sagte er eifrig.

      »Wenn du gehauen hast, ist das genau ebenso häßlich – schämt euch nur alle beide.« Frau Annchen geht wieder zu ihrem Strickzeug zurück.

      Bubi und Mädi sehen sich an und schämen sich. Aber weil das auf die Dauer ziemlich langweilig ist, schlingt Bubi tröstend den Arm um Mädi: »Laß man, Mädi, wein man nich, Bubi hat sein Mädi doch doll lieb, wenn sie auch mit Sand smeist.«

      Da ist Mädi wieder getröstet. Aber als Frau Annchen nach einem Weilchen zum Frühstück ruft, traut sich Mädi doch noch nicht wie Bubi, der seine Unart längst vergessen hat, auf sie loszustürzen und das weißblau gestreifte Leinenkleid von Frau Annchen, das so schön wie Seide knistert, zärtlich zu zerdrücken. Sie steht mit schuldbewußten Augen abseits und sieht zu, wie Frau Annchen zwei Lätzchen, die Butterbrote, die Milchflasche mit den niedlichen Trinkbechern und zuletzt noch eine Tüte Kirschen aus der gelben Strohtasche auspackt. Die Kirschen veranlassen Mädi, sich ein paar Schritt näher heranzuwagen.

      »Bischte noch böse, Frau Annchen?« Ihr kleines Händchen streichelt schüchtern die braunrunzelige Hand der alten Kinderfrau.

      »Wenn Mädi wieder artig sein und nie mehr mit Sand schmeißen will, ist Frau Annchen nicht mehr böse.«

      »Nie mehr schmeißen«, beteuert Mädi, den Kopf an Frau Annchens Brust versteckend. »Bloß manchmal, wenn mein sein Bubi verhaut wird.« Denn das kann Mädi nicht mit ansehen, daß man ihrem Zwillingsbrüderchen etwas tut. Dann wird das kleine Ding fuchswild, so brav es auch sonst ist.

      Und dann lassen sie sich beide die schönen Kirschen schmecken.

      »Die Steine in das Papier spucken«, sagt Frau Annchen.

      »Um Himmels willen keine hinunterschlucken, denn dann wächst ein Kirschbaum aus dem kleinen Bauch heraus.«

      Davor haben Mädi und selbst Bubi große Angst. Jedes Steinchen wird sorgsam in das Papier getan. Wenn aber zwei Kirschen an einem Stengel zusammengewachsen sind, dann ruft Bubi jubelnd: »Das sind Zwillinge wie ich und mein sein Mädi.«

      »Kirschenschwillinge sind das.« – Mädi hängt die roten Früchte ihrem Bubi als Ohrringe an jedes Ohr. Bubi tut dasselbe mit Mädis kleinen Ohren. Wenn sie ihr Frühstück aufgegessen haben und das Lätzchen abgebunden, gehen sie wieder zum Sandspielplatz. Und alle Kinder bewundern ihre schönen Kirschenohrringe.

      Nun wird weiter an dem großen Fernrohr aus Sand gebaut. Die Kinder, die vorher Bubis und Mädis Fernrohr kaputt getrampelt haben, helfen jetzt. Da ist es kein Wunder, daß es schnell wächst.

      »Bis in'n Himmel muß es reichen,« ruft Bubi, »sonst kann man die Sternßen behaupt nich sehen.«

      Ein alter Herr, der seinen Spaziergang macht, bleibt stehen und schaut zu.

      »Das wird aber ein großer Turm!« sagt er.

      »Das is behaupt kein Turm!« Bubi muß sich sehr wundern, daß solch ein alter Herr nicht mal ein Fernrohr von einem Turm unterscheiden kann.

      »Na, was soll denn das werden? Eine Puffbahn?« fragt der alte Herr wieder.

      »Och, das is behaupt keine Puffbahn, das is doch'n Fernrohr«, kommt jetzt Mädi ihrem Bubi zu Hilfe.

      »Was ist das?« Der alte Herr versteht sie nicht.

      »Ein Fernrohr – ein ganz großes, bis in'n Himmel.« Bubi schreit, daß die Bäume wackeln vor Schreck. Denn er denkt, der alte Herr hört schwer, weil er schon so alt ist.

      »Ein Fernrohr?« Jetzt lacht der Herr. »Ja, Kleiner, weißt du denn überhaupt schon, was ein Fernrohr ist?« Der alte Herr schüttelt verwundert den Kopf.

      »Natürliß. Vati hat doch eins.« Bubi ist geradezu in seiner vierjährigen Ehre gekränkt. »So 'ne lange Tute, die reicht bis in'n Himmel. Da kann man, wenn man doll artig ist, durchgucken, und alle Sternßen und alle Engelßen und'n lieben Gott sehen.«

      »Auf unsrer Galerie steht das Fernrohr, aber nich anfaschen, sonst beischt's, sagt Vati«, erzählt nun auch Mädi.

      Frau Annchen kommt schnell herbei. Das tut sie immer, wenn ein Fremder mit ihren Kindern spricht.

      »Seit fünfzig Jahren gehe ich hier in dem Treptower Park spazieren,« sagt der alte Herr zu Frau Annchen, »viele Kinder habe ich beim Sandspiel beobachtet. Sie haben Kuchen gebacken, hohe Berge mit Brücken gebaut, Häuser, Bahnen und Tunnel. Aber daß ein Kind ein Fernrohr baut, das habe ich in den ganzen fünfzig Jahren noch nicht gesehen.«

      »Das macht bloß, weil wir so ein großes Ding auf unserer Galerie stehen haben«, erklärt Frau Annchen, »Was nämlich der Vater von unseren Kindern ist, der ist Professor hier an der Treptower Sternwarte, und da studiert er immer die Sterne durch sein langes Rohr. So, Bubi, mach'n Diener, Mädi, mach'n Knicks. Packt eure Sachen zusammen. Wir müssen jetzt nach Haus.«

      Frau Annchen wischt ihnen die sandigen Händchen ab. Bubi macht einen Knicks und Mädi einen Diener. Das tun sie immer aus Ulk, weil es ihnen Spaß macht. Aber der alte Herr merkt es gar nicht. Denn sie sehen ja ganz gleich aus.

      Dann nimmt Frau Annchen die