Sandra Borchert

Liebe gibt es nicht nur einmal


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gefallen waren, zu helfen. Wir gingen gemeinsam ihre Sachen durch und sortierten sie aus. Danach schrieben sie gemeinsam alle Erinnerungen auf und halfen sich gegenseitig mit den Behördengängen und auch mit den Begräbnissen. Es war keine schöne Zeit, aber sie half uns allen näher zu kommen. Am Ende war es wie eine große Familie. Der Neid, der sonst zwischen den Frauen auf dem Camp herrschte, war vergessen.

      Auch nach fast über einem Jahr hatten wir noch immer nichts von meinem Vater gehört. Ich war mir nicht sicher, ob ich hoffen oder bangen sollte. Mein Herz hoffte so sehr, doch mein Verstand blieb realistisch und war auf das Schlimmste vorbereitet.

      Als Deutschland 1945 die Kapitulation erklärte, atmeten wir alle auf. Zwar hatten wir noch Glück, denn London war im Vergleich zu anderen Städten noch glimpflich davon gekommen und die Truppen hatten auch Surrey nicht erreicht, aber die Alpträume und die angst, die wir in den letzten Jahren durchlebt hatten, würde wohl niemand von uns jemals vergessen können. Von nun an galt es aber nur nach vorne zu schauen. Wir mussten stark sein, um unser Leben neu zu ordnen und uns für die Rückkehr der Männer vorbereiten zu können. Doch so schnell wie wir hofften, keiner von ihnen zurück. Wir warteten Tage, Wochen, Monate...dann hatten wir Gewissheit. Ein Brief erreichte uns. Mein Vater war in Dresden gefallen. Das längst erwartete wurde nun Gewissheit.

       III

      Es folgten Meere von Tränen und Trauer. Aber das Leben musste auch ohne meinen Vater weitergehen. Also beschlossen wir in die Innenstadt von London zu ziehen und unser Leben neu zu ordnen. Meine Mutter suchte sich einen Job als Sekretärin bei einem jüdischen Immobilienmakler. Und auch ich wurde an der Universität in Oxford angenommen. Mutter entschied, dass ich das Abfindungsgeld der Armee zunächst einmal für mein Studium nutzen sollte, auch wenn es nicht die gesamte Studienzeit überbrücken würde. Nun konnte es endlich los gehen. Also schrieb ich mich 1945 endlich für die Fächer Latein, Englisch, Französisch und Deutsch ein. Zuerst lebte ich noch bei meiner Mutter und fuhr jeden Tag zwischen London und Oxford hin und her. Aber schon bald fand ich einen Job bei einem Photographen und konnte mir eine kleine Studentenwohnung in Oxford leisten. Für ein Stipendium war ich zunächst nicht gut genug. Weg vom zerstörten London, konnte ich endlich ein neues Leben beginnen und blühte so richtig auf. Bald freundete ich mich mit anderen Mädchen in der Universität an. Wir wurden eine so richtige Bande. Wir machten gemeinsam Hausaufgaben, gingen schwimmen oder gingen in ein Tanzlokal. Tanzen war schon immer meine Leidenschaft gewesen. Ich lernte es von meiner Mutter. Sie war Tanzlehrerin, bevor sie meinen Vater heiratete. Oftmals beobachtete ich sie durch das Schlüsselloch, wenn sie abends eng umschlungen im Wohnzimmer sich zur Musik hin und her wiegten.

      Gemeinsame Nächte mit meinen Freundinnen, bedeuteten meist, dass wir am nächsten Tag neue Schuhe brauchten – so sehr durch tanzten wir unsere alten. Meine Freundinnen übernachteten immer bei mir und wir redeten dann immer noch bis in die frühen Morgenstunden hinein. Wir sprachen über alles, was uns in den Kopf kam. Ja, auch über Jungs. Schon damals waren Jungs ein sehr gefragtes Thema. Natürlich ging es damals nicht um Sex. Es ging mehr ums Heiraten und darum eine Familie zu gründen. Mir lag nie viel am frühen Heiraten. Ich wollte damals erst noch meine Jugend genießen, arbeiten und viel Reisen. Zwar wurden wir oft von Camp zu Camp versetzt, als ich noch klein war, aber die Welt außerhalb Englands, hatte ich noch nie gesehen. Wenn mich das Fernweh packte,schloss ich meine Augen und träumte mich nach Paris, Rom und vielleicht auch New York. Jäh gestört wurden meine Träume meist durch meinen Wecker, der jeden Morgen gnadenlos klingelte.

      Auch an diesem bestimmten Sonntag war dies wieder der Fall. Ich hatte meinem Chef versprochen ihm ausnahmsweise beim Entwickeln wichtiger Photos für eine Zeitung zu helfen. Es war Sommer und am frühen Morgen schon so warm, dass man am Liebsten in Unterwäsche zur Arbeit gegangen wäre. Auf dem Weg zur Arbeit, besorgte ich noch ein paar Brötchen und etwas Marmelade, damit wir etwas hatten, falls wir hungrig werden. Ich war überrascht, denn mein Chef war gar nicht da. Stattdessen öffnete mir jemand anderes die Tür. Ein junger Mann. Vielleicht sechs oder sieben Jahre älter als ich, schaute mich mit seinen großen, blauen Augen an: „Oh, guten Morgen. Kommen Sie doch bitte rein.“, sagte er und schloss die Tür hinter mir. „Entschuldigen Sie bitte die Unordnung. Ich konnte das Photopapier nicht finden. Ach ja, mein Name ist übrigens Phillip und ich bin die Vertretung. Sie müssen Lucy sein. Freut mich Sie kennen zu lernen. Leider wurde mir nicht gesagt, wo ich was finde. Vielleicht können Sie mir helfen?“ Dabei schaute er mich ganz verlegen an.

      Ich zeigte ihm, wo was war und wir arbeiteten den ganzen Tag an den Photos. Natürlich schwiegen wir uns nicht an. Er erzählte mir von seinem Studium und von seiner Familie. Er erzählte mir, dass er eines Tages in Londons Westend leben wollte und ein berühmter Kunstphotograph werden wollte. Es machte Spaß mit ihm zu reden. Er war viel intelligenter als die meisten Jungs in meinem Alter. Er war an allem interessiert. Vor allem an künstlerischen Dingen. Er schwärmte mir von der Oper und vom Theater vor. Sein Lieblingsstück war „Romeo und Julia“ und er konnte jeden einzelnen Vers zitieren. Fasziniert lauschte ich seinen Worten. So schnell verging die Zeit noch nie.Es war schon dunkel, als wir die Tür hinter uns abschlossen. Phillip war ein Gentleman und brachte mich noch bis zu meiner Haustür. Angeblich hatte er Sorge, dass mich jemand überfallen würde. Ich war etwas verlegen, denn zur Tür gebracht wurde ich noch nie und mit Männern hatte ich bisher sowieso noch nie was im Sinn. Aber an diesem Tag, fühlte ich ein wenig anders. Phillip sagte, er würde morgen wieder im Studio sein. Komischerweise konnte ich das schrille Klingeln meines Weckers diesmal nicht abwarten.

      Am nächsten Tag waren meine Freundinnen sehr erstaunt darüber, dass ich nur noch über meinen Sonntag sprach. Sie behaupteten, ich sei verliebt, aber dass war natürlich völliger Unsinn. So etwas konnte mir doch nicht passieren. Aber so ein seltsames Gefühl hatte ich schon im Bauch. Strahlend und mit meinen Büchern unter dem Arm, machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. Aber ich wurde jäh enttäuscht. Kein Phillip da. Ich konnte meine Enttäuschung kaum verbergen. Etwas missmutig begann ich mit meiner Arbeit. Das blieb auch meinem Chef nicht verborgen: „ Ach Lucy, ich soll dir einen lieben Gruß von Phillip bestellen. Leider kann er heute nicht kommen. Er hat einen wichtigen Vorstellungstermin beim Hofphotographen in London. Komm, lächle mal wieder, er hat dich nicht vergessen.“, grinste er mich an. Ich und lächeln, bah! Als ob das was mit irgendeinem Mann zu tun hätte. Tja, leider hatte es das. Natürlich ging es mir viel besser, nachdem ich das gehört hatte. Phillip hatte an mich gedacht. Das machte mich stolz und glücklich. Er dachte also nicht, dass ich noch jung und töricht sei. Von nun an ging es mit der Arbeit wieder leichter voran.

      Die Wochen und Monate gingen vorbei. Phillip und waren ein gutes Team. Er war immer nett, selbst wenn ich einen Fehler machte, nahm er es mir nicht übel. Wir verbrachten die Pausen zusammen und er erzählte mir von den neuesten Theaterstücken und der neuesten Architektur. Er half mir sogar bei meinen Hausaufgaben. Manchmal saßen wir auf einer Decke im Park und er hörte mir zu, wie ich Vokabeln lernte. Dann nahm er mein Buch und fragte sie mich ab. So lernten wir gemeinsam für meine Abschlussprüfung. Dann war der Tag gekommen. Ich bestand meine Prüfung mit 1+. Ohne Phillip hätte ich das nie geschafft. Ich kaufte ihm eine Neuauflage von „Romeo und Julia“, und lief damit ein letztes mal zum Studio, um mich zu bedanken. Außer Atem öffnete ich die Tür, aber er war nicht da. Ich schaute mich um, aber nirgendwo eine Spur von ihm. Was war passiert? „Ah Lucy! Es ist so Schade, dass du uns heute verlässt. Schau mal, ich habe hier eine Portrait Serie von uns allen, damit du uns nicht vergisst.“, sagte mein Chef. Und da war er, von einem Photo lächelte er mich an – Phillip. „Hier meine kleine, das ist für dich. Phil hat es hier gelassen. Ich wünsche dir alles Gute mein kleiner Lockenkopf. Wenn es dir mal nicht gut geht, dann kannst du immer zu uns kommen. Du warst die beste Mitarbeiterin, die wir jemals hatten.“ So richtig hatte ich nicht verstanden was mein Chef gerade gesagt hatte, denn ich konnte nur noch auf den Brief starren. Ein Brief? Warum schrieb er mir einen Brief? Das konnte doch nichts gutes heißen.

      Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Es war kurz vor Weihnachten und es war so kalt. Es erschien mir so, als ob es noch nie so kalt gewesen und auch nie wieder so kalt werden würde. Da stand ich nun, mein Geschenk für Phillip in der Hand. Vor lauter Schreck hatte ich