umarme ich sie erst einmal noch freundschaftlich, bevor ich ihr eine Zigarette anbiete und ihr ein Glas Wein einschenke.
„Du machst das richtige, wenn du mich fragst“, höre ich mich sagen.
„Meinst du?“ Ihre Stimme zittert noch, aber sie zündet die Zigarette an und wischt sich ein paar Tränen aus dem Gesicht.
„Ich meine, der Kerl ist doch ein Arsch.“ (Hollywood lässt grüßen)
„Ja, aber ich liebe ihn doch noch, irgendwie.“
„Wieso?“
„Na ja, ich weiß auch nicht. Irgendwie will ich das ja auch nicht alles wegschmeißen.“
„Aber du hast doch schon Schluss gemacht. Und jetzt zurück gekrochen kommen ist ja auch irgendwie erbärmlich.“
Vielleicht hätte ich das nicht so drastisch sagen sollen. Jetzt schweigt sie und sieht sich Hilfe suchend im Raum um. Wahrscheinlich wird ihr gerade klar, dass ich Recht habe. Im Begreifen ist sie manchmal ziemlich schnell. Ich frage mich, ob sie aus Rache an ihrem Ex mit mir schlafen wird. Es hätte rein gar nichts zu bedeuten. Sex unter Freunden. Scheiße, jetzt fühle ich mich erbärmlich. Aber eine tolle Figur hat sie schon.
„Weißt du, ich hab geglaubt, Jochen wäre anders als die anderen. Er war immer so liebevoll und wir hatten immer Spaß, wenn wir zusammen waren. Klar, der eine oder andere Streit, aber alles in allem. Und dann fickt er da vor meinen Augen mit dieser Schlampe rum...“
Das war’s. Sie hat sich eingeschossen. Phase zwei. Nach zwei Stunden Heulkrampf folgt der tiefe innige Hass. Ich habe irgendwann einmal etwas über fünf Stufen der Beziehungsbewältigung gelesen. Bei Steffi gibt es, soweit ich das abschätzen kann, aber wohl nur drei. Wenn bei mir was zu Ende ist sind es sogar noch weniger. Zwei oder so. Hass oder Trauer und Akzeptanz. In schätzungsweise einer halben Stunde werden wir zu Steffis Phase drei vorstoßen können: „Akzeptiere den Verlust“. Sie wird mir danken, mich umarmen, nachhause fahren und einen Brandsatz unter Jochens Auto installieren. Bis dahin muss ich jetzt nur noch nicken, hin und wieder ein „Ja, stimmt“ oder ein „Genau“ von mir geben und schon bin ich wieder ihr persönlicher Held. Sie schuldet mir dafür nichts. Immerhin durfte ich in der achten Klasse ihre Brüste berühren. Ich war einer der ersten Jungs, die so etwas Glorreiches getan haben. Aber ich behielt es für mich und musste immer lachen, wenn ich die anderen Geschichten hörte, die so einfach niemals passiert sein konnten.
Ja, für Steffi – für meine ersten Brüste – werde ich immer da sein.
3 – Adolf
Ich brauche einen Namen für meine Spinne. Immerhin ist sie da jetzt schon seit anderthalb Wochen gefangen. Im Internet steht nicht, wie lange sie ohne Nahrung überleben kann. Zumindest habe ich dazu noch keinen Artikel gefunden. Aber ich bastele gerade an einem kleinen Terrarium, weil ich nach der Sechs-Stunden-Schicht im Café jetzt noch ziemlich unter Strom stehe und eine Abwechslung brauche. Etwas Dümmeres ist mir da leider nicht eingefallen. Ich habe vor drei Monaten ein altes Aquarium auf dem Flohmarkt erstanden, das aber beim Heimtransport irgendwie ein Loch in die Scheibe bekommen hat.
Fische hätten bei mir wahrscheinlich sowieso nicht überlebt, weil ich dazu neige, solche Viecher zu überfüttern. Ich mag es, wenn sie freudig an die Wasseroberfläche schwimmen, um nach diesen kleinen Plättchen und Körnchen, was immer das ist, zu schnappen. Ich hätte wohl aus Langeweile einen Wettbewerb daraus gemacht. Mal sehen, welcher Fisch am meisten fressen kann. Ich bin sicher, dass der Dicke, der immer in Bodennähe bleibt, gewonnen hätte. Der hätte einfach gewartet und alles, was übrig bleibt, gefuttert.
Aber daraus wird ja nun nichts. Stattdessen fülle ich den Boden des Aquariums mit guter Blumenerde aus einem Topf, in dem eine sehr traurige Pflanze ihre letzten Tage verbracht hat, bevor sie dahinschied und nenne das ganze Terrarium. Dazu lege ich ein paar Äste und stelle ein paar Plastiksoldaten auf, die ich tatsächlich in die neue Wohnung mitgenommen habe. Ich überlege noch ein bisschen und entscheide mich für ein Szenario aus dem zweiten Weltkrieg. Die Landung der Amerikaner in der Normandie. Dafür schichte ich die Erde noch ein bisschen um, hole etwas Sand vom Spielplatz und baue aus einer alten Frischhaltedose ein eindrucksvolles Meer, auf dem ich einen alten Plastikmodellbausatz eines Schiffes fahren lasse. Für die Geschützbunker muss ich mir allerdings noch etwas einfallen lassen.
Zugegeben. Das ganze sieht noch nicht perfekt aus, aber die Vision wird klar. Auf das Terrarium klebe ich noch eine alte Holzlatte, damit man die Frischhaltedose von außen nicht erkennt.
Dann kommt der schwierigste Teil. Meine Badewanne und die Spinne. Ich muss sie da irgendwie rausbekommen, ohne dass sie mich berührt, oder sich zu schnell bewegt. Ich glaube, dass ich meine Angst vor Spinnen nie ganz bewältigen werde, aber das hier ist ja nur der Anfang. Ich kann sie hinter Glas beobachten und sie füttern und irgendwann habe ich überhaupt keine Angst mehr davor, sie anzufassen. Zumindest ist das das Ziel des Experimentes.
Jedenfalls muss das Vieh da jetzt rein. Ich mach mir doch nicht einfach so die ganze Mühe und traue mich dann nicht mehr. Ich hole ein Blatt Papier und ein altes Senfglas. Ich brauche drei Anläufe, bis ich mich überwinde, das insgesamt circa fünf Zentimeter lange Tier unter dem Glas auf das Papier zu schieben und dann noch einmal vier Anläufe, bevor ich dieser Falle, die ja eigentlich die Rettung des Tieres ist, genügend vertraue und die Spinne ins Terrarium trage.
Sie wirkt ziemlich verstört und bewegt sich nicht. Also hole ich mir ein Bier aus dem Kühlschrank, denn ich möchte meinen Triumph feiern und das Tier muss sich ja auch noch an die neue Umgebung gewöhnen.
Als ich wiederkomme hat meine Spinne doch tatsächlich einen Soldaten umgeworfen und eine Miene aufgesetzt, als hätte sie gerade wirklich den Krieg gewonnen. Sie bemerkt nicht, dass um sie herum noch ein Dutzend andere Alliierte stehen, die sie jederzeit kaltmachen könnten. Und an der Küste lauern noch mehr. Zudem sind die Deutschen, auf deren Seite sich meine Spinne ja gerade geschlagen hat, mäßig geschützt und in Unterzahl. Sie wird den Krieg wohl verlieren. Aber na gut, wenn sie es so will.
Ich werde sie Adolf nennen. Der war in diesem Punkt ja auch nicht so helle, mal ganz davon abgesehen, dass der Rest, den er verzapft hat, vollkommener Schwachsinn war.
Ich rufe bei einer Tierhandlung an und frage nach, was mein Adolf denn so am liebsten frisst. Der Mann am anderen Ende der Leitung ist ziemlich überfordert, meint aber, dass es Spezialgeschäfte für Spinnen und Reptilien aller Art gäbe und dass diese Geschäfte wohl das Richtige für mich hätten. Er gibt mir sogar eine Adresse, aber in so einen Laden kriegt mich niemand rein. Da gibt es auch Schlangen und Krokodile und so was alles. Ich bestelle von nun an den Hausspinnen-Mix im Abonnement über das Internet und bekomme jeden Monat eine neue Lieferung ins Haus. Niemand möchte wirklich wissen, was da drin ist. Aber Adolf scheint es zu mögen und irgendwann stelle ich sogar die Bunker auf.
Falls ich mir einmal einen Leguan zulege, werde ich ihn Franklin nennen.
4 – Ina
Zieh dich aus, so dass man alles sehen kann. Schau dich an und du findest eine Stelle, die dir nicht gefällt. Du kannst noch so viele Schönheitskonkurrenzen gewonnen haben, noch so viel Muskeltraining hinter dir haben, aber besser wird es einfach nicht. Diese eine Stelle ist immer da. Vielleicht ist es deine Brust, vielleicht dein Arsch, deine Knie oder dein rechter Oberarm. Auf jeden Fall gibt es diese Stelle und du kriegst sie einfach nicht weg.
Stell dich auf eine Waage und frag dich, ob das eine oder andere Pfund wirklich eine Berechtigung hat, um sich an deinem Körper zu manifestieren. Wie immer du es drehst und wendest, das Leben ist einfach nicht fair zu dir. Und du bist außerdem der einzige Mensch auf der Welt, dem das so geht...
Ich habe wieder angefangen. Die nächste sinnlose Diät in meinem Lebenslauf. Ich will wieder schlank sein. Wieder schön sein. Früher hatte ich keine Probleme mit Dingen wie dem Freibad oder damit, mein T-Shirt auszuziehen, wenn es heiß war. Heute überlege ich mir dreimal, wie das auf die Menschen um mich herum wirkt. Ich meine, das ist