Karina Förster

Spring!


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      SPRING

      Verdrängte Gefühle

       Teil 1

       Karina Förster

      Widmung

       Liebe ist der Entschluss, das Ganze eines Menschen zu bejahen, die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen.

       Otto Flake

      DANKSAGUNG

      Danke an alle, die an mich glauben und mir tagtäglich Hoffnung und Kraft geben.

      Es sind wenige, weil viele gingen, die es (mich) nicht wahr haben und akzeptieren wollten.

Qualität siegt immer über Quantität.

      Prolog

       2004 – am Ostseestrand

      » моя красавица - Maja K raßáwitza (Meine Schöne), was hast du da in der Hand?«

      »Ein Auge, бабуля - babulya (Omi). Sieh!«

      Ich reiche ihr einen bildschönen Bernstein, den ich vor dem Sonnenlicht betrachte.

      »Elja, er leuchtet!«, staunt meine Großmutter, die ihn nun auch gegen die Sonne hält, um ihn sich zu besehen.

      »Da, babulya (Ja, Omi) . Er leuchtet. Es erinnert mich an jemanden. Ich habe ihn im Meer gefunden.«

      »Wann?«, will sie wissen.

      »Als wir мамочка - Mamotschka (Mutter) zu Grabe brachten«, antworte ich und ignoriere das verwunderte Gesicht meiner Großmutter.

      Wir haben meine Mutter vor acht Jahren begraben und verbringen unseren ersten Urlaub an der Ostsee. Hier begann ich Bernsteine zu suchen. Fragend beäugt mich meine Oma und ich erinnere mich an einen kalten Märztag vor acht Jahren.

      Meine Familie hatte sich auf dem russisch-orthodoxen Friedhof in Berlin-Tegel versammelt. Großmutter schickte mich kurz aus der Kapelle, deren Deckengewölbe mich an das dunkle Grab erinnerte, in das meine Mutter gelegt werden würde.

      Ich hockte an der geöffneten Doppeltür und sah stumpf auf den Boden vor mir, als zwei Füße in meinem Blickfeld auftauchten.

      »Bist du traurig?«, wurde ich leise gefragt und blickte hoch. Aus der Kapelle, in die der Mann starrte, drang das Gemurmel des Absolutionsgebetes. Ich sah in sein Auge, in das seitlich das Licht der Sonne einfiel und die braune Iris zum Leuchten brachte. Mein Herz wurde bei diesem Anblick weich.

      »Meine Mamotschka«, erklärte ich knapp und er drehte sein Gesicht zu mir.

      »Mein Beileid«, sagte er und betrachtete mich.

      Nicht seine Worte waren es, die mich in den Himmel hinauf zogen. Es war die Art, wie er mich ansah. Es war die Art, wie sich Stille in mir ausbreitete und mich mehr über den erlittenen Verlust hinwegtröstete, als alle lieben Worte zusammen.

      »Kann ich dich heiraten?«, fragte ich absurderweise auf Russisch, als mein Großvater zu uns trat, um mich für die Verabschiedung zu holen.

      Der bildschöne Mann vor mir lächelte und ließ mein Herz hoffen, doch hinter ihm erschien eine Frau mit brünetten Haaren, die meine Worte gehört hatte und mich jetzt verspottete: » младенец - mladenetz (Säugling/Baby). Er ist leider schon vergeben!« Sie schlang ihre Arme um ihn und zog ihn fort. »Ich fasse es nicht, da will dich ein halbes Baby heiraten!«

      »Sei still, Gina!«, hörte ich ihn sagen. Sie zog ihn weiter fort, küsste seinen Hals und guckte triumphierend zu mir. Mein Herz war erst sieben, aber auf der Stelle gebrochen, als sich ihre Lippen auf seinen Mund legten.

      Mein Großvater hob mich hoch.

      »Interessiert er dich?«, fragte er und ich bejahte.

      »Wenn er die dort küsst, dann kann er mir gestohlen bleiben!«, kommt es mir bitter über meine Lippen und in meinem Herzen regte es sich wild flatternd.

      »Elja, was soll er denn machen? Er ist doch noch ein Junge und kann gar nicht heiraten!«

      Für mich war er kein Junge, für mich war er ein Mann und noch dazu der Schönste, den ich in meinem Leben gesehen hatte.

      »Wenn er es wollen würde …«, beharrte ich starrsinnig und sah finster zu ihm.

      »Elja, Elja, dein Maß ist falsch eingestellt. Bring es bitte in die Werkstatt und lass es prüfen!«, tadelte er mich leise und ging mit mir auf dem Arm durch die Doppeltür.

      Als sich der schöne Mann unten an der Treppe zu mir umsah, steckte ich voller Verachtung meine Zunge zu ihm heraus, weil er an seiner Hand eine Andere hielt. Er schickte mir einen Luftkuss, doch ich wandte mich von ihm ab.

      Am Sarg erzählte ich Mama weinend von meinem Kummer und bat sie, etwas bei sich aufzubewahren. In Kürze würde ihr Sarg zugenagelt werden und ich wusste, dass es bei ihr sicher aufgehoben war. Versteckt und sicher, tief in der Erde, bei einem Menschen, dem ich vertraute. Niemand würde es dort finden können, außer mir, wenn ich wollte.

      »Zeig mal her, Elja!«, bittet mein Großvater mich jetzt über das Kreischen der Möwen hinweg. Er besieht sich den Bernstein mit der seltenen Farbe. »Du hast ihn im Meer gefunden?«

      Ich nicke und streiche mir Sand von meinen Füßen. Der Himmel ist sommerlich blau und die wenigen Wolken, die dort kleben, lösen sich langsam auf.

      »Und es ist ein Auge?«

      »Ja.«

      »Du steckst ihm die Zunge heraus und kannst ihn dennoch nicht vergessen?«

      »Nein. Nur, wenn Gott es will.«

      »Elja, Elja! Lass bitte Gott aus dem Spiel!«

      Kapitel 1

       2010

      Mein Körper hängt im hellgrünen Wasser. Regungslos verharre ich und genieße die Stille. Hektisch flattern die Blätter in den Wipfeln der umliegenden Bäume und erinnern mich an die Vielzahl von Menschen in dieser Hauptstadt. Jedes Blatt ein Mensch. Jeder Mensch hektisch.

      Mein Rumpf ist straff, damit ich nicht untergehe. Zu Kinderzeiten nannten wir dieses Spiel Leiche .

      Die Regeln denkbar einfach. Wer sich am längsten regungslos auf der Wasseroberfläche hielt, hatte gewonnen. Es hat überhaupt nie einer gewonnen. Es gab stets jemanden, der Wasser in Gesichter spritzte.

      Im Gegensatz zu damals ist heute niemand hier, der mein Spiel unterbrechen will. Ausgenommen meine Freundin Uta. Aber die frottiert sich am maroden Holzsteg schon. Sie zählt also nicht.

      Es ist Mitte Juli. Bestes Badewetter. Die Sonne steht hoch am Mittagshimmel und wird nur von dürftigen kleinen Wolken bedeckt, die träge ihren Weg nach Osten fortsetzen. Gerade so, als müssten sie es tun, damit die Welt in Bewegung bleibt.

      Himmlisch still ist es hier und nur selten fahren Boote diesen Seitenarm der Müggelspree entlang.

      Kaum jemand hat es hier eilig. Noch nicht einmal die Boote, die hier entlang fahren, um zu ihren Grundstücken zu gelangen. Die liegen malerisch zwischen Hecken und Bäumen versteckt.

      Auf der Müggelspree, dem Hauptarm des Flusses, sind um diese Jahreszeit mehr Boote unterwegs, als Autos auf Autobahnstrecken. Im drei Minuten Takt fahren dort en masse Ausflugsdampfer vorbei.

      Störend sind dabei die Freizeitraser. Die spielen gerne mal James Bond nach. Ihnen ist es dabei egal, ob es ihre eigenen oder gemieteten