Karina Förster

Spring!


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ihre Augen. Für wenige Augenblicke ist sie still.

      »Wenn ich hierbleiben könnte«, sinniere ich. »Ich würde das Haus sanieren und wir könnten im Sommer hier schwimmen gehen. Dein Auto würde in der Einfahrt stehen und müsste nicht um die Ecke parken.«

      »Hmhm. Träume weiter!«, grient meine Freundin. Jedes Mal erzähle ich ihr das. Jedes mal lacht sie mich aus.

      Lachend schiebe ich mir eine Weintraube in den Mund und rücke den halb trockenen Bikini im Nacken zurecht. Sie ist meistens skeptisch. Wie so viele Menschen wagt sie nicht, von Höherem zu träumen. Mich hält das jedoch aufrecht.

      "Du wirst sehen", sage ich ernst. Uta lacht aus voller Kehle über meine Träume. Sie hat Mühe, sich wieder zu beruhigen.

      Mein Bikini zwickt. Schon ewig schiebe ich es vor mir her einen Neuen zu holen. Nie habe ich ernsthaft Lust dazu. Kleidung zu kaufen entspannt mich überhaupt nicht. Ich bin ein seltenes Exemplar, ich weiß. In den unzähligen Läden und Kleiderstangen zu wühlen stresst mich mehr als alles andere. Ich bin an Kleidung interessiert, die lange Tragbar ist.

      Das grenzenlose Angebot strapaziert meine Nerven. Letzten Endes hält es mich sogar davon ab, mir endlich einen Neuen zu kaufen. Für die Konsumgeilheit bin ich auch zu bodenständig erzogen worden.

      Nach dem Tod meiner Mutter wuchs ich bei meinen Großeltern auf. Sie waren russische Auswanderer, die einfach und zurückhaltend lebten. Bis zu ihrem Tode. Mein Vater verließ meine Mutter für eine andere Frau. Ich war sieben und erinnere mich nur noch bruchstückhaft an ihn. Ich glaube er war Arzt.

      Die Geräusche der Umgebung werden durch dröhnende Bässe unterbrochen, die sich immer mehr zu nähern scheinen. Ich sehe verwundert zu Uta, denn die Wucht der Bässe pocht und dröhnt schon im Magen.

      Merengue.

      Zu diesen Klängen ertönen Freudenrufe und lautes Geschrei, welches von einem Schiff kommt, das sich langsam nähert.

      Ich finde das echt seltsam. Es gibt hier kein Publikum wie auf der Müggelspree. Partyboote sind auf Berliner Flüssen in den warmen Sommertagen an der Tagesordnung. Nichts Besonderes. Braungebrannte Körper, laute Musik, und vornehmlich junge Menschen.

      Hier wirkt es fremd und bizarr. Es passt so gar nicht in die friedliche, idyllische Umgebung. Hier ist kein Publikum, das gerne mal winkt. Na ja, außer uns.

      Mich begeistert lateinamerikanische Musik. Sie geht sofort in das Blut und versetzt den Körper in Schwingung. Die Adern weiten sich und mein Kopf wird still.

      Und da ist es nun zu sehen. Gemächlich schippert es durch das grünliche Wasser und arbeitet sich voran.

      Mit Schiffen kenne ich mich zu wenig aus, um genau sagen zu können, welcher Typ und welche Klasse hier gerade an mir vorbei fährt. Was ich aber erkennen kann, ist, dass es protzig ist. Doch das beeindruckt mich wenig. Mich beeindrucken die Klänge und die Stimmung an Bord. Ungefähr zwanzig Menschen hüpfen auf Deck zur Musik. Von dort verbreiten sie gute Laune, die sie zweifelsohne haben und mich damit plötzlich anstecken.

      Der Gewohnheit folgend, fange ich an zu tanzen.

      Das Boot zieht langsam vorüber.

      Einige Partygäste bemerken mich. Sie schreien entzückt und winken mir zu. Ihr Tanz wird wilder.

      Ein Tanzbattle. Für mich ein atemberaubendes Erlebnis und es ist nicht von dieser Welt.

      Wie belebt und angeregt, winke ich und freue mich über die Resonanz, die mein Tanz hervorruft.

      Seit ich ein kleines Kind bin, tanze ich und fühle mich dabei frei und unbeschwert. Ohne Sorgen oder Ängste. In diesem Augenblick liebe ich den schönen Tag, den Moment und alle Möglichkeiten, die mir in meinem jungen Leben offen stehen. Egal wie verrückt es erscheint.

      Für die Leute auf dem Boot sind Menschen, die ihnen vom Ufer zuwinken, sicher nichts Besonderes. Aber meine Tanzeinlage schon. Das merke ich daran, dass ich tosenden Applaus ernte. Ich danke und verbeuge mich grazil.

      Um mich herum vergesse ich alles. Ich fühle mich mit den Partygästen so verbunden. Ein neues Gefühl. Es ist so übermächtig, dass mir jetzt ein wenig flau im Magen wird und ich flacher als sonst atme.

      Über das ganze Gesicht strahlend, denke ich darüber nach, wie es wäre, wenn ich auch auf dem Boot sein könnte. Diesen Wunsch habe ich bislang nie bei einem der vorbeifahrenden Boote verspürt. Egal wie gut gelaunt oder fröhlich die Leute an Bord gefeiert hatten. Das hier war etwas anderes. Besonders.

      Einmalig in einem Menschenleben und ich ärgere mich, dass das Boot ohne mich seinen Weg fortsetzt. Wer springt denn schon einem Boot hinterher, um dort mit Fremden mitzufeiern? Zu verrückt und sonderbar.

      Und doch, dort an Bord bis in die Nacht mitzufeiern hätte ich mir in diesem Moment sehr gut vorstellen können.

      Jetzt ist eine befremdliche und dumpfe Traurigkeit in mir, wo bis eben alles voller Leben und Möglichkeiten schien.

      Die Stille empfinde ich als stumpf, die Farben farblos und die Fülle als Leere.

      Wie das möglich sein kann, ist mir unbegreiflich und rätselhaft. Ich kann es lediglich als einen Teil beschreiben, der mir aus meinem Herzen entrissen wurde. Dieser Teil gleitet ohne mich davon. Benommen stehe ich auf dem alten Holzsteg und Uta sieht mich mit überraschtem Blick an.

      »Was war das denn? Die auf dem Boot sind förmlich ausgeflippt, als du getanzt hast und du bist ja jetzt noch völlig high.«

      Das eben Erlebte war für mich auch neu und ungewöhnlich. Von meinen Eindrücken, ganz zu schweigen.

      »Unglaublich! Na ja, so wie du tanzen kannst, bist du schon ein echter Kracher. Da wundert es mich nicht, wenn die völlig ausflippen. Ich dachte schon sie kommen her und rauben dich, damit du sie an Bord anheizen kannst.« Uta lacht und ich muss bei diesem Gedanken einstimmen.

      »Ach, Uta. Wer mich raubt, bringt mich nach einer Stunde freiwillig wieder zurück. Es war einfach nur schön!«, sage ich immer noch berauscht in die Richtung blickend, in der das feiernde Boot entschwunden ist. Weitergefahren. Ohne mich.

      Nun ist von dem Bass nichts mehr zu spüren und die Natur hat wieder die Oberhand. Sicher sind die Fische an den Steg zurückgeschwommen und die Vögel in den Wipfeln der Bäume trällern ihr Lied weiter. Eigentlich alles in Ordnung.

      Und dennoch …

      »Einfach ausgelassen tanzen. Ich konnte nicht anders und hatte richtig Lust in das Wasser zu springen, rüber zu schwimmen, mitzufahren und bis in die Nacht zu feiern. Schade, dass sie ohne mich weiter sind«, gebe ich offen zu.

      »Ich habe gesehen, dass du förmlich ausgetickt bist. Du hattest Spaß, ja?«

      »Ja, hatte ich. Warum nicht mal auf diese Art austicken? Es … es musste raus«, werfe ich ein und lache, weil ich daran denke, wie ich mit offenen Haaren hier auf dem Steg gehüpft und gesprungen bin. Ich mache eine Handbewegung, die Uta erklären soll, was mir da aus meinem Bauch entweichen wollte.

      Leben.

      Feiern. Mich selbst spüren.

      »Oh, Mann, ich werde nicht mehr!«, sagt Uta lachend. »Und ich habe das nicht mit meinem Handy gefilmt. Dann hätte ich das später mal deinen Kindern zeigen können. Hier, das ist eure Mutter mit einundzwanzig. Sie hat wie verrückt getanzt, als ein Boot vorüber fuhr. Total irre, aber ihr kennt sie ja!«, lacht Uta nach Luft ringend. »Du bist eine verrückte Nudel!«

      Gemeinsam stellen wir uns das nun vor und kichern vergnügt wie alberne Teenager.

      »Dann bin ich ja froh, dass wir unsere Handys im Auto gelassen haben und du die Nachwelt mit so etwas verschont hast. Muss doch ja wohl mal erlaubt sein, seine Lebensfreude zeigen zu dürfen. Und eines ist sicher: Meine Kinder werden mal genauso verrückt wie ich. Die könntest du sicher nicht mit so was schocken.« Grinsend schiebe ich mir eine neue Weintraube in den Mund und lasse sie knackend zerplatzen. Frech schiele ich Uta aus den Augenwinkeln