Helen Haaf

Pipina der Naivling


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nicht mit der Niarchos Flotte von Griechenland nach Amerika fahren, sondern mit der Olympic Airways fliegen. Dann machen Sie bitteschön über den Alpen eine Zwischenlandung in das gelobte Schwabenländle und kommen mal bei mir vorbei. Nur so, auf einen Kaffee, um dann wieder das Weite zu suchen. Ich wohne nämlich im Schwarzwald, umgeben von noch gesunden hohen Tannen. Laufen sie immer den geraden Weg entlang, bis zu dem großen See. Hinter den zwei großen weißen Birken liegt ein putziges, weiß gestrichenes Hexenhäuschen. Aber bitte keine Umwege gehen, es besteht nämlich die Gefahr, dass ein wutentbrannter Grieche, im Lendenschurz, aus dem Schwarzwald zwischen den hohen Tannen herausspringt und ihnen mit seinem Holzspeer, von bester Qualität, den Garaus macht, falls er vorher Pipinas Geschichte gelesen hat.

      Jeder kennt mich hier im Schwabenländle, klein und groß. Jedes mal, wenn ich in Stimmung bin und mein “heiß geliebtes” Schwabenlied singe, meint jeder, der an meiner Haustür vorbei geht den Sirenengesang der Odyssee herauszuhören. Und wenn ich auch noch zur zweiten Strophe gelange, die wunderbar aus meinem Halse sprudelt, höre ich den tosenden Beifall der Zaungäste, der mich sehr glücklich macht.

      Im Falle, dass Sie dieses berühmte Lied noch nicht gehört haben, werde ich Ihnen die zweite Strophe vorsingen:

      “Wo jeder zweite Fritzle heißt

      Und über hohen Balken scheißt,

      Wo taube Sau, leck mich am Ar…

      In keinem Wort darf fehlen,

      O! Schwabenland, gelobtes Land

      Wie wunderbar bist du,

      und wenn ich endlich fertig bin.

      Dann schnappt mein A.....loch zu.”

      Wie ich schon sagte, jeder kennt mich hier im Schwabenland, denn der liebe Herrgott hat mir reichlich Intelligenz und gleichzeitig reichlich Naivität beschenkt, so dass ich die Leute wie ein Magnet anziehe und oft ungewollt mitten ins Fettnäpfchen tappe und die Scheiße auch noch schön umrühre.

      Sicher glaubte Gott nicht, dass ich in meiner Naivität im Stande wäre, solche tollen Sachen fertig zu bringen. Selbst mein lieber Ehegemahl hat es aufgegeben, mich dauernd zu ermahnen, denn er ist der Meinung, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin. Über soviel Naivität kann man nicht diskutieren.

      “Bleib wie du bist Pipina, es hat keinen Zweck dich weiter zu belehren”, muntert er mich auf.

      In meinem Innersten spüre ich deshalb große Erleichterung und danke Gott von ganzem Herzen, dass er mich mit allem so reich beschenkt hat.

      Abends bin ich aber doch manchmal im Zweifel ob ich mich darüber freuen oder doch schämen muss. Dann schließe ich meine Äuglein und falle in glückselige Träume.

      Nacht für Nacht erscheinen mir im Traum die alten Philosophen meines Landes, wenn ich ratlos bin. Am schlimmsten plagt mich Platons Erscheinung, im weißen Gewand und breiter blauer Schärpe verfolgt er mich durch die Straßen von Athen. Ich lasse mich müde, vor der Säule der Stoa, wo er seinerzeit lehrte und Vorträge hielt, auf einem Marmorstein nieder, um auszuruhen. Dann setzt sich der Philosoph direkt mir gegenüber hin und durchdringt mich mit seinem stechenden Blick. Eine Gänsehaut überzieht meinen ganzen Körper, während ich von ihm über dieses und jenes belehrt werde.

      Nach meinem Aufwachen, schwirren seine hochgelehrten Worte durch meinen kleinen Kopf mit seinen großen Hirnzellen. Vor allem hat sich die Mahnung dort festgesetzt:

      “Pipina, vergiss niemals, dass du eine Griechin bist. Du bist ein Sprössling der großen Philosophen, es ist Zeit aus deiner Langschläferei aufzuwachen. Du bist das Genie des Jahrhunderts. Aufwachen, aufstehen und schreib. Schreib, bist du umfällst, es wird sich lohnen. Schreib was dir einfällt. Es ist egal, was du schreibst, Hauptsache du schreibst. Du kannst es. Oh, sogar sehr gut. Die Leute wollen dich endlich kennen lernen, deine Geschichte lesen, die Geschichte machen wird. Du, nur du, wirst einen Bestseller herausbringen, der weltweit bekannt wird, von Japan bis nach Alaska, von Australien bis nach Amerika, also rund herum in der ganzen Welt.”

      So lieber Leser, Sie wissen nun um was es geht. Vielen Dank für ihr Verständnis, das Sie für mich und meinen Bestseller aufbringen, den ich Tag und Nacht in der Woche schreibe. Aber nur unter der Woche. “Sonntags nie”.

      Was? Sie beschweren sich über meinen lang gezogenen Prolog, ich soll endlich mit meinen Geschichten anfangen? Jawohl, Sie haben Recht. Aber wie wäre das, wenn sie in Pipinas Geschichten hineinstürzen, ohne etwas über ihre Vorfahren zu erfahren?

      Noch ein klein wenig Geduld, gleich bin ich soweit. Ich erzähle Ihnen nur noch kurz etwas von meinem weisen Ahnen und dann ist Schluss. Sie wissen, welche ich meine, alle diese Leute, die vor Christus Geburt lebten.

      Es war nämlich so. Die alten Hellenen brachten das Licht auf die Welt. Das große Licht, das über die Hellenen (so heißen die Griechen in ihrer eigenen Sprache) immer in großer Helle strahlt. So entschlossen sich die weisen Hellenen die wunderbare Philosophie nicht nur für sich zu behalten, sondern auf dem ganzen Planeten zu verbreiten. Man lehrt doch heute noch in den höheren Schulen die Kreise des Pythagoras, die Weisheit von Aristoteles, das spartanische Leben der Griechen, die Rhetorik von Sokrates und noch viel mehr anderen Gelehrten.

      Von diesen großartigen Hellenen, die wirklich das Licht auf die Welt brachten und leider vergaßen etwas für sich und für die heutige Zeit zu behalten. Von diesen großartigen Leuten stamme ich ab. Ich die Pipina, ein einmaliges Exemplar mit einem wunderschönen Namen, und ich bin stolz darauf. Ich sagte ja bereits, ich spross aus dem philosophischen Samen, voll entwickelt in Kleinformat mit großen Hirnzellen. Ich bin stolz darauf, eine Griechin zu sein, eine stolze Hellenin mit Leib und Seele. Ein echter Nachkomme der Philosophen. Meine Vorfahren bescherten mir in der Wiege noch reichlich Weisheit, als ich mit kniffligen Augen auf dieser wunderbaren friedlichen, heilen Welt das erste Lichtlein erblickte. So entschloss ich mich, dieser Weisheit, die seit über fünf Jahrzehnten in meinem Kopf schwirrt und mich sehr quält, freien Lauf zu geben, um zu beweisen, dass wir Griechen immer noch das intellektuellste Volk der Welt sind.

      Dieses orientalische Märchen, das ich Ihnen weit schweifend und kurzatmig erzählen werde, hat sich meistens in deutschen Gefilden zugetragen. Angefangen hat es aber in einem romantischen Bergdorf in Griechenland.

      Es war einmal ein hübsches Bergdorf im mazedonischen Ländchen in Griechenland. Das Land des meist gefürchteten Kämpfers aller Zeiten, das Land Alexander des Großen. In diesem friedlichen und reizvollen Dorf, wo die Bäche bei Tag und Nacht wild rauschen und nachts über das ganze Dorf die Dunkelheit ihren Mantel ausbreitet. In dieser stillen Nacht, wo außer dem Rauschen der Bäche, dem Knurren der Hunde, dem Geschnatter der Enten und Gänsen und den Geschossen der Partisanen, die eifrig dabei waren, das Land von den meist gehassten Besatzern, den Deutschen, zu befreien. Den gehassten, weil sie dauernd Schokolade aßen, ohne uns etwas abzugeben.

      Wir beobachteten sie gierig und bei jedem Biss, den sie machten, bissen wir unsere Zähne so fest zusammen, bis unsere Kiefer krumm wurden. Aber diese wunderbaren Söhne aus deutscher Erde beachteten uns nicht und hatten kein Erbarmen, wie einst unsere Freunde, die Engländer oder die Italiener, die uns wenigstens die übrig gebliebenen Krümelchen abgaben und die mit unseren strammen Weibern sogar Leib und Seele teilten.

      In so einer friedlichen Nacht, liebe Leute, bevor der Kirchturm 12 mal geschlagen hatte, erblickte ich Pipina, als zweite Tochter eines Gastwirt-Paares, nach Erzählungen meiner Eltern und Großeltern irgendwann im Frühjahr 1940 oder 1941, zwischen der letzten Stufe der Treppe und der Schlafzimmertür eines einstöckigen Einfamilienhauses, das Licht dieser friedvollen Welt.

      Als ich, das Genie des Jahrhunderts, herausschlüpfte, übertönte mein freudiges Geschrei sogar das Gegackere der Hühner, die unruhig in ihren geräumigen Hühnerstall liefen, um Schutz vor den streunenden Füchsen zu suchen, die Abend für Abend im tief schlafenden Dorf ihre Mahlzeiten suchten und manches vor Angst zitternde Huhn erbarmungslos mit sich schleppten, als Vorratsmahlzeit für den nächsten Tag.

      Also, wie ich bereits erwähnte, schliefen fast alle Bewohner in dieser stillen Nacht