Joseph Conrad

Spiel des Zufalls


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begraben gewesen war, da sah ich ihn wieder vor mir, mit größter Schärfe und Deutlichkeit, so wie er in den Tagen seines Glanzes und seiner Pracht erschienen war. Nein! Keines dieser Worte reicht hin, um diesen Erfolg zu veranschaulichen. Niemals umgab Glanz oder Pracht seine Gestalt. Sagen wir also: in den Tagen, da er, wie die Zeitungen es nannten, eine Geldmacht war, die für die sittliche Hebung des Volkes wirkte. Ich will dir erzählen, wie es dazu kam.

      Damals kannte ich einen dicken, kahlköpfigen, wohlhabenden kleinen Mann, der im Albany wohnte. Ein Geldmann auch er, auf seine Art, der sich aber auf besondere und nicht gerade saubere Geschäfte beschränkte, meistens mit jungen Leuten aus gutem Hause und mit Erbaussichten -- obwohl ich glaube, daß er auch alten Plebejern seine Dienste nicht verweigert hat. Er war ein wahrer Demokrat; er hätte mit dem Teufel selbst Geschäfte gemacht (recht scharfe Geschäfte!). Ihm war alles Fliege, was in sein Netz geriet. Er empfing die Bittsteller in einer munteren, frohen Art, die jeden überraschte. Damit wirkte er hilfsbereit, ließ aber doch keine Vertrautheit aufkommen, was ihm wohl gerade paßte. Seine Geschäfte machte er in einem Raume, der wie ein Wohnzimmer eingerichtet war, mit vielen nachgedunkelten Ölbildern in schweren Goldrahmen an den Wänden. Ich weiß nicht, ob sie gut waren, aber sie waren groß und erweckten in ihren schöngeschnitzten, verblaßten Goldrahmen den Eindruck ernster Würde. Der Mann selbst saß an einem glänzend polierten, eingelegten Schreibtisch, der wie ein seltenes Museumsstück wirkte. Sein Stuhl hatte eine hohe, ovale, geschnitzte Lehne, mit altem Brokat gepolstert, und diese Gegenstände ließen die teure, schwarze Havanna, die er unaufhörlich im Munde von der Mitte zum linken Winkel und zurück wandern ließ, als ein unsagbar billiges und gemeines Ding erscheinen. Ich mußte ihn mehrmals besuchen, in Sachen eines armen Teufels, der so unglücklich war, daß er nicht einmal einen gewichtigeren Freund als mich finden konnte, um ihm in einem besonders schweren Augenblick als Fürsprecher zu dienen.

      Ich weiß nicht, zu welcher Stunde mein Geldmann seinen Tag begann, doch pflegte er einem ungewöhnliche Besuchszeiten anzugeben. So zum Beispiel um ein Viertel vor acht Uhr morgens. Kam man dann hin, so fand man ihn schon an seinem herrlichen Schreibtisch an der Arbeit, ganz frisch und munter, mit einem leisen Geruch feiner Seife um sich, und mit der Zigarre gut in Brand. Du kannst mir glauben, daß ich an meine Aufgabe mit recht gemischten Gefühlen herangegangen war. Doch in dem stets sauber gewaschenen kleinen Mann lebte eine so tiefe Menschenverachtung, daß sie schon wieder fast an Gutmütigkeit grenzte. Und diese ist ja, entgegen der Milch echter Güte, nie in Gefahr, sauer zu werden. Dann machte ich einmal während einer Geschäftspause, als wir gerade auf ein Dokument warteten, nach dem er geschickt hatte (wohl in den Keller?) ganz nebensächlich die Bemerkung, daß ich nie zuvor eine Ansammlung so vieler schöner Dinge in einem Raum gesehen hätte. Ich könnte nicht sagen, ob das unbewußte Diplomatie meinerseits war oder nicht, aber die Bemerkung traf zu und machte ihm unglaubliches Vergnügen. ›Es ist eine Sammlung,‹ sagte er stolz, ›nur lebe ich mitten darin, was andere Sammler kaum tun. Aber ich merke schon, daß Sie etwas von dem verstehen, was Sie ansehen. Das tun nicht viele von den Leuten, die in Geschäften hierherkommen. Denen liegen Stalleinrichtungen näher.‹

      Ich weiß auch nicht, ob meine Bemerkung der Sache meines Freundes nützte. Jedenfalls aber nützte sie unserer Unterhaltung. Er behandelte mich von da ab mit einem Schimmer von Vertraulichkeit, wie einen Eingeweihten. Während meines letzten Besuches, als wir knapp vor dem Abschluß standen, wurden wir von einem Menschen unterbrochen, der wie eine Kreuzung zwischen einem Buchmacher und einem Privatsekretär aussah, durch eine Türe, nicht vom Vorzimmer her, hereinkam, zum Hausherrn hintrat und ihm ins Ohr flüsterte.

      ›Wie? Was? Wer, sagen Sie?‹

      Das seltsame Wesen neigte sich tiefer, flüsterte nochmals und fügte endlich etwas lauter hinzu: ›Er sagte, er wolle Sie nicht lange aufhalten.‹

      Der kleine Mann sah zu mir her und sagte unentschlossen: ›So, so.‹ Ich stand sofort auf und erbot mich, später wiederzukommen. Er zeigte spaßhafte Entrüstung: ›Nein, nein, es ist schon genug, daß ich mein Geld verlieren soll, aber ich möchte nicht auch noch mehr Zeit an ihren Freund verlieren. Wir müssen damit heute zu Rande kommen. Gehen Sie doch dort hinüber und sehen Sie sich einmal die Kamingarnitur an. Es gibt noch eine andere, ähnliche, im Schlosse von Laeken, aber meine ist viel feiner in der Zeichnung.‹

      Ich ging gehorsam nach der anderen Seite des großen Raumes. Die Garnitur war wirklich sehr schön. Während ich aber vorgab, sie zu betrachten, beobachtete ich meinen Mann, wie er einem ungewöhnlichen Besucher entgegenging, der mit den Worten eintrat: ›Ich dachte, Sie zu so früher Stunde allein zu treffen. Ich habe Ihnen nur ein paar Worte zu sagen.‹ Nach wenigen geflüsterten Worten begleitete der Hausherr tatsächlich den anderen zur Türe und schüttelte ihm ehrerbietig die Hand. ›Durchaus nicht! Durchaus nicht! Sehr erfreut, Ihnen dienen zu können. Sie können sich auf meine Auskunft unbedingt verlassen.‹ -- ›Oh, vielen Dank, vielen Dank. Ich kam eben vorbei ...‹ -- ›Gewiß. Ganz recht. Zu jeder Zeit ... Guten Morgen!‹

      Während sie diese Höflichkeiten wechselten, hatte ich gute Weile, mir den Besucher anzusehen. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Ich erinnere mich noch ganz genau, daß er eine flache, breite, schwarze Krawatte aus schwarzem Satin mit einer großen Kameenadel darin trug und einen niedrigen Umlegekragen. Seine Haare, farblos und seidig fein, wellten sich leicht über den Ohren. Seine Wangen waren bartlos, rund und offenbar weich. Er hielt sich sehr gerade, ging mit kleinen Schritten und sprach höflich, mit halblauter Stimme. Vielleicht machte es der Gegensatz zu der wunderbaren Vollendung der Zimmereinrichtung und der Sauberkeit ihres Besitzers, daß er mir ärmlich, dürftig und, wenn nicht geradezu demütig, so doch vom Unglück gebeugt erschien.

      Ich wunderte mich noch über die Höflichkeit meines kleinen, fetten Finanziers gegen diese zweifelhafte Persönlichkeit, als er mich, während wir uns wieder zusammensetzten, fragte, ob ich wohl wüßte, wer da eben hinausgegangen sei? Als ich verneinend den Kopf schüttelte, lächelte er merkwürdig, sagte ›De Barral‹ und freute sich an meiner Überraschung. Dann wurde er ernst: ›Das ist vielleicht ein rätselhafter Bursche! Wir alle wissen, wo er angefangen hat und wohin er es gebracht hat. Aber niemand weiß, was er eigentlich im Sinne hat!‹ Er wurde nachdenklich und fügte wie im Selbstgespräch hinzu: ›Ich wollte sein Spiel wohl kennen!‹

      Und, siehst du, es gab gar kein Spiel. Gar keinen Ansatz dazu. Keine Spur davon. Das kam bei der Verhandlung sonnenklar heraus. Wie ich dir schon gesagt habe, war er ein Bankbeamter, wie tausend andere. Der Posten war ihm als zweite Anfangsmöglichkeit in den Schoß gefallen, und er saß wiederum fest und befriedigte durch seine Leistungen. Dann stand er aber eines Tages auf, als hätte ihm eine überirdische Stimme etwas ins Ohr geflüstert oder eine unsichtbare Fliege ihn gestochen, setzte seinen Hut auf, ging auf die Straße hinaus und begann, Reklame zu machen. Mehr war tatsächlich nicht dabei. Er schnappte auf der Straße das zufällig gerade zugkräftige Schlagwort auf und spannte es vor seinen Schwindelkarren.

      Du erinnerst dich gewiß noch an seine ersten bescheidenen Aufrufe, die an ihrem Kopfe das Zauberwort ›Aufschwung‹ dreimal wiederholt trugen, zehn Prozent auf alle Einlagen versprachen und die Adresse der Wohlfahrt- und Eigenheim-Gesellschaft in Vauxhall Bridge Road enthielten. Augenscheinlich war sonst nichts nötig. Er gab nicht einmal an, was er mit dem Gelde anfangen wollte, das das Publikum ihm in die Taschen schütten sollte. Natürlich gedachte er es zu hohen Zinssätzen auszuleihen. Das tat er auch -- aber ohne System, Plan, Voraussicht oder Urteil. Und als ihm die eingezahlten Summen unter den Fingern zerronnen waren, verlangte er neue -- und bekam sie. Während einer geschäftlichen Hochkonjunktur machte er die ORB-Bank und den SZEPTER-Trust auf, ganz einfach aus Reklamegründen, so scheint es wenigstens. Es waren bloße Namen. Er war völlig unfähig, irgend etwas zu organisieren, irgendein Unternehmen hochzutreiben, und sei es auch nur, um mit den Aktien zu spekulieren. Damals hätte er auf bloßen Aufruf jede beliebige Anzahl von Herzögen, pensionierten Generälen, Parlamentsmitgliedern, Exbotschaftern und so weiter als Direktoren für die wildesten seiner Gründungen haben können. Er versuchte es nicht einmal. Er hatte keine echte Einbildungskraft. Er konnte nichts weiter, als immer neue Aufrufe veröffentlichen und immer neue Filialen der ›Wohlfahrt und Eigenheim‹, der ORB, der SZEPTER zur Entgegennahme von Einlagen aufmachen. Erst in dieser Stadt, dann in jener, im Norden, im Süden -- überall, wo er passende Räumlichkeiten