Joseph Conrad

Spiel des Zufalls


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und Eigenheim‹, hatten sich die üblichen Paläste gebaut. Diese Enthaltsamkeit wurde in dummen Broschüren als ein Beweis dafür gelobt, wie sehr in ihrer Leitung der Grundsatz des Aufschwungs, dem sie dienen sollten, vorherrschte. In Wirklichkeit dachte de Barral einfach nicht daran. Natürlich war er bald von Vauxhall Bridge Road ausgezogen. So viel Verstand hatte er. Als Nächstes erwarb er einen alten, weitläufigen, von Ratten bevölkerten Ziegelbau in einer engen Gasse nächst dem Strand. Fremde wurden vor die schäbige, moderige, schmucklose Ziegelmauer geführt, die zwei Reihen kahler Fenster übereinander aufwies, und wurden mit angehaltenem Atem aufgefordert, die Schlichtheit des Hauptquartiers zu bewundern, das sich die größte Geldmacht des Tages erwählt hatte. Das Wort Wohlfahrt, das gerade unter dem Dach in riesigen goldenen Lettern querüber angebracht war, und zwei riesige Messingschilder zu beiden Seiten des Eingangs waren die einzigen Farbflecke in de Barrals Geschäftsauslage. Niemand wußte, welcher Art die Geschäfte waren, die dort drinnen abgeschlossen wurden. Nur das eine war bekannt: daß man hineingehen und sein Geld auf den Schalter hinzählen konnte und daß dann jemand da war, der es einem gleichmütig abnahm und eine vorgedruckte Quittung herausgab. Das und nichts weiter. Es scheint, daß diese Kenntnis unwiderstehlich wirkte. Die Leute gingen hinein und zahlten; und sobald man es ihnen aus der Hand genommen hatte, war das Geld gründlicher verloren, als wenn sie es geradeswegs in die See geworfen hätten. Das also, und nichts sonst ging dort drinnen vor ...«

      »Nun, Marlow,« sagte ich, »du übertreibst ganz gewiß, und sei es nur in der Art der Darstellung. Das wäre doch zu blödsinnig!«

      »Ich übertreibe!« verteidigte er sich. »In der Art der Darstellung! Mein lieber Junge, ich habe nichts weiter getan, als daß ich die paar Brocken der Geschäfts- und Börsensprache aus meiner Erzählung weggelassen habe. Und du bist entsetzt! Was ich dir sage, ist die nackte Wahrheit! Es ist ja auch wahr, daß nichts so sehr den Vorwurf der Übertreibung herausfordert als die Sprache der nackten Wahrheit. Das Unvermittelte stößt meist auf Unglauben. Aber was sagst du denn zu dem Ende dieser Laufbahn?

      Das kam natürlich überraschend und recht plötzlich. Es begann mit der ORB-Depositenbank. Unter dem Deckmantel dieser Unternehmung hatte de Barral mit der Hartnäckigkeit eines Mannes ohne Einbildungskraft einen indischen Prinzen finanziert, der mit der Regierung einen Prozeß um ungeheure Summen führte. Es handelte sich um ungezählte Hunderttausende von Rupien, einen elenden Rest der Schätze seiner Vorfahren. -- Du verstehst mich schon. Und es war auch alles echt genug. Da war also ein wirklicher Prinz; und auch der Prozeß war ganz wirklich. Nur war leider die Klage nicht gerechtfertigt. So verlor also der Prinz seinen Prozeß in der letzten Instanz, und de Barrals Ende wurde dem Publikum offenbar, in Form von vier gestempelten Aktenbogen, die in die vier Ecken der Eingangstür zu der ORB-Bank geheftet waren und die Einstellung der Zahlungen verkündigten.

      Die Schwesterunternehmung, die SZEPTER, brach noch in der gleichen Woche zusammen. Ich möchte nicht den amerikanischen Ausdruck gebrauchen, daß mit einem Schlage aus allen Unternehmungen de Barrals der Boden herausfiel, denn sie hatten nie einen Boden gehabt. Sie waren alle wie Danaidenfässer, in die das Publikum allzu willig seine Einlagen geschüttet hatte. Daß diese verloren waren, lag auf der Hand. Und die nachfolgenden Konkursverhandlungen sahen sich an wie eine böse Posse, wobei lautes Gelächter mit stummen Ängsten abwechselte; denen der Hunderttausende von Einlegern. Das Gelächter war unwiderstehlich und bildete die Begleitung zu der öffentlichen Konkursverhandlung.

      Ich weiß nicht, ob es dem völligen Mangel an Einbildungskraft zuzuschreiben war, oder dem Übermaß einer gewissen Abart davon, oder beidem -- die drei Möglichkeiten sind denkbar -- aber es stellte sich heraus, daß dieser Mann, den die Leichtgläubigkeit des Publikums zu solcher Höhe erhoben hatte, selbst noch leichtgläubiger war als der Leichtgläubigste seiner Einleger. Er war allen möglichen Schwindlern, Abenteurern, Wahrsagern und sogar Narren zur Beute geworden. Während er sich in tiefes, törichtes Geheimnis gehüllt hatte, war er den phantastischesten Plänen nachgegangen: einer Hafenanlage mit Docks an der Küste von Patagonien, Steinbrüchen in Labrador und ähnlichen Unternehmungen. Auch eine Fischerei gehörte dazu, der eine Konservenfabrik an den Ufern des Amazonas angegliedert werden sollte. Ein Fürstentum in Madagaskar sollte gekauft werden. Als diese grotesken Einzelheiten nacheinander herauskamen, da liefen Wogen von Gelächter durch den dichtgefüllten Gerichtssaal -- eine immer lauter als die andere. Schließlich brüllten die Zuhörer vor Lachen über das Übermaß von Dummheit. Der Protokollführer lachte, die Advokaten lachten, die Berichterstatter lachten. Die enggedrängten Reihen der armen Einleger, die ängstlich auf jedes Wort lauerten, lachten wie ein Mann. Sie lachten krampfhaft, die armen Teufel, auf der Kippe zum Weinen.

      Nur ein Einziger blieb unbewegt. Das war de Barral selbst. Er bewahrte seinen ruhigen, höflichen Ausdruck (so erzählte man mir, denn ich war nicht selbst mit bei der Verhandlung) und blickte mit ruhiger Überlegenheit über die Menge weg. Damit zeigte er zum ersten Male vor aller Welt seine übermenschliche, maßlose Eitelkeit, die sich bis dahin unter einem gewissen Mißtrauen verborgen hatte. Man konnte sie auch aus seiner trockenen Versicherung heraushören, daß er alles ins Lot gebracht haben wollte, wenn man ihm nur Zeit genug und etwas mehr Geld gegeben hätte. Und es gab einige Leute (jawohl, sogar unter seinen Opfern!), die ihm das mehr als halb glaubten, sogar noch nach dem Strafprozeß, der sich alsbald anschloß. Als er auf der Anklagebank saß, da verlor er seine gewohnte Ruhe, als wäre ihm sein innerer Rückhalt plötzlich in Stücke gebrochen. Er hörte völlig auf, im Benehmen und sogar in der Gemütsart er selbst zu sein, denn seine matten, unbestimmbaren Augen, die so gut zu seinen farblosen Haaren paßten, konnten, wie sich nun plötzlich zeigte, eine Art verstohlenen Hasses ausdrücken. Er zeigte sich zuerst herausfordernd, dann frech, dann klappte er zusammen und brach in Tränen aus. Es konnte aber auch Wut sein. Schließlich beruhigte er sich und fand zu seiner sanften Sprechweise zurück und zu der bescheidenen, stillen Haltung, die ihm selbst in seinen größten Tagen gewohnt gewesen war. Doch schien es, als sei ihm in diesem Augenblick des Umschwungs endlich zum Bewußtsein gekommen, welche Macht er dargestellt hatte. Denn einem der Vertreter der Anklage, der bei der Vernehmung einen etwas hochmütig moralischen Ton anschlug, erwiderte er: Ja, er habe hoch gespielt, habe die Karten gerne gemocht; -- doch hätten kaum ein Jahr zuvor Angehörige der besten Kreise nur zu gerne eine Partie mit ihm gespielt. Jawohl, fuhr er fort, sogar einige der Leute, die nun in Polsterstühlen am Richtertisch säßen. Und zum Staatsanwalt gewandt rief er: ›Sie selbst gerade so!‹ Er hätte die halbe Stadt in seiner Wohnung haben und sich von ihr den Hof machen lassen können, wenn ihm was daran gelegen gewesen wäre. ›Was denn -- wenn ich es jetzt überlege, so hat es mich die meiste Zeit gekostet, Leute gerade Ihres Schlages mir vom Leibe zu halten!‹ So schloß er mit einem Anflug hochmütiger, ganz unaufdringlicher Verachtung, als wäre ihm die Tatsache zum ersten Male aufgedämmert.

      Das war der Augenblick, der einzige Augenblick vielleicht, wo er wohl die gesamte Zuhörerschaft des Gerichtssaals auf seiner Seite hatte, in einem plötzlichen, drückenden Schweigen. Dann ging die Verhandlung wieder ihren schleppenden Gang. Im Verhältnis zu dem allgemeinen Aufsehen war es der langweiligste aller großen Prozesse. Die Konkursverhandlung hatte die gesamte Lächerlichkeit vorweggenommen. Es blieb nichts als ein trostloses Trümmerfeld und die Kränkung vieler, vieler Leute, daß sie sich durch Mittel hatten bestechen lassen, zu kindlich stümperhaft, um ihre Eigenliebe vor einer tiefen Wunde bewahren zu können; diese Eigenliebe, die vielleicht durch die Geschicklichkeit eines ausgemachten Schurken nicht berührt worden wäre. Eine verblüffte Beschämung kennzeichnete die Verhandlung, in der nicht nur de Barral schlecht abschnitt. Er selbst blieb bei seinem Ruf: ›Zeit! Zeit!‹ Die Zeit hätte alles ins rechte Gleis gebracht. Mit der Zeit hätten einige seiner Spekulationen sicher Erfolg gehabt. Er wiederholte diese Verteidigung, diese Entschuldigung, dieses Glaubensbekenntnis mit einer Beharrlichkeit, die ermüdend wirkte. Alles, was er getan oder unterlassen hatte, war darauf berechnet gewesen, Zeit zu gewinnen. Er hatte sich selbst ganz in die Hypnose dieses Wortes begeben. Mitunter, so erzählte man mir, geriet er beinahe in Verzückung; seine starren, blauen Augen schienen in ferne Zukunft zu blicken. Zeit -- und, natürlich, mehr Geld. ›Oh, hätten Sie mich nur noch ein paar Jahre länger machen lassen‹, rief er einmal leidenschaftlich aus. ›Die Gelder liefen so regelmäßig ein!‹ Die Einlagen, verstehst du wohl! -- Die Spargroschen für den Aufschwung. 0 ja, an denen hatte es bis zum letzten Augenblick nicht gefehlt. Und er trauerte