Heide Fritsche

Silvaplana Blue III - Masken göttlicher Heiterkeit


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rund, gemütlich und eher im Café Kranzler als im Gebirge zu Hause. Sie kam an den Anfang der Truppe, genau hinter den erfahrenen Profis. Ich war ein Spinnewipp, Neuankömmling, Stadtdame und Ausländerin. Ich war die Letzte der Gruppe mit zwei kräftigen Gebirgssteigern zur Nachhilfe hinter mir. Zwischen uns waren die nicht-professionellen Lehrer, die aber Bergsteiger-Erfahrungen hatten.

      Wir krochen ins Innere des Gebirges. Die Gebirgsgänge wurden immer enger, schmaler und steiler. An einer Stelle hatte der Gebirgsgang die Form eines Schornsteins. Hier mussten wir uns an den Seilen hochziehen, an Felsabsätzen abstützen, zugreifen, festkrallen und höher klettern.

      Genau hier kam die gesamte Kolonne zum Stillstand. Fragen und Antworten wurden von unten nach oben, und von oben nach unten weitergereicht. In einer Zeit ohne Handy war das ein mühseliger Prozess. Es wurde unterdrückt gekichert. Es gab Missverständnisse, weil die eigentliche Ursache nur vorsichtig und flüsternd ausgesprochen wurde. Man genierte sich, die eigentlichen Fakten grölend durch die Gebirgsgänge zu posaunen. Peinlich war diese Geschichte, weil die Rektorin unserer Schule in dem engen Gebirgsschacht festgeklemmt saß. Man hatte ihren Umfang unterschätzt. Die Rektorin war am Anfang der Kolonne platziert. Damit saßen wir alle, die darunter am Seil hingen, fest. Aller Kräfte wurden jetzt mobilisiert. Von oben wurde gezogen, von unten wurde geschoben. Der Schacht war dunkel wie eine sternenlose Nacht. Ich ahnte schwach die Schuhe meines Kollegen über mir. Unterdrückt wurden Witze gemacht. Man kicherte und grinste, aber laut zu lachen, wagte keiner.

      Nach diesem Aufenthalt im Innern des Berges, sollten wir in einer Grotte mit Gesang und Musik unterhalten werden. Das Essen, das wir mitgebracht hatten, wurde hier gegrillt.

      Ich hatte einen Englischen Setter bei mir. Der hatte auf dem Hochgebirge den Geruch von Schneehühnern in die Nase bekommen. Er lief Amok. In der Zeit, wo wir im Innern des Gebirges herum gestiegen sind, hat er sich oben an der frischen Luft heiser gebellt. Für mich war damit die Picknickgemütlichkeit zu Ende:

      „Ich laufe mit dem Hund voraus. Wenn ihr nach Hause fahrt, dann sammelt mich unterwegs irgendwo auf.“

      Meine Kollegen waren auch Jäger. Sie verstanden meine Probleme mit dem Jagdhund. Also rannte ich los, der Hund voraus, die Zunge aus dem Hals. Ich flatterte wie ein verwehtes Blatt hinter ihm her. Rings um uns gab es nur Felsen und öde Gebirgshochebenen. Ab und zu kamen wir an riesigen Gebirgshöfen vorbei. Da wohnte einstmals der mittelalterliche Adel von Norwegen. Diese Ansammlungen von schwarzen Blockhäusern waren die Zeugen einer verschwundenen Zeit. Sie schlummerten in einer majestätischen Einsamkeit.

      Der Hund hechelte. Ich keuchte. Das waren die einzigen Laute, die ich hörte. Wir jagten vierzig Kilometer. Vielleicht waren es mehr. Ich weiß es nicht. Ich zählte nicht. Ich hing nur an der Leine und wurde vom Hund mitgeschleppt. Nach ein paar Stunden kamen wir im Tal an. Hier holten mich meine Kollegen mit dem Schulbus ein.

      „Bist du per Anhalter gefahren?“, fragten sie mich.

      Dass ich im Tempo von vierzig bis fünfzig Stundenkilometer übers Sognefjell gelaufen war, glaubte keiner.

      Am nächsten Tag wurde ich gehänselt: „Na, wie geht es dir? Was machen die Beine?“

      „Die Beine? Ihr hättet fragen sollen, wo ich meine Arme verloren habe. Die hat mir der Hund beim Marathon übers Gebirge ausgerissen.“

      Nicht alle Erlebnisse waren in Lom lustig. Es tut aber weh, über Schmerzen zu sprechen. Als ich an der Schule anfing, war in der zweiten Schulwoche die Fahne der Schule auf Halbmast. Zwei erfahrene Bergsteigerkollegen waren bei einer Gebirgstour abgestürzt. Die Freiheit der Felsen ist oft eine Freiheit zwischen Leben und Tod.

      III.

      Die größten Schwierigkeiten in Lom waren meine Wohnbedingungen. Mein Vorgänger an der Schule stellte mir zwei Zimmer seiner Wohnung zur Verfügung, wo ich wohnen konnte. Das war im Zentrum von Lom, wenn man die Wegkreuzung des Weges, der nach Skjåk führt, mit dem, der zur Schule führt, überhaupt als Zentrum bezeichnen kann. Meine beiden Zimmer befanden im Keller. Die Toilette war unter der Treppe. Eine Duschgelegenheit gab es nicht.

      Neben meinem Schlafzimmer war der „Weinkeller“. Hier wurde in großen Korbflaschen der selbst gemachte Weinbrand der Gemeinde gegoren. Ich konnte nur bei offenem Fenster in diesem Weinkeller schlafen, der Alkoholdunst hätte mich sonst erstickt. Allerdings lag im Winter der Schnee so hoch, dass ich das Schlafzimmerfenster hätte freischaufeln müssen.

      Ich fragte höflich in der Schule an, ob Alkoholbrennen gesetzlich erlaubt wäre?

      „Erlaubt? Was für eine dumme Frage. Selbst gebrannter Schnaps ist in Lom eine Kultur und alte Tradition. Das ist keine Frage von erlaubt oder nicht erlaubt.“,

      Man rümpfte die Nase über meine kulturelle Naivität. Man zuckte die Schultern. Das war nichts zu machen, ich war ebn eine Ausländerin.

      Die Kultur von Gudbrandsdalen in allen Ehren, aber mir wurde in diesem Alkoholdunst übel, ich musste mich erbrechen. Ich konnte nicht schlafen. Die einzige Wohnmöglichkeit, die ich sonst noch fand, war ein Blockhaus im Gebirge, zehn Kilometer von der Schule entfernt. Hier hörte der Wald auf, hier fingen die nackten Felsen an.

      Das Haus hatte der norwegische Maler Wentzel am Ende des neunzehnten Jahrhunderts gebaut. Die Küche war modernisiert. Eine Toilette und Dusche waren installiert, aber ansonsten war das Haus noch immer im originalen Zustand wie im neunzehnten Jahrhundert. Die Wände waren aus bearbeiteten Holzstämmen zusammen gefügt. Durch Astlöcher konnte man direkt ins Freie sehen. Es gab keine Isolation und keinen Verputz, weder im Haus, noch an der Außenwand.

      In der großen Stube waren zwei Öfen, wo ich Tag und Nacht mit Holz feuern musste. Hier hatte ich auch mein Bett aufgeschlagen. Als die Temperatur auf dreißig und vierzig Grad Minus fiel, bin ich nachts alle zwei bis drei Stunden aufgestanden, um Holz nachzulegen, damit das Feuer nicht ausging. Ein Holzlieferant brachte in diesem Winter mehrmals mit dem Traktor zwei Anhänger voll mit Brennholz. An jedem Wochenende, wenn ich von Trondheim nach Lom fuhr, hatte ich den ganzen Kofferraum mit Brennholz voll. Mein gesamter Lohn als Lehrer wurde in diesen Öfen verbrannt.

      Dazu kamen alle Fahrten von Trondheim nach Lom. Eine Strecke war rund 300 Kilometer lang. Auf normaler Straße brauchte ich dafür vier Stunden. Ich musste über zwei Gebirgspässe: über das Gebirge bei Dovre und den Gebirgszug von Lesja nach Vågå.

      Der Gebirgsübergang bei Dovre konnte mehrmals im Winter gesperrt sein. Um rechtszeitig zum Unterricht zu kommen, musste ich über Hamar und Lillehammer nach Lom fahren. Das war ein Umweg von rund sieben hundert Kilometern. Manchmal habe ich zwölf bis vierzehn Stunden im Auto gesessen, um zu meinemn Arbeitsplatz zu kommen.

      Als ich zum Ferienbeginn meine Sachen gepackt hatte und nach Frankreich fahren wollte, sagte mir der Besitzer des Blockhauses, das ich gemietet hatte, er wolle im Sommer das Haus an Feriengäste vermieten und nach den Sommerferien wollte er den doppelten Mietpreis haben. Um am Gymnasium in Lom unterrichten zu können, hätte ich ein Darlehen aufnehmen müssen. Meine Ausgaben waren grösser als mein Gehalt. Ich bewarb mich um eine andere Stelle.

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