Ernst Meder

Gegen diese Zukunft


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er hatte sich nicht darum geschert, hatte einfach jede Vorhersage ignoriert und weiter gelebt.

      ›Komm mit, da gibt es was zum Fressen‹, vorsichtig stand sie auf, immer darauf achtend, ihn nicht mit ihrer Bewegung zu überraschen. Es war vor etwa zwei Monaten, sie hatte wie heute gerade gefrühstückt, als er sich so ähnlich wie heute an sie gedrückt hatte. Ihr Aufstehen musste ihn überrascht haben, denn er fiel einfach um, konnte die abrupte Änderung nicht korrigieren. Seit diesem Tag achtete sie noch mehr darauf, mit Brutus vorsichtig umzugehen.

      Sie bereitete seinen Haferbrei, in dem sie immer die Tabletten versteckte, die er sich standhaft zu schlucken weigerte. Sie war betrübt, wenn sie ihn so abwartend sitzen sah, um sie mit seinen traurigen Augen anzusehen, in dem bereits die Kenntnis seines nahenden Endes abzulesen war. Diese Augen waren es, die sie im Laufe der Jahre gelehrt hatten, was unter einem Dackelblick zu verstehen ist, und zu welcher Gelegenheit, dieser zum Vorteil eingesetzt werden konnte.

      Der Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass die Sonne sich gerade in ihrer vollen Größe hinter den Bäumen erhoben hatte. Sie spürte die angenehme Wärme durch das Fensterglas, während sie nachdenklich in den Garten blickte.

      Wo nur Holger blieb, es war bereits Viertel nach sieben, wenn er in der nächsten Dreiviertel Stunde nicht erschien, würde sie die Tiere füttern müssen. Er war erst einmal später nach Hause gekommen, dass war an jenem Sonntag, an dem er verbeult aber grinsend erklärt hatte, dass sie erst einmal den anderen sehen solle. Sie hatte ihm nicht böse sein können, wie er so vor ihr gestanden hatte, als der kleine freche Junge, der ab und an zum Vorschein kam.

      Ohne sich an zeitlichen Abläufen zu orientieren, flogen ihre Gedanken zu den unterschiedlichen Ereignissen und Erlebnissen, die sie seit jener ersten Grünen Woche erlebt hatte. Ein Jahr später, genau zum Zeitpunkt der Ausstellung, hatte das Schicksal erneut zugeschlagen, ihre Eltern, die auf dem Weg zu Tante Erna waren, kamen bei einem Autounfall ums Leben.

      Tante Erna, die bei Glatteis gestürzt war, hatte sich diverse Gliedmaßen gebrochen, der komplizierteste Bruch betraf ihren Oberschenkel. Da die Heilung nur sehr zögerlich voranschritt, hatte ihre Mutter, die Schwester von Tante Erna, beschlossen diese abzuholen. Wir können Dich hier im Haus besser versorgen, hatte sie ihre Schwester überzeugt, dem Arrangement zuzustimmen. Auf dem Weg nach Stralsund war in der Nähe von Greifswald ein Lkw ins Schleudern geraten, dabei auf die gegenüberliegende Fahrbahn geraten, wo sich in diesem Augenblick ihre Eltern befanden.

      Beide hatten so schwere Verletzungen davongetragen, dass sie noch am Unfallort daran verstorben waren. Sie hatte am letzten Tag der Ausstellung von dem Tod ihrer Eltern erfahren, als die Polizei sie noch in der Halle davon unterrichtete.

      Holger hatte sie getröstet, war für sie da gewesen, als sie Halt brauchte, als sie eine Schulter benötigte, die sie nass weinen konnte. Dann hatte er sie nach Hause gefahren, war bei ihr geblieben, bis sie sich wieder gefangen hatte.

      Brutus streifte ihr Bein, als er wieder zu seinem Liegeplatz ging, der sich unter der Küchenbank befand. Tränen schossen ihr in die Augen, als sie wieder an den Tod ihrer Eltern dachte, die sie viel zu früh allein gelassen hatten.

      Ein Lächeln erschien auf ihrem verweinten Gesicht, als sie an Brutus dachte, seine Reaktion auf Holger, als er ihn das erste Mal gesehen hatte. Er fühlte sich immer schon berufen entscheiden zu können, welcher Umgang der Richtige für sie war. Der erste Freund, der sich seinen Unwillen zugezogen hatte, war Ronald, den er bei seinem ersten Besuch gebissen hatte.

      Gebissen war vielleicht ein zu großes Wort für seine vier Monate, die er gerade alt geworden war, aber gekniffen hatte er ihn, wie noch lange an dem blauen Fleck zu sehen war. Diese Abneigung hatte sich nie geändert, inzwischen war diese allerdings beidseitig, da Ronald vier Jahre später erneut Bekanntschaft mit seinem inzwischen kräftigeren Gebiss machen durfte.

      Auch andere Freunde, die sie im Laufe der Jahre, mit nach Hause gebracht hatte, wurden im besten Falle verbellt, sollten diese jedoch hartnäckiger werden so zeigte er seine unangenehme Seite. Obwohl er sonst auf sie hörte, schien er beschlossen zu haben, bei der Wahl ihrer Freunde aktiv mitzuwirken.

      Den ersten und bisher einzigen Mann in ihrem Leben, den er, nach kurzem Zögern rückhaltlos akzeptierte, war Holger. Ihn hatte er als ihren Partner und als seinen neuen Herren billigend in Kauf genommen.

      Leicht stöhnend ließ sie sich auf ihren Platz sinken, dann griff sie zu ihrem Kaffeebecher, der sich kalt anfühlte. Langsam goss sie sich Kaffee nach, als ihr der erste Tag ihres Kennenlernens wieder einfiel.

      Er war kurz nach der Fertigstellung ihrer Aufbauten mit suchendem Blick durch ihre Halle geschlendert, so als würde er sich ausschließlich für die Präsentation sowie den Aufbau ihrer Stände interessieren. Er konnte sie nicht sehen, da sie sich nochmals frischen Kaffee gemacht hatte, in der Hoffnung damit ihre inzwischen wieder stärker werdenden Kopfschmerzen zu bekämpfen.

      Sie hatte sich angeschlichen, stand direkt hinter ihm, als sie den verhängnisvollen Satz aussprach.

      ›Wen suchen Sie Fremder‹.

      Erschrocken war er herumgefahren, dabei an ihren Arm gestoßen, sodass sich der soeben eingegossene Kaffee über ihre Brust ergoss.

      Sie hatte aufgeschrien, wenn auch mehr durch den Schreck als durch die Temperatur des Kaffees, während er erschrocken das Malheur betrachtete, dessen raumgreifender Armschwung dafür verantwortlich war.

      Einem ersten Impuls folgend wollte er seine Ungeschicklichkeit wieder dadurch gutmachen, dass er versuchte, den Kaffee von ihrer Brust zu wischen. Die Berührung ihres Busens brachte ihn wieder zur Besinnung, mit rötlichem Gesicht hatte er stotternd versucht, seine Ungeschicklichkeit zu entschuldigen.

      Nach dem ersten Schreck hatte sie laut aufgelacht, sah das Komödiantische der Situation, in der sie sich gerade befanden. Ronald war dazu gekommen, hatte versucht, den Fremden mit bösem Blick zu verdampfen. Noch jemand der sich berufen fühlte sie beschützen, obwohl niemand ihn darum gebeten hatte. Außerdem witterte er die Gefahr, die von dem Fremden ausging, der ihm seine zukünftige Frau abspenstig machen wollte. Diese Ansicht, dass sie seine künftige Frau sein würde, hatte er zwar exklusiv, er war jedoch immer noch überzeugt, sie von dem Arrangement überzeugen zu können.

      Sie war der drohenden Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen, indem sie nach der Hand von Holger gegriffen und diesen mitgezogen hatte.

      ›Komm mit, ich muss mir etwas anderes anziehen‹, dabei hatte sie Ronald demonstrativ angesehen, sollte er endlich begreifen, dass sie nichts von ihm wollte.

      Im Aufenthaltsbereich hatte sie Holger aufgefordert sich umzudrehen, damit sie sich umziehen konnte. Sie hatte sich Bluse und BH abgestreift, dann hatte sie den kleinen Rucksack geholt, der ihre Ersatzkleidung enthielt. Dabei bewegte sie sich in dem Bewusstsein, dass sie einen Aufpasser hatte, der sie vor unangenehmen Überraschungen beschützen würde, z. B. den Zutritt von Ronald.

      Während sie sich auskleidete, dann unbefangen halb nackt durch den Raum ging, um sich die Kleidung zu holen, konnte er sie in der satinierten Glastür wie in einem Spiegel betrachten. Er sah die zierliche Figur, die kleinen festen Brüste die neugierig nach oben blickten und die sich nicht zu bewegen zu schienen, während sie lief.

      Es wirkte zwar etwas verschwommen, trotzdem hatte er, nachdem er zuerst unangenehm berührt auf das Spiegelbild gestarrt hatte, neugierig ihre Figur betrachtet. Was er sah, gefiel nicht nur ihm, auch eine andere Region bei ihm schien sich an dem Anblick zu erfreuen. Während sie unbewusst ein T-Shirt überzog, dabei den kaffeegetränkten Büstenhalter wegließ, wirkten ihre Bewegungen für ihn sinnlich.

      Erst jetzt war ihm bewusst geworden, dass sie ganze Zeit geredet, ihm Dinge erzählt hatte, die an ihm vorbei gerauscht waren. Erst nach einer Frage, die sie bereits mehrfach gestellt haben musste, denn ihre Frage klang jetzt drängend, riss er seinen Blick von dem Spiegelbild. ›Ja, was hast Du gefragt, ich war in Gedanken, kannst Du bitte die Frage wiederholen‹.

      ›Du kannst Dich umdrehen, ich hab mich schon angezogen, ich habe gefragt, ob wir heute etwas gemeinsam unternehmen wollen, oder ob Du bereits verabredet