Sabrina Heilmann

Ein letzter Augenblick


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er einen schicken dunkelblauen Anzug, ich ein farblich passendes Abendkleid. Ich betrachtete mich einige Sekunden und kam nicht umhin, zu bemerken, wie perfekt ich aussah. Meine brünetten Haare lagen in geschwungenen Locken über meiner Schulter, mein Teint und das Make-up waren makellos. Das Kleid wirkte viel zu teuer, die Kette um meinen Hals und das dünne Armband an meinem Handgelenk ebenfalls.

      Dieses Foto war anders als die anderen. Es spiegelte eine Vertrautheit, wenn nicht sogar Liebe wider, dass mir das Blut in den Adern gefror. Aber es reichte ebenfalls nicht aus, um den Schalter in meinem Kopf umzulegen, der die Blockade löste und meine Erinnerungen zurückbrachte. Ich wusste nicht, wer der attraktive Mann neben mir war und wie er zu mir stand. Genauso wenig wie ich sagen konnte, wann und wo das Foto aufgenommen worden war oder was ich in diesem Moment gedacht und gefühlt hatte.

      Seufzend drehte ich mich zu Blake um und schluckte schwer, doch gegen die Tränen kam ich nicht an. Er sah mich fragend an und ich reichte ihm stumm den Bilderrahmen.

      »Wer ist das?«, wollte er wissen, doch ich hob nur die Schultern leicht an.

      »Ich weiß es nicht«, erwiderte ich leise. »Ich weiß überhaupt nichts. Das auf dem Bild bin doch nicht ich! Sieh dir das Kleid und den Schmuck an, wie hätte ich mir das leisten können? Meine Haare und das Make-up wurden von Leuten gemacht, die das professionell machen. Ich bin dort auf irgendeiner Veranstaltung. Glaub mir, die junge Frau, die mit ihrer besten Freundin Kaffee getrunken hat, hätte es nie so weit gebracht. Dieses Mädchen hätte in einer WG gewohnt, mit drei anderen verrückten Mädels, sie hätte vielleicht studiert oder sich einen coolen, kreativen Job gesucht. Sie hätte das Leben genossen, sich einen süßen Typen geangelt und aus ihrem Leben ein Abenteuer gemacht.« Ich ging einen Schritt auf Blake zu und nahm ihm das Bild wieder aus der Hand. »Wie konnte aus diesem Mädchen diese Frau hier werden?« Ich deutete auf meine Abbildung. »Und wie konnte aus dieser Frau das hier werden?« Nun deutete ich auf mich selbst. Offenbar hatte ich mich von einem lebenslustigen Teenager in eine erfolgreiche Frau verwandelt, und von eben dieser in eine von Selbstzweifeln, Angst und Unsicherheit geplagte Sechsundzwanzigjährige. Ich war momentan weder das eine noch das andere, denn ich wusste rein gar nichts über mich.

      Ich stellte den Bilderrahmen zurück auf seinen Platz und sah mich kurz um, um die Küche ausfindig zu machen. Als ich den Raum entdeckte, steuerte ich direkt darauf zu und begann, jede Schranktür zu öffnen. Blake war mir gefolgt und hatte sich lässig in den Türrahmen gelehnt.

      »Willst du mir sagen, was du suchst?«, fragte er.

      »Als ob du dir das nicht denken kannst.« Zwei Sekunden später fand ich das Objekt meiner Begierde. Ich schnappte mir die volle Flasche Rotwein, entkorkte sie mit Leichtigkeit, nachdem ich den Korkenzieher gefunden hatte, und lief zurück ins Wohnzimmer. Dort öffnete ich die Balkontür, trug mir einen Stuhl aus dem Essbereich heraus und ließ mich seufzend darauf sinken. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mir ein Glas zu holen, und setzte die Flasche direkt an. Das war immerhin kein Grund anzustoßen, sondern einer, um sich unkontrolliert volllaufen zu lassen. Ja, Alkohol war keine Lösung, doch er vernebelte manchmal die Sicht auf die Wirklichkeit. Das war ein Zustand, den ich in diesem Moment wirklich hätte gebrauchen können.

      Auch Blake kam auf den Balkon, allerdings nicht, um mich bei meinem Vorhaben zu unterstützen. Er nahm mir die Flasche aus der Hand und stellte sie in den leeren Blumenkasten, der an der Brüstung hing.

      »Und das war es jetzt?«, fragte er und sah dabei sauer aus. »Du gehst einmal durch dein Wohnzimmer, findest ein Bild, das dir keine Erinnerungen bringt, und dann gibst du auf? Ist das dein Ernst, Emilia?«

      »Ja. Gib mir den Wein wieder.«

      »Nein.«

      Blake kam auf mich zu und hockte sich vor mich. Er stützte sich auf meinen Beinen ab und sah mich durchdringend an. »Deine ganze Wohnung ist möglicherweise voller Hinweise auf deine fehlenden Erinnerungen, du musst sie nur suchen. Willst du einfach so aufgeben, ohne zu wissen, wer der Typ auf deinem Bild ist? Oder interessiert es dich nicht, wie du dir all das leisten konntest? Es gibt überhaupt keinen Grund, dich auf den Balkon zu setzen, in die Luft zu starren und dich sinnlos zu betrinken.«

      »Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle«, giftete ich ihn an. Obwohl ich nicht wollte, dass meine Worte so hart klangen, konnte ich es dennoch nicht verhindern. Niemand schien mich zu verstehen, und mit den vielen schlauen Ratschlägen konnte ich nichts anfangen. In meinem Kopf herrschte eine unendliche Leere, als würde eine Mauer alles abschirmen. Ich wollte sie so gern durchbrechen, doch es gelang mir nicht. Natürlich entmutigte mich das und nahm mir die Hoffnung, weitere Hinweise zu suchen, völlig. Ganz davon abgesehen, dass ich das, was ich bisher gefunden hatte, nicht mochte. Offenbar war aus mir eine Schickimicki-Tussi mit Geld geworden oder vielleicht war der junge Mann auch irgendein reicher Geschäftsmann, den ich mir geangelt hatte. So eine Frau hatte ich nie werden wollen, weswegen ich mir nicht sicher war, ob ich die ganze Wahrheit über mich herausfinden wollte.

      »Können wir die Wohnung morgen nach Hinweisen durchsuchen, Blake, bitte?«, fragte ich schwach, weil ich wusste, dass er nicht nachgeben würde. Im Moment war er mein Antrieb, der Grund, überhaupt nach Antworten zu suchen. Allerdings war mir genau das zu viel.

      »Okay, aber morgen gibt es keine Widerrede. Wir sind hierhergekommen, um Antworten zu bekommen, und wir werden erst zurück nach Inverness fahren, wenn wir diese haben.«

      Ich nickte und seufzte leise. »Bekomme ich jetzt bitte den Wein zurück? Den habe ich offenbar auch gekauft, also kann ich ihn jetzt auch trinken.«

      »Du bist unmöglich, Emilia Murray.« Ich schenkte Blake ein vielsagendes Lächeln, als er sich wieder aufrichtete.

      »Ich teile auch mit dir«, bot ich ihm schmunzelnd an, doch er verdrehte die Augen.

      Sein Verständnis beeindruckte mich. Dafür, dass wir uns noch immer kaum kannten, tat er alles dafür, um mir zu helfen. Er war ein guter Mensch. Einer der Sorte, die man nicht so häufig im Leben traf. Die Hilfsbereitschaft eines anderen Menschen war schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr, ebenso wie Uneigennützigkeit. Blake half mir nicht, weil er etwas davon hatte, er tat es offenbar, weil er mich mochte.

      Als er bemerkte, wie ich ihn stumm betrachtete, erwiderte er meinen Blick fragend. »Warum siehst du mich so an?«, erkundigte er sich, doch ich schüttelte nur lächelnd den Kopf und senkte den Blick. Diese Antwort würde ich ihm schuldig bleiben.

       Traum

      Ich sah mich um, doch ich wusste nicht, wo ich war. Der Raum, in dem ich mich befand, wirkte wie ein Ballsaal. Auf der einen Seite standen große, runde Tische, auf der anderen gab es eine kleine Erhöhung, die, den Instrumenten nach zu urteilen, als Bühne diente.

      Ich drehte mich einmal um mich selbst und sah anschließend an mir hinab. Das dunkelblaue Abendkleid schmiegte sich perfekt an meinen schlanken Körper und dennoch fühlte ich mich verkleidet. Schnell stoppte ich in meiner Bewegung und sah mich noch einmal in dem Saal um. Bisher war ich die Einzige. Was wollte ich überhaupt hier? Hatte ich mich mit der Adresse geirrt, oder war ich doch richtig? Und warum war hier sonst niemand?

      Irritiert ging ich einige Schritte und das Geräusch, das die Absätze meiner Schuhe machten, hallte dabei im gesamten Raum wieder.

      »Hallo, ist hier jemand?«, fragte ich und bekam immer mehr das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. »Hallo?«

      »Hallo«, antwortete plötzlich eine samtweiche, männliche Stimme und ich fuhr erschrocken herum. Vor mir stand ein junger Mann mit länglichem, blondem Haar, den ich schon einmal gesehen hatte. Aber wo war das gewesen?

      Ein bisschen ungläubig sah ich ihn an und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Erwartete er überhaupt, dass ich etwas sagte, oder war es in Ordnung, wenn ich schwieg?

      »Möchtest du mir nicht richtig Hallo sagen?«, fragte er mich und ich sah ihn verwundert an.

      »Aber das habe ich doch«, antwortete ich und wurde unsicher. Der Fremde lachte und ich verstand nicht, warum. »Was ist so lustig?«

      »Du