Antonia Colloni

Aufbereitung der Geschehnisse rund um die Loveparade-Katastrophe am 24.7.2010 in Duisburg


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(so viel zum politischen Willen) und eine Absage lediglich aus gravierenden Sicherheitsbedenken erfolgen könne, wofür man dann noch mal gnädiger Weise weitere drei Wochen Zeit erhielt, diese evtl. anzumelden, wörtlich: "... sollen über das Ordnungsamt alle grundsätzlichen Aussagen über die Machbarkeit der Loveparade... gemeldet werden" und dass "in diesem Zusammenhang" vereinbart wurde, dass möglichst alle Pressekontakte und Erklärungen über Herrn K. (Lopavent) bzw. Herrn S./Herrn K. (Stadt Duisburg, Dez. des OBs) abgewickelt werden" sollten. Und so viel noch zu weiterem Planungsvokabular, welches das hinter allem stehende Denken treffend offenbart: Am 20.10.2009 wurde Stellung bezogen zu der Überlegung, die A59 (die an das Gelände grenzende Stadtautobahn) als Zu- und Abmarschroute zu nutzen. Lex Specialis

      Hin zur Politik. An dieser Stelle möchte ich ein unveröffentlichtes Interview zur Verfügung stellen, das ich mit dem Politik- und Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Knill mit Lehrstuhl für Vergleichende Policy-Forschung und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz geführt hatte.

      Frage: Herr Prof. Dr. Knill, erforschen Sie vielleicht auch die Zusammenhänge von Macht und Moral? Wie können Städte, deren Dezernate, Ratsleute, Oberbürgermeister, Sprecher, Stadtdirektoren und Amtsleiter dafür Sorge tragen, dass die Moral beim Regieren insgesamt nicht zu kurz kommt? Nach Bertold Brecht, kommt ja erst das Fressen, und dann die Moral.

      Prof. Dr. Knill: Politisches Handeln – zumindest in Demokratien – sollte dem Gemeinwohl verpflichtet sein und insofern effektive Lösungen für Probleme hervorbringen, welche rechtlichen und moralischen Standards gerecht werden. Diesem Anspruch werden politische Systeme (sei es auf zentraler, regionaler oder kommunaler Ebene) freilich nicht immer gerecht. So verfolgen Politiker und Bürokraten Eigeninteressen, welche möglicherweise mit den Zielen der Allgemeinheit kollidieren. In demokratischen Systemen wird generell versucht, durch verschiedene Kontrollmechanismen (Wahlen, Bürgerbeteiligung, parlamentarische Kontrolle) dieses Problem soweit wie möglich einzudämmen. Auch wenn diese Mechanismen in der Regel – halbwegs – funktionieren, schließt dies ein Versagen im Einzelfall nicht aus. Die Duisburger Love Parade kann sicherlich in diesem Sinne interpretiert werden.

      Frage: Ist das machbar, ohne dass die Bürger effektiv in Entscheidungsprozesse mit eingebunden werden und dies nachhaltig und konsequent fordern, denn ist die städtische Gesellschaft nicht die wichtigste Kontrollinstanz?

      Prof. Dr. Knill: Wie schon gesagt, stellt demokratische Kontrolle durch Wahlen, Bürgerbeteiligung, Protest, aber auch Parteien-Wettbewerb ein zentrales Element dar, um zu verhindern, dass Politik und Bürokratie eigeninteressiert und nicht Gemeinwohl orientiert handeln.

      Frage: Ein deutsches Vorbild könnte vielleicht Tübingen darstellen. Dort hatte es der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer erreicht, dass ein ehemaliger Autotunnel Auto frei für Radfahrer und vor allem eine komplette Stadt freie Zone geschaffen wurde, in der rechte und rechtsradikale Parteien und Gruppierungen draußen bleiben müssen. Eine Ausnahme in Deutschland, also nicht nur in Duisburg undenkbar?

      Prof. Dr. Knill: Sicher stellt Tübingen keine Ausnahme dar. Hier hat sich die Bevölkerung bei ihrer Wahlentscheidung für eine Person entschieden, die für ein bestimmtes politisches Programm steht. Dieses Programm hat Herr Palmer in der Folgezeit versucht entsprechend umzusetzen. Der Auto freie Tunnel ist insofern nichts anderes als das Ergebnis einer demokratischen Wahlentscheidung, die letztlich in jeder anderen deutschen Stadt in gleicher Weise hätte getroffen werden können. Und natürlich wird Herr Palmer bei der nächsten Wahl – so er kandidieren würde – an seiner Performanz gemessen. Das wird auch für den Duisburger OB gelten.

      Frage: Wie viel Chuzpe benötigt ein Oberbürgermeister, um gegen politischen und wirtschaftlichen Druck auf Landes- und Bundesebene immun zu sein?

      Prof. Dr. Knill: Das hängt von der Frage ab, ob dieser Druck gleichzeitig auch von Seiten der Bevölkerung und der Ratsmitglieder ausgeübt wird und der OB insofern nicht nur gegenüber Bund und Land, sondern auch in seiner Stadt eine Gegenposition vertreten müsste. Je isolierter er mit seiner Position ist, desto mehr Rückgrat braucht er, um auf seinem Standpunkt zu beharren. Wenn er aufgrund der Sachlage zum Ergebnis kommt, dass es besser ist, Druck von außen nicht nachzugeben, ist er moralisch dazu verpflichtet, diesem Druck Stand zu halten – ungeachtet der Konsequenzen, die dies möglicherweise für ihn hat. Aber – wie gesagt – Politiker verfolgen eben auch Eigeninteressen.

      Frage: Druck von Seiten der Bevölkerung und der Ratsmitglieder gibt es leider so gut wie gleich null in Duisburg. Was halten Sie von unabhängigen Expertenkommissionen, wie sie z.B. in den USA gang und gäbe sind, wenn Katastrophen aufgeklärt werden müssen? Denn das werden sie dort, im Gegensatz zu Deutschland (z.B. nach der jüngsten Ölkatastrophe im Golf von Mexiko). Dass es in gestandenen Demokratien - wie jener in den USA - ja wohl traditionell gewachsen und nicht wegzudenken ist. Sind wir in Deutschland (noch) weit davon entfernt?

      Prof. Dr. Knill: Nein – sicher nicht. Aber Evaluationen durch Expertenkommissionen laufen immer Gefahr, dass sie politisch instrumentalisiert werden können – egal, ob in Deutschland oder anderswo. Wirkliche Unabhängigkeit ist nur schwer zu erreichen. Wer die Expertenkommission einsetzt, wird immer darauf bedacht sein, dass die Kommission zumindest nicht gegen dessen eigene Interessen urteilt.

      Frage: Experten wurden auch in Duisburg eingesetzt, um die Loveparade ein paar Tage vorher mit Hängen und Würgen genehmigt zu bekommen, denn der Brandschutzexperte Rainer Jaspers, Dipl.-Ing. der Brandschutzfirma Ökotec, hatte der Stadt Duisburg eine „unabhängig“ angefertigte Entfluchtungsanalyse empfohlen, da weder Rettungs- und Fluchtwege, noch Brandschutz absolut nicht sichergestellt waren. Dipl.-Ing., Experte der Brandschutzfirma Ökotec, der mit dem guten Draht zum Bau-/Verkehrsministerium.

      Prof. Dr. Knill: Dies ist ein gutes Beispiel für die vorhin angesprochene Problematik der Instrumentalisierung. Auf diese Weise besteht die Gefahr, dass unter dem Verweis auf „unabhängige Expertise“ politische Legitimation erzeugt wird.

      Frage: Ein weiterer Experte kam hinzu: Der Physiker Prof. Michael Schreckenberg, wie Dr. Hubert Klüpfel ein Stau- und Verkehrsforscher, der die Expertise seines ehemaligen Studenten für gut befinden sollte, wofür er 20.000 Euro vom Rechts- und Sicherheitsdezernenten Wolfgang Rabe aktenkundig erhalten haben soll (und für was auch immer), was dieser aber leugnet. Unabhängig sähe anders aus, oder? Erhielt angeblich von Lopavent 60.000 Euro für seine "Expertise".

      Prof. Dr. Knill: Das ist ein generelles Problem vieler Gutachten, die von Politik und Verwaltung eingeholt werden. Gutacher wollen gerne lukrativ bezahlte Folgeaufträge und werden daher selten ein Gutachten verfassen, das den Zielen ihrer Auftraggeber zuwider läuft. „Wer zahlt, schafft an…“

      Frage: Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Sachen Aufklärung der Duisburger Love Parade-Katastrophe wurde von der CDU, den Grünen und der SPD auf Landesebene abgelehnt. Höher und unabhängiger geht ja kaum. Was zeigt das?

      Prof. Dr. Knill: Das zeigt, dass keine der genannten Parteien sich einen politischen Gewinn von einem Untersuchungsausschuss erhofften, sondern vielmehr mögliche Kosten sah. Diese dürften darin zu sehen sein, dass man Gefahr läuft, unter Umständen selbst in die Kritik zu geraten, da die Veranstaltung in Duisburg auf Landesebene allgemein „forciert“ worden war.

      Frage: Sehen Sie die Demokratie in Deutschland in Gefahr?

      Prof. Dr. Knill: Nein. Deutschland hat eine sehr funktionsfähige Demokratie, die sich langfristig betrachtet als sehr leistungsfähig erwiesen hat – gerade auch im internationalen Vergleich. Dies schließt Skandale nicht aus, die in keinem politischen System ausbleiben. Ein großer struktureller Nachteil des deutschen Systems ist sicherlich die unklare Attribution* politischer Verantwortlichkeit, welche sich aufgrund der föderalen Politikverflechtung ergibt. Im Zweifel schieben sich Bund, Länder und Kommunen wechselseitig den „Schwarzen Peter“ zu, was es für den Wähler schwierig macht, die Leistung der von ihm gewählten Partei oder Vertreter zu evaluieren. Im Hinblick auf genuin kommunale Ereignisse und Entwicklungen sind klare Verantwortungszuschreibungen jedoch auch in Deutschland durchaus möglich. Auch der Duisburger OB wird sich dieser Evaluation bei der nächsten Wahl stellen müssen bzw. diese antizipieren, indem er auf eine neuerliche Kandidatur verzichtet.

      *„Der