Stefan Groß

Der Bauarbeiter - Aufzucht und Hege


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Falle gelangst du also über ein Studium dieser Lektüre zu der Erkenntnis, dass zur Bildung deiner Persönlichkeit kein Weg an einem Baustellenpraktikum vorbeiführt. Das wäre natürlich der Königsweg, welcher für dein bisheriges beschämendes Leben eine ungeahnte Wende und Bereicherung bedeuten würde.

      Dem Autor ist es aber dennoch Wurst, was mit dir geschieht. Hauptsache ist, dass du das Buch gekauft und gänzlich bezahlt hast, es nicht verschenkst oder verleihst, sondern es an einen Freund, oder von mir aus auch an deinen Feind weiterempfehlen wirst.

      Geschäft ist Geschäft und nur so wird ein Schuh draus. Ich verlass' mich drauf.

      Dein Meister in diesem Buch

      Eine Maurergeburt

      Scheiße, war das heiß an diesem Sommertag im August 1961. Die junge Frau lag schon seit Stunden auf der Matratze, auf welcher sie jede Nacht ihrer Schwangerschaft auf diesen nun eingetretenen Moment hingefiebert hatte. Aber sie war glücklich, denn wie hatte sie sich auf das herannahende Mädchen in ihren Armen gefreut. Zwei Jungen hatten sie ja bereits und somit waren der Nachname und die Fortpflanzung der Familie weitestgehend abgesichert.

      Nun konnte also das Mädchen geboren werden, welches ihr in der von Männern beherrschten Umgebung zur Seite stehen würde. Ein Mädchen liebt schicke Kleider und pinkelt vor allem im Sitzen, das war ihr wichtig.

      Um sie herum waren eine alte Hebamme und ihr Mann, der Karl — ein listiger kleiner Schlesier, den sie des Nachts beim Tanz kennengelernt hatte, mit schwarzem Haar, einer großen Familie und der glücklicherweise ein gelernter Maurer war. Aber helfen konnte er ihr jetzt auch nicht.

      Hätte sie doch damals nach der Weihnachtsfeier im Bauwagen besser aufgepasst. Aber wie hätte sie widerstehen können, als er vor ihr stand: schicke, einst weiße Maurerhose mit Zollstocktasche, ein fein geripptes verschwitztes Unterhemd und die schwarzen Lederschuhe mit Schnürriemen aus grüner Mauerschnur. Wie romantisch war es, als alle anderen gegangen waren und nur der alte Ölofen sie beide beobachten konnte.

      An dem Abend muss es gewesen sein! Unvorstellbar, was so ein alter Holztisch alles aushält. Da ging es hoch her zwischen den Bauplänen und Brotdosen. Hier hätte sie schon ein wenig nachdenklich werden sollen — können in einem Bauwagen denn überhaupt Mädchen gezeugt werden? Aber darüber hatte sie sich damals natürlich keine Gedanken gemacht und der Karl erst recht nicht. Wäre auch ein bisschen zu viel verlangt gewesen, nach 14 Glas Bier, drei Tellern Erbsensuppe und acht Kurzen.

      Nun lag sie also hier und das Einzige, was sie noch entfernt an die Zeugungsnacht erinnerte, war die Aura ihres Mannes, der noch vor wenigen Stunden die gleiche Suppe wie damals zu sich genommen hatte. In gleichem Maße wie die Wehentätigkeit nahmen auch die Zweifel am Geschlecht des zu gebärenden Kindes zu, denn sie spürte einen ungewöhnlich großen Schädel, der ans Tageslicht wollte. Haben Mädchen so dicke ... ? Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Zu sehr hatte sie sich ja auf das Mädchen gefreut und an einen weiteren Jungen mochte sie erst gar nicht denken — zu grausam war der zweitjüngste Sohn, welcher seit mehr als zwei Jahren alle Nahrung auf verkehrtem Wege in der Wohnung und auf ihrer Kleidung verteilte. Es ging voran und das Zutrauen in die Dehnungsfähigkeit des eigenen Körpers wurde mit jeder Wehe kleiner. Die angsterfüllten Augen der alten Hebamme bestätigten die Ahnungen der jungen Frau und ihr Mann — Karl — sah aus, als würde er sich geistesabwesend schon mal auf eine größere Wohnung einstellen.

      Nach etwa 17-25 Presswehen war das Grausamste vorüber. Der Kopf war geboren und der Rest eine nicht mehr wahrgenommene und leichte Übung. Als daraufhin der eiligst herbeigerufene Arzt aus der Nachbarschaft die junge Frau in einer zweistündigen Notversorgung vor dem Schlimmsten bewahren konnte, trug mich mein Vater mit stolzerfülltem Gesicht zur Kindesmutter. Nachdem sie immer noch leicht benebelt festgestellt hatte, dass ich anders aussah, als die anderen Mädchen die sie kannte, brach sie in völliger Enttäuschung unter Tränen in sich zusammen.

      Eine halbe Stunde später und nach den aufmunternden Worten Vaters: "In drei Monaten ist ja wieder eine Weihnachtsfeier", wurde ich langsam ungemütlich. Ich war zwar kein richtiges Mädchen, auch wenn ich auf den ersten Blick nur wenige Zentimeter davon entfernt war, aber ich hatte Hunger! Und einen Namen hatte ich auch noch keinen — so nicht, liebe Eltern! Schlimm genug für mich, dass ich mit einem kleinen Schniedel auf die Welt kam, den keiner wollte. Jetzt hatte man scheinbar auch noch vor mich ohne Namen verhungern zu lassen. Ich schrie also was das Zeug hielt und erlernte so schon in frühen Jahren einige wichtige Wahrheiten des Lebens, nämlich dass eine große Schnauze den Bauch vollmacht, Frauen für die Nahrungszubereitung und deren Ausgabe zuständig sind und dass Erbsensuppe eine lang anhaltende Wirkung hat. Außerdem machten Mädchen scheinbar glücklicher als Buben — eine auf mich unterbewusst übertragene Tatsache, an die ich mich in späteren Jahren gerne und häufig erinnerte.

      Ach ja der Name … Nachdem ich an der prall gefüllten Brust meiner Mutter entspannt einer meiner späteren Lieblingsbeschäftigung nachging, diskutierten meine Eltern kurz meinen Namen.

      Meine Mutter bestand trotz des Schniedels auf den Namen Stefanie. "Er ist doch nicht so groß und er wird ja vielleicht noch weggehen", erklärte sie und das ist bis heute für mich unverzeihlich.

      Vater bestand auf den Namen Herrmann — wohl um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, wegen des Schniedels, und mir wenigstens einen Namen zu geben, der sogar in doppelter Hinsicht mit einem Mann in Verbindung gebracht werden konnte.

      Es kam dann also der faule Kompromiss Stefan Hermann dabei heraus, aus der Not dem Kind einen Namen zu geben, aus der Notwendigkeit zum Alltag überzugehen und natürlich auch weil Abendessenzeit war und die Kartoffeln noch nicht geschält waren, wofür sich meine Mutter dann auch rasch aus dem Bett begab.

      Ich war also geboren — großer Schädel, kleiner Schniedel … und somit natürlich kein Mädchen.

      Das war alles Wissenswerte zur Geburt und es sollte für lange Zeit das Einzige bleiben. Nachdem nun auch dir, lieber Leser, klar sein dürfte, dass der Bauarbeiter kein Alien ist, also auf natürlichem Wege auf die Welt geworfen wird, lies einmal wie es weiterging mit dem kleinen Dickschädel.

      Die Kinderzeit — Hart wie ein Mauerziegel

      Die Jahre zwischen meiner Geburt und der, wie sich zeigen sollte erfolglosen Einschulung, kann ich hier nur sehr unklar wiedergeben. Das liegt zum einen daran, dass ich nicht sehr helle war, als auch an dem Umstand, dass sich nur schwerlich Menschen finden lassen, welche sich an meine Lebensführung erinnern. Ich war eben in erster Linie da — und wurde gewaschen, gefüttert und zu Bett gebracht.

      Real betrachtet war ich zwar Teil eines Wurfes von vier Abkömmlingen meiner Eltern, aber ich fiel nicht weiter auf, in etwa wie ein einzelner Stein in einer Klinkerwand. Jeder sieht ihn, aber keiner schenkt ihm besondere Beachtung.

      Meine Mutter kann sich heute glücklicherweise wenigstens noch daran erinnern, dass ich großen Hunger hatte und blond war. Dass sie dabei alte Fotos herauskramt, um mir antworten zu können, ist allerdings manchmal etwas befremdlich.

      Wir lebten im großelterlichen Haus mit Tanten, Onkeln, Eltern, Cousinen und Cousins. Die etwa 18 Personen in dieser Doppelhaushälfte stapelten sich auf 140 Quadratmeter Wohnfläche. Eine Wohnflächenerweiterung erfolgte in der Regel durch Etagenbetten für die Kinder, was Ruck-Zuck einige Quadratmeter einbrachte.

      Was mir einigermaßen in Erinnerung blieb war mein Großvater väterlicherseits. Ein Baum von einem Mann, gelernter Maurer (was sonst) und ein Patriarch wie er in den besten Monumentalfilmen vorkommt. Mit harter Hand und barschen Worten unterjochte er nicht nur seine eigenen (schon erwachsenen) Kinder, sondern natürlich auch die angeheirateten Ehepartner im Hause, zu dieser Zeit meine Mutter und deren Schwägerin sowie die Frau meines Onkels. Er war ein praktizierender Christ und das Einzige, was diese Bezeichnung rechtfertigte, war sein täglicher Kirchgang. Der häufige Besuch der Kirche war aber auch notwendig. Sein alltäglich selbst erarbeiteter Sündenkatalog musste einfach auch im gleichen Zeitraum die Absolution erhalten.