Stefan Groß

Der Bauarbeiter - Aufzucht und Hege


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sollte mir noch lange Probleme bereiten.

      Nicht nur aufgrund meines geringen Alters, auch sonst war ich mit der Kürzeste in der Klasse und somit dem ständigen Spott der grausamen Mitschüler ausgesetzt. Hier entwickelte sich meiner Überzeugung nach ein großer Teil meines nicht ererbten Charakters.

      Kleine Menschen haben es von Kind an schwerer und wenn diese auch noch jünger als die meisten anderen sind und nicht nur aufgrund ihres Alters geistig noch etwas hinterherhängen, entwickeln sie oft Verhaltensweisen außerhalb der gewünschten Normen. Sie nannten mich Benjamin den Kleinen — und da sie mich nicht nackt kannten, zielten sie auf meine Körperhöhe ab. Den Namen benutzte sowohl die pädagogisch völlig unbeleckte Lehrerschaft, als auch die Mitschüler. Nett, dachte ich, scheint ein lustiger Haufen Scheiße zu sein. Und so erfreute ich sie alle zusätzlich mit meinen Späßen als Klassenclown.

      Ich merkte recht schnell, dass der Bruch von Regeln die Aufmerksamkeit und Anerkennung der Gruppe auf sich zog. Das war toll für mich, weniger für meine Mutter. Sie musste Rede und Antwort stehen, ob der humorvollen Störungen des Unterrichtes. War ja alles nicht schlimm — mein Charakter war noch im Formungsprozess und die Delikte nur verbaler Art.

      Mein Vater war hier nicht involviert und überhaupt trat er während meiner Grundschulzeit nur einmal unangenehm in Erscheinung. Leider hatte ich nicht gemerkt, dass er aus irgendeinem Grund an einem Wochentag nicht zur Arbeit gegangen war. Darüber war er verständlicherweise schwer sauer, denn er musste wie ein Tagedieb für zwölf Stunden sein Dasein im Hause fristen. Ich trödelte ein weinig auf dem Rückweg von der Schule, führte noch eine kleine Schlägerei mit einem Jungen aus der Nachbarschaft und ging anschließend noch in einen Laden, um ohne Geld einzukaufen. Kaum kam ich nach erfolgter Besorgung aus der Ladentür, sah ich das Unheil in väterlicher Gestalt schon auf mich zu kommen. Er war seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen sehr ungehalten und lief ohne zu zögern auf mich zu. Ich hatte keine Chance zu entkommen. Er packte mich am linken Ohr und trabte voran wie ein Rennpferd, wohl um mich von der richtigen Geschwindigkeit für den Schulweg zu überzeugen. Das tat ganz schön weh, aber schlimmer war die Schmach, dass der Alte mich so vorführte. Nach anderthalb Kilometern machte er halt, wir waren zu Hause angekommen. Mein gefoltertes Ohr schmerzte und mein Vater war zufrieden. Hatte er doch trotz Kind und Ohr an der Hand wenigstens die anderthalb Kilometer mit einer ganz passablen Laufleistung hingelegt, wenn er schon nicht malochen konnte. Und er hatte sich endlich einmal um die Erziehung gekümmert, da konnte seine Frau auch mal ein bisschen stolz auf ihn sein und die Meckerei einstellen.

      Ich war ein schlechter Schüler, was meine wahren Leistungen betraf. Trotzdem verstand ich so zu tun, als würde ich begreifen was die Lehrer vermitteln wollten. Ich plapperte nach, schrieb viel ab und umschrieb Antworten auf gestellte Fragen blumig, ohne die Fragen jedoch im Kern zu beantworten oder die Antworten zu wissen. Da die Lehrer offenbar so blöd waren diese Plappereien als Intelligenz zu bewerten, rieten sie meiner Mutter, mich auf eine Realschule zu versetzen. Das war natürlich völliger Unsinn, denn mit meinen zehn Jahren und dem nicht vorhandenen Wissen hätten sie mich besser die dritte und vierte Klasse wiederholen lassen. Selber Schuld und Arschlecken, dachte ich. Glaubt bloß nicht, ich werde für eure Blödheit die Zeche bezahlen und an den bevorstehenden Schwierigkeiten und schlechten Noten Schaden nehmen. Ihr werdet schon erkennen, wer hier die Nerven lassen wird. Nicht ich werde in Zukunft zum Elternsprechtag aufs Schafott zitiert, sondern ihr. Im Grunde war es egal, denn eigentlich hatte ich zu dieser Zeit schon überhaupt kein Interesse mehr an dem ganzen schulischen Kram.

      Die Flegeljahre — ein Charakter entsteht

      Die Pubertät nahm Besitz von mir und ich folgte nur noch meinen Trieben. Meine Jugendzeit war geprägt von den Reizen der mich umgebenden Mädchen und meinem Streben nach Anerkennung. Und wie bei den meisten heranwachsenden Jungen begleiteten auch mich die Dame Maria Faust und ihre fünf Töchter durch diese bewegte Zeit. Ich bemitleide heute meine Mutter, hatte sie doch noch weitere vier Söhne in die Welt gesetzt, welche fast täglich die Bettwäsche festigten.

      Nach zwei erfolglosen Jahren auf der Realschule, deren einziger Reiz in einer vollbusigen blonden Mitschülerin und einer lustigen Klassenfahrt bestand, hatte auch meine Mutter endlich meine Blödheit bemerkt und mich dann auch schleunigst auf eine Hauptschule befördert. Dadurch wurden zwar die Noten nicht besser, aber sie hatte ihre Schuldigkeit getan und mehr war überhaupt nicht zu machen.

      Zum Glück waren die Lehrer auf dieser Schule komplett überfordert mit sich selbst und ihrer Schülerklientel, was sich beim Kollegium in Trunksucht, Wutausbrüchen unter Tränen, Schlägereien mit Schülern oder in der spontanen Ausübung von roher Gewalt äußerte. Alles in allem ein richtiger Sauhaufen, besonders die Lehrerschaft.

      Es gefiel mir recht gut da. Keiner nahm großen Anstoß daran, wenn sich Schüler auf dem Schulhof prügelten, oder auch die Lehrer im Unterricht verwimmst wurden. Hier lernte ich noch eine andere wichtige Sache: Überrasche deinen Feind, bevor er dich überrascht und suche dir starke Freunde, wenn du schon eine große Fresse hast.

      Da ich immer noch recht klein war, zog ich immer wieder die Aufmerksamkeit der bösen Jungs auf mich, welche mir nachstellten, um mich zu verprügeln. Durch schnelle Beine und gute Freunde konnte ich mich aber stets der Keile entziehen. Was ich allerdings gar nicht leiden konnte: wenn man mich in der Klasse mit Schimpfworten die auf meine Größe anspielten bedachte. Da gab es schon mal ohne Vorwarnung für den Bösewicht während des Unterrichts was auf die Fresse — da hatte er dann gar nicht mit gerechnet, der Schlingel, mitten im Biologieunterricht sein eigenes Blut zu schmecken.

      Einmal gab mir die Englischlehrerin mitten im Unterricht eine Ohrfeige wegen einer ihrer Meinung nach unverschämten Äußerung ihr gegenüber. Das war pädagogisch zwar in Ordnung, doch die Lehrerin war der Meinung, dass die Sache damit erledigt war. Also vernachlässigte sie sträflich ihre Deckung und kassierte den Retourschlag mit voller Wucht. Sie strauchelte über einige Stühle und fiel jammernd zu Boden. Ich musste zum Direktor und zu meiner Verwunderung bekam die Lehrerin einen ordentlichen Einlauf dafür, dass sie zuerst geschlagen hatte. So war's richtig — aber die Abmahnung hätte sie für die schlechte Deckung bekommen sollen.

      Da meine Versetzung jedes Jahr auf Messers Schneide stand, war auch bei meiner Mutter eine Resignation erreicht, die das Leben für mich noch etwas angenehmer werden ließ. Mein Vater war gerade selbstständig und hatte ohnehin nur Zeit für seinen Betrieb und mir war es recht.

      Meine Freizeit, die ich wie es mir gefiel auch vormittags während des Unterrichtes einteilte, verbrachte ich mit sozial schwachen Mitschülern in der nahegelegenen Parkanlage. Hier tauschte ich die erste Körperflüssigkeit in Form von reichlich Speichel aus, fing an zu rauchen und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein. Um mein Fernbleiben vom Unterricht zu legitimieren sagte ich oft, dass ich bei meinem Vater im Betrieb aushelfen müsste. Der wusste zwar nichts davon, aber die Lehrer waren über jeden Schüler froh der fehlte. Wenn der Schüler auch noch vorher mit ihnen gesprochen hatte so wie ich — um so besser.

      Ich lebte also in den Tag hinein — lässig, cool, aber mit wachem Auge und weniger wachem Verstand. Bei meiner Beobachtung der Menschen wurde mir damals klar, dass Erfolg, Sex und Alkohol eine wichtige Rolle im Leben spielten.

      Als Parameter für den Erfolg eines Menschen sehen wir hierzulande die Geldmenge an, welche er durch Leistungen anhäuft. Wie und auf welche Art und Weise er diese Leistungen erbringt ist unwichtig. So ist zum Beispiel ein Bankräuber in der Öffentlichkeit ein toller Hecht, wenn er mit zwei erbeuteten Millionen herrlich und in Freuden in Südamerika auf seinem Landsitz lebt und täglich eine andere vögeln kann. Ein Handlanger auf dem Bau hingegen, der täglich sechs Tonnen Steine per Hand auf ein Gerüst befördert und dafür 1.200,- Euro netto erhält, ist für die anderen ein Versager und nur bedingt zu frequentieren. Es gibt zwar auch den sportlichen Erfolg, in gewissem Rahmen, aber wenn der Sportler seine Anstrengungen nicht versilbert bleibt er trotzdem eine Pfeife.

      Damit wären wir beim Sex: Hier kann der Handlanger mindestens schon mal gut mithalten. Auch der reichste Sack kann nicht besser pimpern als der letzte Baukuli, das ist wohl sicher. Geld macht zwar sexy, aber wenn der Junge