ja alle miteinander lächerlich!«
Der Inspektor war weder zornig noch heftig. Er sprach ganz ruhig und bat die Krankenpflegerin, den Gesang und die Musik und das lange Leichengefolge abzubestellen. Es würde ja genügen, wenn ein Dutzend Menschen den Jungen zu Grabe geleiteten. Und die Krankenpflegerin widersprach dem Inspektor mit keinem Wort, teils aus Respekt und teils weil sie selbst fühlte, daß er recht hatte. Es war zu viel Wesens von so einem Betteljungen machen! Aus Mitleid mit dem armen Mädchen war ihr Herz mit dem Verstand durchgegangen.
Von der Villa des Inspektors ging die Krankenpflegerin nach dem Barackenviertel, um Aase zu sagen, daß sie es nicht so ausrichten könne, wie sie es wünschte, aber sie tat das nicht leichten Herzens, denn niemand wußte besser als sie, was dies Begräbnis für das arme Kind bedeutete. Auf dem Wege begegnete sie ein paar Arbeiterfrauen und sprach mit ihnen über diese Schwierigkeiten. Sie sagten sofort, sie fänden, daß der Inspektor recht habe. Es sei ein Unsinn, so viel Aufhebens von einem Betteljungen zu machen. Natürlich tue ihnen das kleine Mädchen leid, aber es sei widersinnig, daß ein Kind auf diese Weise alles ordnen und einrichten wolle. Es wäre gut, daß aus dem Ganzen nichts würde.
Die Frauen gingen nach Hause und erzählten es weiter, und bald lief das Gerücht, daß aus dem großen Begräbnis für den kleinen Mads nichts werden könne, vom Barackenviertel bis zum Grubenschacht. Und alle stimmten darin überein, daß es das einzig Richtige sei.
In ganz Malmberget war wohl nur eine, die anderer Ansicht war, nämlich das Gänsemädchen Aase. Die Krankenpflegerin hatte wirklich einen harten Kampf mit ihr zu bestehen. Aase weinte weder, noch klagte sie, aber sie wollte sich nicht fügen. Sie sagte, sie habe den Inspektor nicht um Hilfe gebeten, folglich habe er auch nichts mit der Sache zu tun. Er könne ihr ja nicht verbieten, ihren Bruder so zu begraben, wie sie wollte.
Erst als mehrere von den Frauen bei ihr gewesen waren und ihr erklärt hatten, daß jetzt, wo der Inspektor nichts davon wissen wolle, niemand zum Begräbnis kommen werde, wurde es ihr klar, daß sie seine Erlaubnis haben mußte.
Sie saß einen Augenblick da und überlegte, dann stand sie plötzlich auf. »Wo willst du hin?« fragte die Krankenpflegerin. »Ich muß zu dem Inspektor gehen und selbst mit ihm reden,« erwiderte Aase. – »Du glaubst doch wohl nicht, daß er sich an das kehrt, was du sagst?« meinten die Frauen. – »Ich glaube, der kleine Mads will, daß ich zu ihm gehen soll,« antwortete Aase. »Der Inspektor hat wahrscheinlich nie gehört, was für ein Mensch er gewesen ist.«
Das Gänsemädchen Aase machte sich schnell fertig und war bald auf dem Wege zum Inspektor. Es erschien nun aber allen ganz unglaublich, daß ein Kind wie sie daran denken konnte, den Inspektor, den mächtigsten Mann in ganz Malmberget, von dem abzubringen, was er einmal als seinen Willen geäußert hatte. Und die Krankenpflegerin wie auch die andern Frauen konnten es sich nicht versagen, ihr aus der Entfernung zu folgen, um zu sehen, ob sie wirklich den Mut hatte, zu ihm zu gehen.
Das Gänsemädchen Aase ging mitten auf dem Wege, und während sie so dahin schritt, lag etwas über ihr, das die Menschen veranlaßte, sich nach ihr umzusehen. Sie kam so ernsthaft und würdig dahergegangen, wie ein junges Mädchen, das an ihrem Konfirmationstag durch die Kirche schreitet. Auf dem Kopf hatte sie ein großes schwarzseidenes Tuch, ein Erbstück von ihrer Mutter, in der Rechten trug sie ein zusammengefaltetes Taschentuch und in der Linken einen Korb mit Spielzeug, das der kleine Mads verfertigt hatte.
Als die Kinder, die auf dem Wege spielten, sie kommen sahen, liefen sie hinter ihr drein und riefen: »Wo willst du hin, Aase? Wo willst du hin?« Aber Aase antwortete nicht. Sie hatte ihre Fragen nicht einmal gehört. Sie ging nur weiter. Und als die Kinder wieder und wieder fragten, und an ihrem Rock zerrten, packten die Frauen, die hinter ihr hergingen, die Kinder beim Arm und hielten sie zurück. – »Laßt sie gehen,« sagten sie. »Sie will zum Inspektor und bitten, ob sie nicht ein großes Begräbnis für ihren Bruder, den kleinen Mads veranstalten darf.« Da wurden auch die Kinder von Erstaunen ergriffen, daß sich Aase auf etwas so Verwegenes einlassen wollte, und eine kleine Schar von ihnen lief mit, um zu sehen, wie es ihr ergehen werde.
Dies trug sich gegen sechs Uhr nachmittags zu, als die Arbeit in den Gruben beendet war, und als Aase eine Strecke gegangen war, kamen mehrere hundert Arbeiter mit langen, hastigen Schritten des Weges daher. Sie pflegten sonst weder nach recht noch nach links zu sehen, wenn sie von der Arbeit kamen, als sie aber Aase begegneten, konnten einige von ihnen merken, daß hier etwas Besonderes vor sich ging, und sie fragten sie, was ihr fehle. Aase erwiderte kein Wort, aber die andern Kinder riefen laut durcheinander, wohin sie wollte. Da fanden auch einige von den Arbeitern, daß dies ein sehr mutiges Vorhaben für ein Kind sei, und sie gingen mit, um zu sehen, wie die Sache ablaufen würde.
Aase ging nach dem Kontorgebäude, wo der Inspektor um diese Zeit noch bei seiner Arbeit zu sitzen pflegte. Als sie in den Flur trat, öffnete sich eine Tür, und der Inspektor stand, den Hut auf dem Kopf und den Stock in der Hand, vor ihr, auf dem Wege zu seiner Wohnung, um zu Mittag zu essen. »Mit wem willst du sprechen?« fragte er, als er das kleine Mädchen sah, das so feierlich daherkam mit dem seidnen Tuch um den Kopf und dem zusammengefalteten Taschentuch. »Ich möchte gern mit dem Herrn Inspektor selbst sprechen,« sagte Aase. – »Du willst mit mir sprechen? Ja, dann komm nur herein!« sagte der Inspektor und trat wieder in das Kontor. Er ließ die Tür offen stehen, denn es kam ihm nicht in den Sinn, daß das kleine Mädchen lange dableiben würde. So ging es zu, daß alle, die dem Gänsemädchen Aase gefolgt waren und nun in dem Flur und auf der Treppe standen, hörten, was im Kontor vor sich ging.
Als das Gänsemädchen Aase da hinein kam, richtete sie sich auf, schob ihr Kopftuch zurück und sah den Inspektor mit ihren runden Kinderaugen an, die einen so ernsten Blick hatten, daß es einem ins Herz schnitt. »Der kleine Mads ist tot,« sagte sie, und ihre Stimme bebte, so daß sie nicht weiter sprechen konnte. Aber nun wußte der Inspektor, wen er vor sich hatte. »Ach, du bist das kleine Mädchen, das das große Begräbnis veranstalten will,« sagte er freundlich. »Das darfst du wirklich nicht tun, mein Kind. Die Sache wird zu teuer für dich. Hätte ich nur früher davon gehört, so würde ich es gleich verhindert haben.«
Es zuckte in dem Gesicht des kleinen Mädchens, und der Inspektor glaubte, nun würde sie zu weinen anfangen, aber statt dessen sagte sie: »Ich möchte fragen, ob ich dem Herrn Inspektor ein wenig von dem kleinen Mads erzählen darf?«
»Ich habe eure Geschichte schon gehört,« sagte der Inspektor in seiner gewöhnlichen ruhigen, sanften Weise. »Du tust mir sehr leid, das kannst du mir glauben. Aber ich will nur dein Bestes.«
Da richtete sich das Gänsemädchen Aase noch straffer auf und fügte mit lauter, klarer Stimme: »Seit der kleine Mads neun Jahre alt war, hat er weder Vater noch Mutter gehabt und hat ganz für sich selbst sorgen müssen wie ein erwachsener Mensch. Er hat sich für zu gut gehalten, auch nur um eine Mahlzeit zu betteln, er wollte immer alles bezahlen. Er sagte, es schicke sich nicht für einen Mann zu betteln. Er ging auf dem Lande herum und kaufte Eier und Butter auf, und er war so gewiegt im Handeln wie ein alter Kaufmann. Er war nie fahrlässig und er steckte nie auch nur einen Pfennig beiseite, sondern brachte mir alles. Der kleine Mads nahm seine Arbeit mit, wenn er Gänse auf dem Felde hütete und war so fleißig, als wäre er ein erwachsener Mann. Die Bauern da unten m Schonen gaben dem kleinen Mads oft viel Geld mit, wenn er von einem Hof zum andern ging, denn sie wußten, daß sie sich auf ihn verlassen konnten wie auf sich selbst. Darum ist es nicht richtig zu sagen, daß der kleine Mads nur ein Kind gewesen sei, denn es gibt viele Erwachsene, die nicht –«
Der Inspektor stand da und sah zu Boden; keine Muskel in seinem Gesicht bewegte sich, und das Gänsemädchen Aase schwieg, denn sie glaubte, daß ihre Worte keinen Eindruck auf ihn machten. Daheim war es ihr gewesen, als hätte sie so viel von dem kleinen Mads zu sagen, aber jetzt erschien es ihr so gar wenig. Wie sollte sie dem Inspektor begreiflich machen, daß der kleine Mads es verdiente, mit denselben Ehren begraben zu werden wie ein Erwachsener?
»Und wenn ich doch das ganze Begräbnis selbst bezahlen will ...« sagte Aase und dann schwieg sie wieder.
Da erhob der Inspektor den Kopf und sah dem Gänsemädchen Aase in die Augen. Er maß und wog sie, wie es der zu tun pflegt, der viele Menschen unter sich hat. Er dachte daran,