Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


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dem strömenden Regen nachzudenken. Dort saß er eine Stunde, zwei Stunden, und er sann und dachte, so daß er Runzeln auf der Stirn davon bekam. Aber er wurde deswegen nicht klüger. Es war, als wenn die Gedanken ihm nur rund im Kopf herumliefen. Je länger er dasaß, um so unmöglicher erschien es ihm, eine Lösung zu finden.

      »Dies hier ist gewiß zu schwer für jemand, der so wenig gelernt hat wie ich,« dachte er schließlich. »Ich muß am Ende doch wohl zu den Menschen zurückgehen. Ich werde wohl den Pfarrer und den Doktor und den Schullehrer und andere gelehrte Leute fragen müssen, die wissen, was gegen so etwas hilft.«

      So beschloß er denn, dies sogleich zu tun, und er erhob sich und schüttelte sich, denn er war so naß wie eine ertrunkene Maus.

      Im selben Augenblick sah er eine große Eule daherfliegen und sich auf einen der Bäume setzen, die an der Straße entlang standen. Gleich darauf begann eine Horneule, die unter dem Dachfirst saß, sich zu rühren und zu rufen: »Quiwitt, quiwitt! Bist du wieder da, Sumpfeule? Wie ist es dir denn im Ausland ergangen?«

      »Hab' Dank, Horneule! Mir ist es gut gegangen,« sagte die Sumpfeule, »Hat sich hier in der Heimat etwas Besonderes zugetragen, seit ich fort war?«

      »Nicht hier in Bleking, Sumpfeule, aber in Schonen geschah es, daß ein Junge von einem Kobold verhext wurde und so klein gemacht worden ist wie ein Eichhörnchen, und dann ist er mit einer zahmen Gans nach Lappland gereist.«

      »Das ist doch eine merkwürdige Nachricht, eine merkwürdige Nachricht. Kann er denn nie wieder ein Mensch werden, Horneule? Kann er nie wieder ein Mensch werden?«

      »Das ist ein Geheimnis, Sumpfeule, aber ich will es dir trotzdem anvertrauen. Der Kobold hat gesagt, wenn der Junge gut acht gibt auf den zahmen Gänserich, so daß der wohlbehalten wieder heimgelangt, so ...«

      »Was weiter, Horneule? Was weiter? Was weiter?«

      »Fliege mit nach dem Kirchturm hinauf, Sumpfeule, dann will ich es dir alles erzählen! Ich fürchte, es könnte mitten auf der Straße jemand sein, der lauscht.«

      Damit flogen die Eulen von dannen, der Junge aber warf seine Mütze hoch in die Luft hinauf. »Wenn ich nur gut acht auf den Gänserich gebe, so komme ich wohlbehalten wieder nach Hause, dann werde ich wieder ein Mensch. Hurra! Hurra! Dann werde ich wieder ein Mensch!«

      Er rief ganz laut Hurra, und es war merkwürdig, daß sie ihn nicht drinnen in den Häusern hörten. Aber das taten sie nicht, und er eilte, so schnell seine Füße ihn nur tragen wollten, wieder zu den wilden Gänsen in das nasse Moor hinaus.

      Donnerstag, den 31. März.

      Am nächsten Tage wollten die wilden Gänse nordwärts durch die Allboer Harde in Smaaland ziehen. Sie sandten Yksi und Kaksi als Späher voraus, aber als diese zurückkamen, sagten sie, alles Wasser sei gefroren und die ganze Erde mit Schnee bedeckt. »Bleiben wir doch lieber, wo wir sind,« sagten die wilden Gänse. »Wir können nicht über ein Land hinfliegen, wo weder Wasser noch Gras ist.« – »Wenn wir bleiben, wo wir sind, müssen wir noch einen ganzen Mondwechsel warten,« sagte Akka. »Es ist besser ostwärts durch Blekinge zu fliegen und zu versuchen, ob wir dann über Smaaland durch die Mörer Harde kommen können, die an der Küste liegt, und wohin der Lenz früh gelangt.«

      So flog denn der Junge am nächsten Tage über Bleking hin. Es war ziemlich schlechtes Wetter, aber es war hell. Er war wieder in seiner richtigen Laune und konnte nicht begreifen, was am gestrigen Abend mit ihm vorgegangen war. Jetzt wollte er wahrlich die Reise und das Leben in der Wildnis nicht aufgeben.

      Über Bleking lag ein dichter Regennebel. Der Junge konnte nicht sehen, wie es hier aussah. »Ich möchte wohl wissen, ob es ein gutes oder ein schlechtes Land ist, über das ich hinwegreite,« dachte er und versuchte aus seinem Gedächtnis herauszugraben, was er in der Schule über Bleking gelernt hatte. Aber er wußte eigentlich sehr wohl, daß das nichts nützen konnte, denn er hatte ja in der Regel seine Schulaufgaben nicht gelernt.

      Im selben Augenblick sah der Junge die ganze Schule vor sich. Die Kinder saßen an den kleinen Pulten und hoben die Hände in die Höhe, der Lehrer saß auf dem Katheder und sah mißvergnügt aus, und er selber stand oben vor der Karte und sollte eine Frage über Bleking beantworten, aber er konnte kein Wort. Das Gesicht des Lehrers wurde mit jeder Sekunde, die verging, finsterer, und der Junge dachte daran, daß der Lehrer strenger darauf gehalten hatte, daß sie ihre Geographie wußten als irgend etwas anderes. Jetzt stieg er auch vom Katheder herunter, nahm dem Jungen den Zeigestecken weg und schickte ihn auf seinen Platz zurück. »Dies nimmt noch ein Ende mit Schrecken,« dachte der Junge.

      Aber der Lehrer trat an eins der Fenster, blieb dort eine Weile stehen und sah hinaus, und dann fing er an zu pfeifen. Jetzt stieg er wieder auf den Katheder hinauf und sagte, er wolle ihnen etwas von Bleking erzählen. Und was er erzählte, war so amüsant, daß der Junge zuhörte. Sobald er nachdachte, konnte er sich jedes Wortes entsinnen.

      »Smaaland ist ein hohes Haus mit Tannenbäumen auf dem Dach,« sagte der Lehrer. »Und davor liegt eine breite Treppe mit drei großen Stufen, und die Treppe heißt Bleking.

      Es ist eine Treppe, die sich sehen lassen kann. Sie erstreckt sich acht Meilen an der Vorderseite des Smaaländer Hauses entlang, und wer die Treppe ganz hinabgehen will, bis an die Ostsee, der hat vier Meilen zu gehen.

      Es ist auch ein tüchtiges Stück Zeit her, seit die Treppe erbaut wurde. Es sind Tage und Jahre vergangen, seit die ersten Stufen aus dem Granit gehauen und eben und glatt gelegt wurden als bequemer Verkehrsweg zwischen Smaaland und der Ostsee.

      Da die Treppe so alt ist, kann man wohl begreifen, daß sie jetzt nicht mehr so aussieht wie damals, als sie noch neu war. Ich weiß nicht, wieviel sie sich in jenen Zeiten aus der Reinlichkeit machten, aber sie war zu groß, als daß irgendein Besen auf der Welt sie hätte rein halten können. Nach Verlauf von ein paar Jahren fing eine Menge Moos und Flechten an darauf zu wachsen; welkes Gras und welke Blätter wehten im Herbst darauf herunter und im Frühling stürzten Steine und Kies darauf nieder. Und da das alles liegen blieb, sammelte sich schließlich so viel schwarze Erde auf der Treppe an, daß nicht nur Kräuter und Gras, sondern auch Büsche und große Bäume Wurzeln schlagen konnten.

      Es macht sich trotzdem ein großer Unterschied zwischen den drei Treppenstufen geltend. Die oberste, die Smaaland am nächsten liegt, ist zum größten Teil mit magerer Erde und kleinen Steinen bedeckt, und da können natürlich keine andern Bäume wachsen als Weißbirke und Faulbaum und Tanne, die die Kälte da oben auf der Höhe zu ertragen vermögen und mit wenigem zufrieden sind. Man versteht am allerbesten, wie jammervoll und armselig sie ist, wenn man sieht, wie klein die Pflanzen sind, die aus dem Walde genommen und dort gepflanzt wurden, und wie klein die Häuser sind, die sich die Leute dort bauen, und wie weit der Weg zwischen den einzelnen Kirchen ist.

      Auf der mittleren Stufe ist gleich bessere Erde, und die Kälte bindet sie hier auch nicht so strenge; das kann man leicht daran sehen, daß die Bäume höher und von besserer Art sind. Da wächst Ahorn und Eiche und Linde, Hängebirke und Haselstaude, aber keine Nadelbäume. Und noch besser kann man es daran sehen, daß eine Menge Erde urbar gemacht ist und die Leute sich hübsche, große Häuser gebaut haben. Da sind viele Kirchen auf der mittleren Stufe, und sie sind von großen Dörfern umgeben, und diese Stufe nimmt sich nach jeder Richtung hin besser aus als die obere.

      Die allerunterste Stufe ist aber doch die beste. Sie ist mit wirklich guter und reichlicher schwarzer Erde bedeckt, und wie sie da so liegt und im Meere schwimmt, spürt sie nicht das geringste von der Smaalandkälte. Hier unten können Buchen und Kastanien und Wallnußbäume gedeihen, und sie werden so groß, daß sie über die Kirchendächer hinüberreichen. Hier findet man auch die größten Felder, aber die Leute haben nicht allein Landwirtschaft und Waldwirtschaft als Erwerb, sie treiben auch Fischerei und Handel und Seefahrt. Deswegen trifft man hier auch die schönsten Kirchen, und die Dörfer sind zu Flecken und Städten herangewachsen.

      Hiermit ist aber noch nicht alles über die drei Stufen gesagt. Denn man muß bedenken, daß, wenn es oben auf das Dach des großen Smaalandhauses regnet, oder wenn der Schnee da oben