Julia Fromme

Zeit der Könige


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sein, waren sie im Grunde genommen froh, dass diese Vorfälle sich in Camburg und nicht in Meißen abgespielt hatten. Das hätte nur ihr gewohntes Leben durcheinandergebracht, und sie wären womöglich mit unliebsamen Fragen behelligt worden. Ansonsten ging ihnen der Tod der Markgräfin nicht sehr nahe, war sie doch immer eine hartherzige Herrin gewesen, die ihnen mit ihrer ewigen Frömmelei auf die Nerven gegangen war. Oft hatte sie sich als Tugendwächterin über die jungen Burschen aufgespielt, und nicht selten erhielt einer von ihnen eine harte Strafe, weil er mit einer Magd im Stroh verschwunden war.

      Nicolas sonnte sich noch eine Weile in der Aufmerksamkeit der anderen Jungen. Zu lange war er in den letzten Monaten allein gewesen, und er freute sich über ihre Gesellschaft. Vor allem Modorok und Konrad hatte er schmerzlich vermisst. Noch lange unterhielten sich die drei an diesem Abend über die Ereignisse der letzten Monate. Und sie schworen untereinander, immer zusammenzubleiben und einander zu helfen, möge da kommen, was wolle.

      Wenige Tage nach der Ankunft des Markgrafen erschien der Herr von Auenstein eines Abends im Quartier der Knappen. Nicolas staunte nicht schlecht als dieser ihm wortlos zu verstehen gab, dem Ritter nach draußen zu folgen, ohne die anderen auch nur eines Blickes zu würdigen. Modorok schaute seinen Freund mit hochgezogener Braue fragend an. Doch Nicolas zuckte nur hilflos mit den Schultern.

      „Keine Ahnung, was er will“, sagte er. „Ich bin mir keiner Schuld bewusst“, setzte er etwas kleinlaut hinzu und versuchte einen tapferen Eindruck auf die anderen zu machen. Die Jungen hatten sich in der Zwischenzeit um ihn geschart, denn es geschah nicht oft, dass es etwas Interessantes zu erfahren gab.

      „Jetzt lasst mich durch, der Auensteier wartet. Und er ist kein sehr geduldiger Mensch, dass sag ich euch.“

      Nicolas schob Modorok beiseite, der daraufhin ein empörtes Schnauben ausstieß.

      „Ich komme mit“, verkündete er.

      „Nein, Modorok, ich geh allein. Der Auensteiner hat mich rausgerufen. Und jetzt macht endlich Platz.“ Mit den Armen die Menge teilend, drängte er sich Richtung Ausgang.

      Wolfram von Auenstein stand mit ungeduldiger Miene draußen auf dem Gang. Als er Nicolas erblickte, fasste er ihn am Arm und zog ihn ein Stück mit sich in eine dunkle Nische.

      „Was hast du solange gebraucht?“, herrschte er Nicolas an, der sich hütete, zu einer Verteidigung anzusetzen. „Es darf uns niemand hören. Ich war sowieso von Anfang an dagegen, dass du von der Sache erfährst. Aber Dietrich hat sich einfach nicht umstimmen lassen. Wahrscheinlich hat er einen Narren an dir gefressen.“

      Nicolas hatte nicht den blassesten Schimmer, wovon Wolfram sprach. Er hatte den Bruder des Markgrafen seit dem Tod seines Vaters so gut wie nie zu Gesicht bekommen und noch seltener mit ihm ein Wort gewechselt.

      „Was soll`s“, fuhr der Auensteiner fort. „Dietrich will, dass du ihn triffst. Er erwartet dich morgen Abend im ‚Schwarzen Schwan’“. Wolfram sah den Jungen prüfend an. Jetzt riss Nicolas der Geduldsfaden.

      „Was!“, rief er erstaunt aus. „Was will er von mir?“, fragte er etwas ungehalten, da der Auensteiner in Rätseln sprach. „Ich denke, er hält sich in Weißenfels auf? Wenn Albrecht erfährt, dass er in Meißen ist, wird er seine Häscher ausschicken.“

      „Deshalb darf ja auch niemand erfahren, dass du zu ihm gehst“, sagte Wolfram im scharfen Ton. „Ich hoffe, du bist vernünftig genug, und posaunst es nicht überall herum, dass Dietrich wieder hier ist.“

      „Ich bin zwar erst fünfzehn Jahre alt, aber kein Trottel“, antwortete Nicolas respektlos.

      Der Auensteiner war zu überrascht über die Worte des Knappen, als dass er darauf einging.

      „Ich treffe dich morgen Abend mit dem Angelusläuten in der Gasse hinterm Bischofspalast. Wir werden dann nach Einbruch der Dunkelheit in die Stadt hinuntergehen. Aber pass auf, dass dich niemand sieht. Das wäre unser aller Ende.“

      „Ich werde da sein“, sagte Nicolas, ohne weitere Fragen zu stellen. „Keiner wird bemerken, dass ich mich davonschleiche. Ich habe gelernt, für manche unsichtbar zu sein“, setzte er bitter hinzu. Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild Falks von Schellenberg, der ihm immer noch das Leben hier auf der Burg schwermachte.

      „Ich verlasse mich auf dich, Nicolas. Wollen wir hoffen, dass das Vertrauen Dietrichs in dich gerechtfertigt ist. Und nun geh wieder rein, bevor einer der neugierigen Bengel rauskommt und uns belauscht.“

      Was dachte der Auensteiner eigentlich? Dass er noch ein unreifes Kind sei, das überall herumplapperte und jedem verriet, worüber die Erwachsenen sich unterhielten? Nicolas war entrüstet. Eine knappe Verbeugung andeutend, kehrte er auf dem Absatz um und ging zurück in den Schlafsaal. Sollte Wolfram ihn doch für ein bockiges Kind halten. Das ist mir egal, dachte er und merkte nicht, dass er sich gerade wie ein solches benommen hatte.

      Doch Wolfram schmunzelte nur. Vielleicht lag Dietrich gar nicht so falsch mit der Einschätzung des Knaben. Er war eigenwillig genug und würde sich durchsetzen können. Und dass er das Geheimnis von Dietrichs Anwesenheit in Meißen wahrte, davon war Wolfram jetzt auch überzeugt.

      Die Jungen stürmten auf ihren Gefährten ein.

      „Was wollte er von dir?“, fragte der jüngere Konrad. Abwartend blickte er seinen Freund an. Die Angst, dass Nicolas fortgehen und ihn allein hier zurücklassen würde, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Doch an so etwas wollte Nicolas jetzt nicht denken. Auch wusste er ja gar nicht, was Dietrich von ihm verlangte. Er registrierte, dass Modorok wortlos neben seiner Strohmatte stand, als würde ihn das alles gar nicht interessieren. Aber Nicolas wusste es besser.

      „Nun red schon“, forderte ihn jetzt auch Ragin auf. Die anderen murmelten zustimmend.

      „Was glaubt ihr denn?“, fragte Nicolas leichthin. „Denkt ihr, der Auensteiner hat mir eines seiner Geheimnisse anvertraut.“ Er zwinkerte und die anderen lachten.

      „Nein, er wollte, dass ich wieder zu ihm ziehe, jetzt, wo seine Töchter fast alle aus dem Haus sind. Seine Frau wünscht, dass ich im Haus bin, da er mit dem Markgrafen so oft auf Reisen ist“, flunkerte Nicolas.

      „Na, so häufig kann das dann wohl nicht sein, da du immer hier unter uns weilst, obwohl du sein Knappe bist“, sagte Ragin zweifelnd.

      „Ich bin ja auch noch in der Ausbildung“, konterte Nicolas und schaute dabei kurz zu Modorok. Der verstand den Blick seines Gefährten wohl und konnte sich denken, dass mehr dahintersteckte, als der Umzug zum Auensteiner.

      „Ich habe ihm aber gesagt, dass ich hierbleiben will“, beruhigte dieser die anderen Jungen, welche nun alle durcheinanderredeten. Damit war für Nicolas die Sache erledigt und er zog sich auf sein Lager zurück. Nach einigen Minuten gesellte sich Modorok zu ihm.

      „Du willst doch nicht behaupten, dass der Auensteiner dich das wirklich gefragt hat, Nico?“ Er schaute den anderen forschend an.

      „Modorok, ich darf dir nicht sagen, was Wolfram von mir wollte.“ Als sein Freund zu einer Entgegnung anhub, hob er abwehrend die Hand.

      „Warte. Es ist wirklich wichtig, dass ich jetzt Stillschweigen bewahre. Das hat nichts mit dir zu tun. Aber es könnte dich in Gefahr bringen, wenn ich jetzt erzähle, was den Auensteiner herbrachte.“ Modorok legte seinen Kopf schief und sah Nicolas zweifelnd an. Was dieser wieder fantasierte! Doch erwiderte er nichts auf Nicolas` Geheimniskrämerei.

      „Warte noch einen Tag, dann werde ich dir sagen, was los ist. Ich weiß ja auch noch nichts Genaueres. Also hab Geduld, Modorok“, bat dieser nun seinen Freund. Er konnte sehen, dass seine Zurückhaltung den anderen kränkte, doch durfte er sein Wort dem Auensteiner gegenüber nicht brechen. Nun, er würde bald erfahren, was Dietrich von ihm wollte. Und das würde er seinem Freund mit Sicherheit erzählen.

      Den ganzen nächsten Tag wurden die Jungen von Tassilo auf dem Übungsplatz gestrietzt, so dass sie am späten Nachmittag vollkommen erschöpft in die Burg zurückkehrten. Munter durcheinanderredend und sich ihrer Kampftechniken rühmend, fanden sie sich nach und nach im Saal des Palas` ein. Berthe hatte bereits