Karl-Heinz Thielmann

Kafka 2.0


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von ihnen ermittelten Regeln und Strategien immer nur in einem bestimmten Kontext stimmen. Aus dem Zusammenhang gerissene Daten produzieren auch mit den besten wissenschaftlichen Methoden nur Unfug.

      Erschreckend an den Pseudowissenschaftlichen ist ihre mangelnde Lernfähigkeit, da sie sich selbst für wissenschaftlich halten und damit glauben, Andern überlegen zu sein. Wenn ihre Ergebnisse nicht stimmen, muss die Realität falsch oder noch nicht richtig erfasst sein. Logische Konsequenz aus dem Scheitern ist für sie, weiter in den bereits ausgetretenen Pfaden zu forschen und noch kompliziertere Modelle zu entwickeln, die dann aber später noch grandioser scheitern. Insofern ist es den Pseudowissenschaftlichen gelungen, einen Teufelskreis aus Forschung, neuen komplizierten Investmentstrategien und Kapitalvernichtung zu generieren. Und wir Deutschen mit unserer ausgesprochenen Wissenschaftsgläubigkeit schauen fasziniert zu und stecken immer mehr Geld hinein.

      Charakteristisch für alle Gruppen ist, dass sie schlauer sein wollen als diejenigen, die auf konventionelle Anlagen wie Renten, Aktien oder Immobilien vertrauen. Damit überlisten sie sich aber nur selbst. Weiterhin vereint alle drei Gruppen eine unreflektierte Zahlengläubigkeit. Egal ob ihnen absurde Renditeprognosen, irreführende Risikokennzahlen oder undurchschaubare Optimierungsmodelle präsentiert werden, sie nehmen Zahlen immer für bare Münze, ohne zu prüfen, wie diese zustande kommen und was sie wirklich bedeuten. Unabhängig davon, ob sie aus dubiosen Umfragen, bunten Werbebroschüren oder nüchternen Excel-Spreadsheets stammen, Zahlen werden geglaubt und nicht wirklich hinterfragt. Wenn sie sich dann hinterher als Kokolores herausstellen, sind immer „unvorhersehbare Ereignisse“ daran schuld.

      In der Presse wird oft die mangelnde Finanzbildung in Deutschland beklagt. Diese ist bei „Otto-Normalverbraucher“ allerdings weder besser noch schlechter als in anderen Ländern. Katastrophal hingegen ist sie bei vielen sogenannten Finanzexperten, die Investmentprodukte herstellen und vermarkten, welche für Anleger unkalkulierbare Verlustmöglichkeiten mit sich bringen. Insofern ist es völlig rational für einen Kleinanleger, lieber das Geld auf dem Sparbuch zu lassen, anstatt es einen Anlagespezialisten zur Vernichtung anzuvertrauen.

      Die deutsche Industrie spielt im globalen Kontext in der Champions League, weite Teile der Finanzbranche aber in der Kreisklasse. Für private oder institutionelle Anleger, die mehr wollen als nur Sparbucherträge, ist es extrem schwierig, innerhalb der Kakofonie von Expertenstimmen diejenigen herauszufiltern, die wirklich kompetent sind. Dies ist sogar fast noch schwieriger, als sich selbst Fachwissen anzueignen und die Kapitalanlage in die eigene Hand zu nehmen. Für eine führende Wirtschaftsnation kann der Finanzheimwerker aber keine Lösung sein.

      „Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“ lautet ein beliebtes Sprichwort. Leider ist hiervon bisher nichts zu merken. Wenn die deutsche Finanzbranche nicht anerkennt, was in den vergangenen Jahren falsch gelaufen ist, und bereit ist hieraus zu lernen, wird „Dumb German Money“ ein fester Begriff an den internationalen Kapitalmärkten bleiben. Ich persönlich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass wir vielleicht eines Tages einmal sogar „Intelligent German Money“ haben werden. Dazu gehört aber auch, dass wir alle uns nicht mehr mit der ignoranten Art und Weise zufriedengeben, mit der hier in Deutschland Geld vernichtet wird.

      Einer Studie der Postbank zufolge misstrauen die Deutschen bei bei der langfristigen Geldanlage der Aktie. So glaubten laut dieser Untersuchung nur 12% der Befragten, dass Aktien oder Aktienfonds „hohe Erträge und eine gute Rendite“ bringen. Vor Ausbruch der Finanzkrise 2008 stimmten dieser Aussage noch 16% aller Bundesbürger zu.

      Wie kommt es, dass es in Deutschland ungefähr genau so viele Menschen gibt, die Aktien für eine rentable Anlageform halten wie diejenigen, die an UFOs glauben (13% laut Statista.com)?

      Die empirische Evidenz spricht auf den ersten Blick jedenfalls eindeutig für die Aktie. Viele Untersuchungen haben eindrucksvoll belegt, dass Anleger mit einem Aktieninvestment fast immer andere Anlageformen schlagen, sofern sie die Bereitschaft mitbringen, auch Verlustperioden auszusitzen. Allerdings setzen diese Untersuchungen jeweils voraus, dass ein Investor mit seiner Anlage zumindest die Marktperformance widerspiegeln kann. Doch dies ist schwieriger als man denkt.

      Indexfonds, die Anlegern eine indexnahe Performance garantieren, gibt es noch nicht so lange und sie sind in der breiteren Öffentlichkeit nach wie vor kaum bekannt. Normale Investmentfonds sind mit offenen und versteckten Kosten überladen. Besser als der Markt zu sein ist grundsätzlich schwierig und verlangt die disziplinierte Umsetzung einer Strategie. Hieran scheitern selbst die meisten professionellen Anleger.

      Tatsächlich ist die derzeitige Ablehnung von Aktien auch ein Resultat der Tatsache, dass die generell positive Entwicklung der meisten Titel an vielen privaten Aktionären vorbeigegangen ist. Unzählige Anleger haben sich in der Vergangenheit mit Aktien die Finger verbrannt oder kennen jemanden, der ein solches Schicksal erlitten hat. Insbesondere die Versuche in den 90er Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts, Aktien als Anlage in der breiten Bevölkerung populärer zu machen, haben im Rückblick extrem geschadet. Unter dem Stichwort „Aktienkultur förden“ wurden leichtgläubige Investoren vor allem in Titel getrieben, die sich hinterher als krasse Wertvernichter entpuppt haben. Ob bei der Privatisierung der Deutschen Telekom 1996, dem Neuen Markt 2000 oder den Solaraktien vor ein paar Jahren, immer wurden vor allem unerfahrene Privatanleger mit unrealistischen Wachstumsversprechungen in Einzeltitel oder Fonds gelockt. Die Initiatoren solcher Kaufwellen konnten fast immer ungestraft abkassieren, was die Stimmung der Geschädigten nicht verbesserte.

      Wenn man die falschen Titel hat, dann lohnt es sich auch nicht, eine schwache Börsenphase auszusitzen. Gerade für viele Kleinaktionäre war es eine sehr frustrierende Erfahrung, dass sich der Markt langfristig nach oben bewegte, aber nur die eigenen Aktien nicht. Sie haben bei ihren Aktienengagements nicht nur unfähigen Managern, sondern sogenannten Kapitalmarktexperten vertraut: Finanzjournalisten, Anlageberatern und Börsengurus. Doch diese haben vor allem spekulative Investments empfohlen, die schnelles Geld versprachen, aber zu permanenten Verlusten geführt haben. Damit haben sie leichtfertig das in sie gesetzte Vertrauen verspielt und eine ganze Anlageklasse in Misskredit gebracht.

      Insofern wird auf den zweiten Blick klar, warum Aktien so verhasst sind: Die persönliche Erfahrung der meisten Anleger widerspricht den positiven Statistiken eklatant. Nur im Ausnahmefall kann das Potenzial der Aktie durch Privatanleger genutzt werden. Als Nichtfachleute sind sie zumeist hilflos den Scharlatanen des Finanzgeschäfts ausgeliefert und verlieren damit Geld, womit andere wohlhabend werden.

      Aktien gelten nicht zu unrecht als sehr riskante Geldanlage. Ihre Kursentwicklung spiegelt zwei Dinge wider: die Entwicklung eines Unternehmens sowie der Gesamtwirtschaft. Und bei den Unternehmen gibt es in einer Marktwirtschaft nun einmal ein allgemeines Geschäftsrisiko, es ergeben sich Gewinner und Verlierer. Wer die Verlierer im Depot hat, kann nur sein Geld einbüßen. In den vergangenen Jahren sorgten die extremen Kursschwankungen aufgrund von verschiedenen Wirtschaftskrisen für zusätzliche Verunsicherungen. Die Stabilität des Finanzsystems und von Leitwährungen wie dem Euro sind seit einigen Jahren massiv infrage gestellt.

      Doch muss man jetzt die Aktie abschreiben? Gerade Deutschland hat als führende Exportnation einige Unternehmen, die schon seit Jahrzehnten in ihren Märkten zu den global führenden gehören. Viele davon sind börsennotiert, gut bekannt, machen regelmäßig hohe Gewinne und damit ihren Aktionären seit Jahren Freude. Daran sollten doch eigentlich auch die Privatanleger partizipieren können.

      Wer am 7. März 2000, dem Höchststand des DAX (8.064,97) während der Interneteuphorie, die Aktie von Linde zu einem Kurs von 43,20 € erwarb, konnte bis heute einen Kursgewinn von ca. 240% erzielen. Inklusive der Dividenden konnte sogar eine Rendite von ca. 290% erreicht werden. Und das in einem Zeitraum, in dem der DAX kaum vorankam. Das Investment in Linde haben aber die wenigsten Privatanleger gemacht, weil ja die Firma 2000 zur „Old Economy“ gehörte und deswegen als zu solide sowie langweilig galt.

      Stattdessen haben sich die meisten Privatanleger auf hoch bewertete Wachstumstitel wie Intershop Communications, Brokat, EM.TV oder Mobilcom gestürzt, da Presse und das Finanzmarketing diesen eine glänzende Zukunft in einer schönen