Karl-Heinz Thielmann

Kafka 2.0


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viele von ihnen wendeten sich zutiefst enttäuscht für immer von der Börse ab.

      Um am Aktienmarkt durch in Investments in Einzeltitel erfolgreich zu sein, darf man nicht der Masse hinterherlaufen, sondern muss sich selbst unabhängig eine Meinung bilden. Dazu sind die meisten Kleinanleger nicht in der Lage und werden es niemals sein. Aber dass müssen sie auch nicht, die Arbeit der Aktienauswahl können sie sich von Fondsmanagern abnehmen lassen.

      Dennoch wollen selbst das die meisten nicht mehr. Den richtigen Fonds zu finden, ist nämlich nicht ganz einfach. Die Angst der Menschen vor dem Aktienrisiko führt stattdessen derzeit dazu, dass sie lieber in Kapitalanlagen investieren, deren Risiken nicht so offensichtlich sind. Das Problem hierbei ist, dass sie jetzt an diese Anlageformen genau so naiv herangehen wie vor einigen Jahren an Aktien.

      Denn bloß, weil Risiken nicht auf den ersten Blick erkannt werden, heißt es nicht, dass sie nicht da sind. Bei Aktien sind die Kursschwankungen täglich im Internet oder in der Zeitung nachzuverfolgen. Deshalb ist die Risikowahrnehmung bei Aktien sehr hoch. Bei andern Anlageformen hingegen sind die Risiken oft gut versteckt oder werden von den Anlegern ignoriert.

      Dies führt zu teilweise grotesken Konsequenzen:

       So akzeptieren sicherheitsorientierte Anleger derzeit sehr niedrige Renditen bei Staatsanleihen oder Sparbüchern. Nach Inflation und Steuern führen diese Anlagen derzeit zu einem realen jährlichen Wertverlust zwischen 1% und 2%. Aus Angst vor möglichen Kursverlusten bei Aktien wird lieber hingenommen, dass man mit seiner Anlage ganz sicher an Kaufkraft verliert. Dennoch mag es unter dem Gedanken der Absicherung vielleicht gerechtfertigt sein, negative Realrenditen für einen gewissen Zeitraum hinzunehmen. Auch wenn dies keine vernünftige Langfriststrategie darstellt, sind zumindest die negativen Konsequenzen begrenzt und im Gegensatz zu den im folgenden beschriebenen Beispielen relativ klar.

       Mittelstandsanleihen: Mittelgroße Unternehmen, die früher auf Bankkredite angewiesen waren, begeben jetzt Anleihen, die vorzugsweise an Privatanleger verkauft werden. Vor allem Firmen mit bekannten Markennamen oder schönen Wachstumsstorys können ihre Wertpapiere gut absetzen, einen Blick auf die Finanzdaten wirft kaum ein Investor. Dies wäre allerdings anzuraten. Denn eine Vielzahl der Unternehmen, die derzeit an den Rentenmarkt drängen, sind nicht die typischen soliden deutschen Mittelständler. Sie begeben Anleihen, weil sie mangels Kreditwürdigkeit von keiner Bank mehr eine Finanzierung bekommen. Im englischen werden solche Anleihen deswegen auch als „Junk-Bonds“ – Müll-Anleihen – bezeichnet. Das Ausfallrisiko bei solchen Wertpapieren ist tendenziell mit dem von Aktien zu vergleichen, wenn nicht sogar höher. Im Gegensatz zu Aktien bieten sie aber nicht die Chance auf Kursgewinne. Das Wort Mittelstandsanleihen hingegen weckt positive Assoziationen und entwickelt sich zu einem gefährlichen Euphemismus. 1998 hatte André Kostolany in einem berühmten Fernsehauftritt in der NDR Talk Show dem damals sehr populären „Neuen Markt“ vorhergesagt: „Hier wird noch Blut fließen!“ Die gleiche Prognose drängt sich auf, wenn man heutzutage dem Markt für Mittelstandsanleihen betrachtet.

       Geschlossene Fonds: Hinter geschlossenen Fonds verbergen sich in der Regel Projektfinanzierungen für Immobilien, Schiffe, Filme, Energieanlagen etc. Diese Fonds werden i.d.R von speziellen Gesellschaften initiiert und unterliegen nicht der Beaufsichtigung durch das BaFin, der Anlegerschutz ist daher ungenügend. Es kommt relativ oft zu Betrugsfällen, wie mutmaßlich zuletzt bei Infinius. Die Kosten- und Risikosituation ist meist relativ intransparent. Den meisten Anleger ist nicht bewusst, dass sie wie bei der Aktie auch mit einem geschlossenen Fonds ein unternehmerisches Risiko eingehen: Nur bei Erfolg können sie mit Rückzahlung und Zinsen rechnen. Im Gegensatz zu den meisten Aktien ist dieses unternehmerische Risiko aber auf ein ganz spezifisches Projekt konzentriert. Insofern kommt es immer wieder zu größeren Ausfällen, wie derzeit insbesondere Anleger von Schiffsfonds leidvoll erfahren müssen. Zudem steht im Gegensatz zu Aktien dem Ausfallrisiko keine Kurschance gegenüber.

       Immobilien gelten als solides und wertstabiles Sachwertinvestment. Dabei lassen sich wie bei Aktien Gewinner und Verlierer unterscheiden, je nach Lage ist das Anlageergebnis bei Immobilien äußerst unterschiedlich. Nur ist dies nicht so deutlich zu erkennen, weil Immobilienpreise nicht transparent ermittelt und ebenfalls nicht ständig im Internet und in Zeitungen veröffentlicht werden. Hinzu kommt, dass der Immobilienmarkt noch mehr wie derjenige für Aktien vom Konjunkturzyklus abhängig ist. Zudem wirkt er sehr stark auf die Wirtschaft zurück. Länder wie die USA, Spanien oder Irland leiden immer noch unter spekulativen Exzessen am Immobilienmarkt, die inzwischen schon Jahre zurückliegen. Aber auch in relativ stabilen Ländern wie den Niederlanden sind die Preise am Immobilienmarkt nach 15jährigem Boom seit 2008 rückläufig. In Deutschland gab es vor 20 Jahren eine Spekulationsblase in Ostimmobilien. Gegenwärtig sieht die Bundesbank die Entwicklung der Immobilienpreise mit großer Sorge und erkennt in Großstädten Zeichen für Preisübertreibungen. Wenn man sich gut auskennt, ist mit Immobilien– wie bei Aktien – viel Geld zu verdienen. Für Nicht-Experten ist der Immobilienmarkt – genau wie der Aktienmarkt – ein Minenfeld. Mit Immobilien haben weltweit in den letzten Jahren mehr Menschen viel mehr Geld verloren als mit jeder anderen Anlageform. Insofern scheint ihr Ruf als sichere Anlage als völlig widersinnig. Aber im Gegensatz zu Aktien bekamen Anleger ihre Verluste nicht ständig vor Augen geführt. Dies macht es gescheiterten Investoren leichter, sich über ihren Misserfolg selbst zu belügen.

       Zunehmender Beliebtheit insbesondere bei vielen Bankberatern erfreuen sich Zertifikate wie Aktienanleihen, Diskontzertifikate und Ähnliches. Diese Titel stellen zumeist die verbriefte Form eines Derivatgeschäfts auf Aktien dar. Der Kunde hat hierbei ein gegenüber der Einzelaktie etwas vermindertes Kursrisiko, bekommt dafür eine höhere Rendite als bei normalen Anleihen. Dafür hat er aber nicht wie bei richtigen Aktien die Chance auf Kursgewinne. Leider ist den meisten Käufern nicht klar, dass sich die hohe Rendite der Zertifikate aus einer Optionsprämie ergibt, also den Preis für die Übernahme von Aktienrisiko darstellt. Hinzu kommt noch das Ausfallrisiko des Emittenten. Interessanterweise wird von den Finanzvertrieben der Kauf einer Aktienanleihe i.d.R. als mittleres Risiko dargestellt, der Abschluss eines Derivatgeschäftes mit absolut identischen Konsequenzen für den Anleger (wie der Verkauf einer Put-Option) aber als sehr hohes Risiko. Hat dies etwa etwas damit zu tun, dass sich in Zertifikaten viel besser Gebühren verstecken lassen als bei normalen Derivatgeschäften? Tatsächlich sind die Risiken aus Derivatgeschäften wie aus Zertifikaten nur für ausgesprochene Spezialisten überschaubar. Bei starken Kursausschlägen nach unten können solche Anlageformen zu empfindlichen Verlusten führen.

      Die generelle Ablehnung von Aktien resultiert aber nicht nur aus dem Umstand, dass die Risiken bei Aktien transparent sind, während sie bei anderen Finanzinstrumenten im Dunkeln liegen.

      Sie offenbart auch einen erstaunlichen Mangel an allgemeinem Grundwissen über Vermögensstrukturierung. Denn oft wird von privaten Anlegern nur gefragt: Welches ist die bessere Anlage für mich, Aktie, Rente, Immobilien oder irgendetwas anderes?

      Dabei gibt es keine „beste“ Geldanlage. Jede Anlageform hat ein unterschiedliches Risiko- und Chancenprofil. Nur durch die Kombination verschiedener Anlageformen ergibt sich ein optimales Ergebnis. Das Grundverständnis, dass man nur durch eine Verbindung verschiedenartiger Finanzinstrumente eine gute Vermögensstrukturierung erreicht, fehlt leider selbst vielen sogenannten Anlageberatern. Insbesondere Banken wollen Finanzprodukte mit möglichst hohen Einzelabschlüssen verkaufen, weil dies die Verwaltungskosten niedrig hält, und keine Zusammenstellung aus vielen kleinen Positionen. Wer sich aber für nur eine Geldanlageform oder nur ein bestimmtes Finanzinstrument entscheidet, konzentriert nur die damit verbundenen Risiken extrem. Dann kann es passieren, dass Menschen – wie nach der Pleite von Lehmen Brothers – mit dem Ausfall eines einzigen Investments ihr ganzes Geld verlieren.

      Zu einer ausgewogenen Anlagestrategie gehören deshalb neben Anleihen und Sparbüchern auch Aktien dazu. Wie viele, muss jeder Anleger für sich selbst entscheiden. Sich nur auf eine Form zu konzentrieren, ist gefährlich. Selbst Warren Buffet, der nicht zu Unrecht als einer der erfolgreichsten Aktieninvestoren gilt, hält 20% seines Vermögens in Form von Geldmitteln und sicheren Staatsanleihen. Wer in Aktien investiert, darf sich nicht auf einige wenige beschränken, sondern sollte die Risiken breit streuen. Und vor allem sollte man sich nicht durch die Verlockung schnellen