Ole R. Börgdahl

Morgentod


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sich wieder auf die Knie und beugte sich in den Schrank hinein. Er probierte es, ohne das Schloss des Sicherungskabels ganz zu öffnen.

      »Passt!«, war die knappe Aussage.

      Hartmann nickte. Bruckners Blick richtete sich auf den Tresor im Unterschrank. Er setzte den Schlüssel an, drehte ihn und öffnete die Tresortür.

      »Na bitte!«

      Er bückte sich noch ein Stück tiefer und blickte ins Innere des Tresors. Er griff hinein und holte eine angebrochene Packung Schrotmunition hervor.

      »Da haben wir ja die Übeltäter«, kommentierte Bruckner seinen Fund. »Es fehlen allerdings sechs Patronen.« Er griff noch einmal in den Tresor und zog eine zweite Packung heraus. »Und da haben wir auch Kugelmunition.«

      Bruckner schob die Patronenpackungen zurück in den Tresor, schloss den Tresor aber nicht wieder ab, sondern zog nur den Schlüssel und gab ihn Hartmann.

      An dieser Stelle hätte man die ersten Spekulationen über die Geschehnisse vornehmen können, doch das war noch zu früh. Es waren noch nicht alle Fakten zusammen und so schwiegen Bruckner und Hartmann und ließen Spuren Spuren sein. Bruckners Blick richtete sich jetzt vielmehr auf die Gewehre.

      »Was sind das für Waffen?«, fragte er nach kurzer Überlegung.

      Hartmann schüttelte den Kopf. Dr. Loos, der noch immer am Kopf der Leiche stand, hob zaghaft den Arm.

      »Entschuldigen Sie, ich kenne mich da aus.«

      »Was heißt das, Sie kennen sich aus?«, rief Bruckner.

      Dr. Loos kam ein paar Schritte näher zum Schrank. »Ich kenne nicht diese Waffen, aber ich kenne mich mit solchen Jagdgewehren aus.«

      Bruckner nickte zustimmend. »Und das sind Jagdgewehre?«

      »Jagdflinten, um genau zu sein«, bestätigte Dr. Loos beinahe eifrig. Er deutete in den Schrank. »Die Erste, das ist eine Bernadelli, eine Blockflinte. Das sieht man an den übereinanderstehenden Flintenläufen. Ein wirklich schönes Stück.« Er räusperte sich. »Daneben haben wir eine Beretta Perennia, auch eine Blockflinte. Und daneben, die Dritte, das ist ein Drilling, eine Sauer & Sohn 3000 Luxus. Wissen Sie, was ein Drilling ist?«

      »So in etwa«, antwortete Bruckner.

      »Also der Drilling ist eine kombinierte Waffe mit zwei Schrot- und einem Kugellauf. Darum auch die Kugelmunition im Tresor. Wer in seinem Revier mit verschiedenen Wildarten zu tun hat, wird immer mit einem Drilling unterwegs sein. Er wird die klassische Kugelmunition vor allem für Schalenwild einsetzen, während für das Niederwild Schrotmunition benötigt wird.«

      Bruckner hatte sich wieder zum Schrank umgewandt, während Dr. Loos sein Wissen preisgab. »Gut, gut, ich glaube ich habe verstanden.« Er zeigte auf die Waffe ganz Rechtsaußen, die weiterhin nach vorne gezogen war.

      »Und diese hier?«

      »Eine Blaser F3 Competition. Die Competition hat einen sehr langen Lauf. Das Projektil erfährt dadurch eine höhere Beschleunigung.« Dr. Loos zögerte einen Moment. »Es passt sehr gut zu den Verletzungen der Toten. Hohe Auftreffgeschwindigkeit der Schrotkugeln, bei geringer Streuung.«

      »Was sagten Sie noch, aus welcher Entfernung wurde geschossen?«

      Dr. Loos überlegte. Er wandte sich zu der Toten, als wenn er seine vorherige Aussage noch einmal überprüfen wollte. Dann sah er Bruckner wieder an.

      »Ich bin davon überzeugt, dass die Mündung der Flinte nicht auf der Brust lag. Es gibt nämlich keine unmittelbaren Verbrennungsspuren und es ist auch eine ganz leichte Schrotstreuung zu erkennen. Ich bleibe dabei, zehn Zentimeter, auf keinen Fall mehr.«

      »Und weiter?«, fragte Bruckner.

      Dr. Loos nickte. »Sie muss den Lauf mit der rechten Hand gehalten haben, und zwar ziemlich weit oben. Sie hat die Mündung zu sich herangezogen.«

      »Moment, das verstehe ich nicht, wie kommen Sie darauf?«, fragte Bruckner. »Die Waffe kann doch auch herausgekippt sein, während unser Opfer im Schrank hantierte?«

      Dr. Loos trat vor die Tote, beugte sich über sie, nahm ihren rechten Arm hoch und drehte die Handfläche nach oben. »Hier können Sie die Verbrennungsspuren sehen. Das kommt vom Mündungsfeuer.«

      »Alle Achtung«, sagte Bruckner, »da nehmen Sie ja die Arbeit des Gerichtsmediziners vorweg.«

      »So etwas ist wohl nicht sehr schwer zu erkennen«, entgegnete Dr. Loos mit einem Achselzucken.

      Er legte den Arm der Toten wieder behutsam auf dem Fußboden ab und erhob sich.

      »Was glauben Sie, was passiert ist?«, fragte Bruckner weiter.

      Dr. Loos räusperte sich erneut. »Sie hat den Lauf der Flinte zu sich gezogen, ihn wie gesagt mit der rechten Hand gehalten und dann muss sich der Schuss gelöst haben.«

      »Wie meinen Sie das, der Schuss muss sich gelöst haben?« Bruckner sah mich kurz an, wartete aber auf Dr. Loos’ Antwort.

      »So etwas kann schnell passieren, wenn die Waffe noch geladen war. Es ist natürlich unverantwortlich, eine geladene Flinte im Schrank abzustellen.«

      »Also das ist Ihre Theorie«, fasste Bruckner zusammen. »Das Opfer geht an den Schrank, öffnet ihn, nimmt das Gewehr mit der rechten Hand und zieht es am Lauf heraus. Daraufhin löst sich ein Schuss. Warum hat sich der Schuss gelöst?«

      Es war Bruckners Art zu fragen, denn genau wie ich, wusste er die Antwort bereits. Dr. Loos ließ sich auf das Spiel ein.

      »Das Sicherungskabel«, antwortete er und ging an den Schrank heran. »Es ist aber absolut gefährlich, wenn man das Sicherungskabel so verlegt wie hier.« Der Arzt sah Bruckner wieder an. »Sie wissen schon, was ich meine. Das Kabel sollte eigentlich unterhalb der Abzüge laufen.«

      Bruckner verzog keine Mine. »Also, sie hat die Flinte aus irgendeinem Grund mit der rechten Hand am Lauf angefasst, den Lauf zu sich gezogen. Das Sicherungskabel hat sich gespannt und den Abzug ausgelöst. Dann ergeben sich mehrere Fragen für mich.«

      Bruckner schien kurz zu überlegen. Jetzt sprach er nicht mehr zu Dr. Loos, sondern zu Hartmann und mir.

      »Warum hat sie die Waffe angefasst? Wollte sie sich umbringen oder war alles nur eine Verkettung unglücklicher Umstände? Warum war der Abzug nicht gesichert, denn sonst hätte sich kein Schuss lösen können? Hat sie die Waffe selbst geladen? Hat sie die Waffe selbst entsichert?«

      Bruckner wandte sich direkt an Hartmann, der gleich verstand und den Kopf schüttelte.

      »Moment, Moment, wir haben den Schrank noch nicht untersucht. Wann denn auch.«

      Hartmann holte ein zweites Paar Venylhandschuhe hervor, streifte es sich über die Hände und beugte sich in den Schrank.

      »Vorsicht!«, rief Dr. Loos, der einen Schritt zurückgetreten war. »Erst den Abzug sichern, das ist ein Doppelläufer, da kann noch eine zweite Patrone im anderen Lauf stecken.« Er blieb auf seiner sicheren Position stehen, reckte sich etwas und dirigierte mit den Händen. »Einfach den Schlossbügel oben auf der Flinte nach rechts drücken und den Lauf brechen, das heißt den Lauf herunterkippen.«

      Hartmann ging mit dem Oberkörper ein Stück zur Seite und zeigte auf den Bügel der ganz rechts stehenden Waffe. »Hier drücken?«

      »Ja, und den Lauf beim Brechen festhalten.« Dr. Loos näherte sich einen Schritt.

      Hartmann nickte und klappte den Lauf der Flinte nach vorne. »Nicht schlecht«, sagte er und deutete auf die beiden Patronen, die beim Öffnen der Waffe ein Stück aus ihren Läufen geschoben wurden.

      »Einsammeln!«, rief Bruckner.

      Hartmann zog einen Plastikbeutel aus seiner Jackentasche. Die Patrone im unteren Lauf hatte noch ein glänzendes Zündhütchen und war unversehrt. Von der im oberen Lauf war nur noch die Kunststoffhülse übriggeblieben. Hartmann tütete beide Patronen ein. Bruckner kam wieder auf seine Fragen