J.C. Caissen

Eisblumen im Blaubeerwald


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großen Haus die Wände anstarren. Seine Frau fehlte ihm überall. André und er hatten jeden Abend zusammen gesessen bei einer Flasche Wein.

      Jetzt aber, gerade vorgestern, hatte André diese Erstbezug-Neubauwohnung anmieten können. Ein Kollege, der geschäftlich in die USA ziehen mußte, hatte einen Aushang ans schwarze Brett gehängt 'Mieter gesucht für 2 Jahre'. André hatte ihn angerufen und vorgestern die Wohnungsschlüssel abgeholt. Was für ein glücklicher Zufall, gerade jetzt, als Corinna so schnell handeln mußte.

      „Na, was hast du denn Schönes gekocht?“ André steht mit dem Rücken zu ihr am Herd und schwenkt die Pfanne. Corinna legt ihre Arme von hinten um Andrés Hüften. Er dreht sich zu ihr um, nimmt sie in die Arme und küßt sie zärtlich. „Ich freue mich so, daß ihr jetzt endlich hier seid. Wir werden es gut haben zusammen, sehr gut, das verspreche ich dir.“ Er wendet sich wieder der brutzelnden Pfanne zu. „Ach, ich habe nur schnell ein Kartoffel-Fertiggericht in die Pfanne geschüttet, mehr nicht.“ Corinna findet, daß es einfach wunderbar duftet. Sie ist wirklich hungrig und einfach glücklich darüber, sich gleich an den gedeckten Tisch setzen zu können. Und außerdem, zusammen mit André schmeckte jedes Essen bestimmt einfach besser.

      In der Wohnung, in der sie nun gemeinsam leben würden, gab es bisher keine Möbel. Alles hatte ja so schnell gehen müssen. André hatte sich gestern noch schnell ein paar Matratzen von seinem Freund geliehen. Eine liegt nun im Kinderzimmer für Dennis, eine weitere in Andrés und Corinnas Schlafzimmer. Das war doch schon mal das Wichtigste und ein herrlicher Anfang.

      Corinna schaut sich im kombinierten Wohnzimmer mit der großer Einbau-Küche erst einmal richtig um. Sie war vorhin ziemlich bald ins Bad und in die Wanne gegangen. „Toll, wie du das so schnell organisiert hast. Ich finde unsere Wohnzimmermöbel richtig feudal. Ist doch schick?“. Es gibt tatsächlich Möbel - einen Plastik-Gartentisch und vier zusammenklappbare Gartenstühle mit Auflagen im Wohnzimmer. André hat den Tisch bereits mit drei Tellern, Gläsern und Bestecken gedeckt. In die Gläser hat er jeweils eine Serviette hineingesteckt. Das sah doch sehr schön aus. „Du, die Gartenmöbel habe ich daheim einfach aus der Garage mitgenommen. Jetzt im Winter vermißt die sowieso keiner. Und bis wir uns was angeschafft haben, müssen die jetzt herhalten.“

      „Hör mal schnell, bevor Dennis reinkommt. Ich habe von deiner Firma aus vorhin mit meinem Anwalt gesprochen. Walter hat bereits einen Haftbefehl gegen mich wegen Kindesentführung bewirkt, der schon an der Grenze vorliegt. Wären wir nur einen halben Tag später losgefahren, hätte ich mit Dennis an der Grenze gleich wieder umkehren dürfen. Das mußt du dir mal vorstellen. Es hätte uns tatsächlich erwischen können“. „Was? Das ist doch unglaublich, fast wie in einem Krimi. Was hätte euch alles passieren können, schrecklich.“ André ist offensichtlich überrascht und geschockt. „Aber, Walter war doch völlig einverstanden damit, daß Dennis mit dir nach Schweden geht. Auch als er und ich uns bei meinem letzten Besuch in Deutschland unterhalten haben, war er doch sehr vernünftig und wollte dem Wunsch seines Sohnes nicht mehr im Wege stehen. Wieso denn jetzt dieser plötzliche Sinneswandel? Ich verstehe das einfach nicht“. Corinna kaut am Nagel ihres rechten Mittelfingers. „Na ja, ein klein wenig verstehen kann ich es schon. Er ist eben verzweifelt. Das wäre ich ja auch. Aber was für mich jetzt am schwersten wiegt, ist, daß Dennis sich so entschieden hat. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn er sich entschieden hätte, bei Walter zu bleiben. Ich wäre sicher nicht glücklich geworden hier. Eine Mutter gibt doch ihr Kind nicht auf.“ „Ja, das war wirklich großes Glück. Wir werden jetzt versuchen, alles richtig zu machen“. Dennis kommt aus dem Badezimmer. André und Corinna lassen das Thema sofort fallen. Der Junge hat schon genug Ängste ausgestanden. „Jetzt bin ich so weit. Ich habe einen Mordshunger. Können wir essen? Wo soll ich denn sitzen? Oh, was sind das denn für tolle Möbel?“ Dennis lacht Corinna und André an und setzt sich dann auf den angewiesenen Platz.

      André hat noch einige Haushaltsgegenstände von seinem Freund geliehen, ein Brotmesser, für jeden ein Besteck, einen Büchsenöffner, zwei Töpfe, eine Pfanne, ein paar Teller, Tassen. Nicht einmal eine Kaffeemaschine hatten sie, denn beide, Corinna sowie auch er selbst, hatten nur einige wenige Sachen von daheim mitnehmen können. Aber sie würden schon klar kommen. Was bräuchten sie viel mehr als nur sich selbst? Jetzt sitzen sie jedenfalls gemeinsam in ihrer spartanischen Wohnung und lachen und reden. Dabei kommt ein herrliches Kauderwelsch heraus, denn Corinnas Englisch benötigt wirklich eine Auffrischung, Schwedisch ist ihr natürlich völlig fremd, Andrés Deutsch ist auch schon etwas in Vergessenheit geraten und muß dringend wieder trainiert werden, sein Englisch hingegen ist gut, und Dennis hat in der Schule in Deutschland noch nicht richtig mit Englisch begonnen. Aber mit Händen und Füßen und viel Humor geht das alles ganz prima.

      Und das einfache Essen? Das schmeckt Corinna und Dennis so gut, wie schon lange nicht mehr. Von André lernen sie beide auch gleich eine sehr schöne, in Deutschland nicht unbedingt übliche Sitte. Ja, sicher, man erwähnt, daß das Essen gut schmeckt, aber hier in Schweden bedankt man sich ausdrücklich dafür. Nach einem jeden Essen bedankt sich jeder einzelne in der Familie bei der Mutter oder jedenfalls dem, der diesmal gekocht hat. 'Tack för maten' – Danke für das Essen. Vorher steht keiner auf vom Tisch. Corinna findet, dieser Dank zeugt von Respekt, eine nette Geste. „Tack?“ fragt Dennis und muß kichern, „das hört sich ja so an, als wärst du ein Heftapparat“, er sieht André mit großen Augen an. Der lacht „Ja, das hört sich sicher für dich lustig an“.

      Corinna genießt die lockere, fröhliche Stimmung am Tisch. Endlich sind sie angekommen an ihrem Ziel.

      Sie wird auf einmal furchtbar müde. Die große Anspannung und die lange Autofahrt machen sich nun unmißverständlich bemerkbar. „Ich glaube, wir sollten uns so langsam hinlegen, ich bin todmüde“. Auch Dennis wird bereits ein wenig stiller. „Wenn du Lust hast, kannst du ja noch ein wenig in deinem Buch lesen“. André räumt das Geschirr in die Spülmaschine, und Corinna lernt, daß eine Einbauküche, mit Spülmaschine, Herd, einem riesiger Kühlschrank, einem ebenso riesigen Gefrierschrank in schwedischen Wohnungen und Häusern zur Grundausstattung gehören. „Das ist aber eine feine Sache“ bemerkt Corinna „wenn ich daran denke, wie oft wir umgezogen sind, und jedesmal haben wir die Kücheneinrichtung, wie so üblich, mitgenommen. Die mußte dann immer erneut angepaßt werden. Du kannst dir vorstellen, daß die Schränke das nicht unbegrenzt mit sich haben machen lassen. Da geht hier und da schon mal was kaputt, nach all den Jahren.“ André stellt die Spülmaschine an. „Na prima, da hast du schon gleich etwas Positives mit Schweden. Das freut mich.“ Corinna folgt Dennis in sein neues, ziemlich leeres Kinderzimmer, in dem nur die Matratze auf dem Boden liegt. Daneben hat André eine kleine Nachttischlampe auf den Boden gestellt. Dazu die Sachen, die sie im Auto hatten mitnehmen können. Sie nimmt seinen Schlafanzug aus seiner Kleidertasche, zieht das Bettlaken auf und legt ihm das mitgebrachte Bettzeug zurecht. Schnell noch Zähne putzen, dann schlüpft Dennis auch schon unter seine frisch bezogene Bettdecke. „Mensch, Mama, ist das gemütlich. Das fühlt sich ein kleines bißchen so wie Camping an. Was machen wir morgen?“ Er zieht sein Buch aus seinem Rucksack und kuschelt sich noch mehr ins Kissen. „Ich habe keine Ahnung, laß uns das beim Frühstück zusammen besprechen. Jetzt schlafen wir uns erst einmal aus. Ich bin ja die ganze Nacht durchgefahren mit der alten Mühle, während du neben mir geschnarcht hast, daß sich die Balken bogen. Aber trotzdem, ich bin sehr dankbar, daß unser Autochen so gut gelaufen ist. Es hätte auch ganz anders kommen können. Bis morgen früh, gute Nacht. Und wenn was ist, wir schlafen ja gleich nebenan.“ Sie umarmt Dennis und gibt ihm einen Gutenachtkuß. Dennis macht einen zufriedenen Eindruck, nimmt sein Buch hoch und beginnt zu lesen. „Gute Nacht, Mama“. Corinna lässt die Tür offen und geht in ihr Schlafzimmer, um auch dort die Matratzen fertigzumachen. André, der gerade in der Küche fertig geworden ist, kommt auch gleich hinterher.

      Schließlich liegen sie zufrieden und eng umschlungen in den Federn, und Corinna fallen die Augen zu. „Gute Nacht, mein Liebling, ich bin froh, daß ihr endlich bei mir seid und daß du so gut gefahren bist“. Aber das hört Corinna schon gar nicht mehr. „Schlaf gut“, nuschelt sie nur noch, schlaftrunken. Dann ist alles still.

      2

      Das Geld ist von Anfang an knapp. Corinna war doch vielleicht etwas blauäugig gewesen. Sie hatte angenommen,