J.C. Caissen

Eisblumen im Blaubeerwald


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ganz fantastisch aus. Du bist ja richtig pfiffig und hast die richtigen Ideen.“ André staunt nicht schlecht. Er geht an den Baum heran und sieht sich so eine Rosette oder Blume genauer an. Eine Lage Papier hat Dennis in drei Lagen getrennt und dann auseinandergezogen. So waren Blumen entstanden. Corinna sagt immer noch kein Wort. Sie steht da und denkt 'dieser kleine Kerl. Was der sich für eine Mühe gibt'. Sie ist total gerührt.

      „Mit deinem festlichen Baum wird das das schönste Weihnachtsfest seit langem“. Sie nimmt Dennis in den Arm. „Danke, Dennis“.

      Es wird wirklich ein sehr stimmungsvolles Weihnachtsfest. Das Essen ist gut und reichlich und für Dennis und Corinna auch wieder etwas völlig Neues.

      Da gibt es erst einmal eingelegten Hering in süßsaurer Lake, dazu ein paar Krabben, die viel größer sind, als Corinna sie von Deutschland her kennt. Dazu gekochte Eierhälften, roter Kaviar oder Fischrogen, Zwiebelwürfel aus roten Zwiebeln, ein Klick Creme fraîche, und frischer Dill. Außerdem geräucherter Lachs. Das ist der Vorspeisenteil.

      Ein ganzer, gekochter, warm servierter Hinterschinken, dazu Salzgurken, gekochte Mohrrüben, süßlicher Senf und Kartoffeln bilden die Hauptspeise. André erzählt, daß zum Weihnachtsbufett eigentlich noch eine Leberpastete mit Cumberlandsoße, Hackfleischbällchen sowie kleine Miniwürstchen, in der Pfanne gebraten, eine Lammkeule und und und gehören. „Was, dann muß man aber wohl eine zehnköpfige Familie sein oder die halbe Nachbarschaft einladen. Wer sonst soll denn das alles essen? An dem Kochschinken werden wir sowieso schon die nächsten zwei Wochen zu knabbern haben.“ Höchst gewöhnungsbedürftig ist nicht nur die Menge und Vielfalt der verschiedenen Speisen, sondern auch, daß viele Dinge, die in Deutschland säuerlich oder mit Essig zubereitet werden, in Schweden eher süßlich schmecken.

      Corinna und Dennis sollten sich allerdings sehr schnell und gern daran gewöhnen.

      Als typische Nachspeise zum Weihnachtsgericht gibt es dann noch 'Ris à la Malta', ein kalter Reisbrei, mit untergehobenen Apfelsinenstückchen, gehackten Mandeln und luftig geschlagener Sahne. Corinna will erst später davon essen, sie ist einfach zu satt, aber Dennis füllt sein Schälchen mit großen Löffeln „Für Süßes ist doch immer noch Platz“.

      Sie spielen zusammen lange Karten und keiner verliert auch nur ein Wort darüber, daß es dieses Jahr keine Weihnachtsgeschenke gibt. Dazu ist einfach kein Geld da. André hat für Dennis aus dem Büro Papier, Schreibblöcke, Filzstifte, Bleistifte, Schere und Tesafilm mitgebracht. Dennis zaubert daraus und aus den Toilettenpapierrollen und Haushaltsverpackungen, die sie von nun an jeden Tag sammeln, kleine Wunderwerke. Corinna ist darüber sehr dankbar. Jedes andere Kind hätte sicher nach tollen Geschenken gequengelt. Aber Dennis und sie sind einfach glücklich und zufrieden zusammen mit André – und was am wichtigsten ist – sie sind gesund, denn eine Erkältung dürfte jetzt niemand bekommen, es gibt nämlich kein einziges Taschentuch mehr im Haus. Die hängen jetzt alle als wunderschöne Rosetten am Weihnachtsbaum.

      Am nächsten Tag sollen Andrés Kinder kommen. Der Tag verläuft nicht ohne Anspannung, für niemanden. Man kennt sich ja kaum, nur von einem kurzen Booturlaub im letzten Sommer, den Corinna und André mit allen drei Kindern in Andrés Boot verbracht haben. Jetzt beschnüffelt man sich erst wieder vorsichtig. Und die sprachliche Kommunikation ist ja auch wieder nicht unproblematisch. Karoline, die vierzehn Jahre alt ist, hat schon seit ein paar Jahren Englischunterricht in der Schule. Sie kann sehr gut verstehen und strengt sich höflich und wirklich ohne Scheu an, auch auf Englisch zu antworten. Andreas, er ist zwölf Jahre alt, ist dagegen Corinna und Dennis gegenüber sehr zurückhaltend und scheu, spricht fast ausschließlich Schwedisch mit Karoline und André. Das war auch schon im letzten Sommer so gewesen. Nun richtet er wieder unzählige Fragen an seinen Vater. Corinna kann an seinen Gesten erkennen, daß sich die Fragen um sie und Dennis drehen. Dann lacht er oft hemmungslos und schallend über das, was André dann erklärt. Eine seltsame Situation. Corinna fragt André auf Deutsch, was denn so lustig sei, und André erklärt, daß Andreas einfach nur albern sei und so die Situation besser in den Griff kriegen wolle. Und Dennis, ja der ist der größte Clown am Tisch und versucht, mit Witz die seltsam gekünstelte Begegnung zu meistern. Er macht kleine Kunststücke, plappert munter drauf los, auf Deutsch und auch einigen Brocken Englisch, schneidet Grimassen, lacht und kaspert herum. Na, da hat sich ja ein munteres, zusammengewürfeltes Völkchen am Tisch vereint. Na und? Die Stimmung ist schließlich heiter und gelöst. Sie werden schon irgendwie alle zusammenfinden. Das wird hoffentlich die Zeit schon mit sich bringen. Die erste Hürde jedenfalls ist heute genommen.

       3

      Nach den Feiertagen beginnt der Alltag. Dennis wird in der Deutschen Schule in Stockholm angemeldet. Einfach unvorstellbar für Corinna, daß die Anmeldung so einfach und ganz ohne schwedische Aufenthaltserlaubnis von statten geht. So etwas wäre in Deutschland gar nicht möglich, und gottseidank hat sie sich darüber vor dem Umzug auch keine Gedanken gemacht.

      Corinna spricht mit dem Schulleiter. Sie erklärt ihm die heimische Situation, denn sie hat Angst, daß Walter, Dennis' Vater, so clever sein könnte, seinen Sohn einfach von der Schule abzuholen und ihn wieder zurück nach Deutschland holen könnte. Sie jedenfalls würde sofort auf diese Idee kommen, ganz sicher. „Niemand darf mein Kind abholen. Niemand, außer mir selbst“, instruiert sie den Schulleiter eindringlich.

      Corinna nimmt am ersten Schultag teil. Die Lektionen werden in verschiedenen Sprachen abgehalten. Einige Fächer werden in schwedischer Sprache unterrichtet, andere wiederum in Deutsch. Die Lehrerin stellt Dennis der Klasse vor und fragt sofort, wer in der Nähe von Dennis' Adresse wohnt. Die kleine, dicke Anja hebt die Hand hoch. „Prima, dann fährst du von morgen an zusammen mit Dennis zur Schule und zeigst ihm den Weg mit Bus und Bahn und wie alles geht.“ Sollte das wirklich so einfach sein? Corinna ist völlig überrascht und merkt sich Anjas Gesicht, um mit ihr nach dem Unterricht alles besprechen zu können. Die allerdings springt nach der Stunde bereits munter und freundlich zu Dennis und vereinbart mit ihm, wie und wo sie sich morgen treffen werden, um dann gemeinsam in Richtung Schule zu fahren. Ein Schulweg von immerhin etwa 25 km.

      „Bis morgen dann, und sei pünktlich, tschüss“. Als Corinna Dennis erreicht, ist sie schon wieder durch die Tür und verschwunden. „Du, die Anja ist richtig nett“, meint Dennis zufrieden. Tags drauf begibt sich Corinna mit Dennis zum Vorstadtbahnhof. Dort wartet bereits Anja auf Dennis. Die zwei beginnen sofort ein munteres Gespräch. Corinna hält sich zurück und versucht nur, sich die nun folgende Strecke einzuprägen. Erst mit der S-Bahn, dann umsteigen in die U-Bahn, später noch in den Bus, und das letzte Stück bis zur Schule geht es zu Fuß. Das kann sie sich wirklich nicht alles merken. Anja aber plaudert los und erklärt Dennis genau, welche Haltestellen, Bahnsteige, Linien und Wege er sich merken muß, und Dennis scheint nicht beunruhigt, er scheint darin keinerlei Schwierigkeiten zu sehen.

      Schon am dritten Tag sieht Corinna keinen Grund mehr, das Kindermädchen zu spielen. Im Gegenteil, sie fühlt sich eher fehl am Platz, wenn Anja und Dennis Arm in Arm, ihre Rucksäcke auf den Rücken, laut diskutierend und lachend mehr vor- als neben ihr herlaufen. Jetzt kann sie sich auf andere Dinge konzentrieren. Anjas Eltern hat sie auch bereits kennengelernt. Nach der Schule geht nun Dennis noch oft und gern mit zu Anja. Die Eltern sind auch Deutsche, der Haushalt allerdings ist so gar nicht typisch deutsch. Alles etwas unordentlich, überall liegen Jacken und Schuhe im Flur. Es gibt alte Schränke mit vielen Schubladen, in denen jede Menge Bastelkram untergebracht ist, und sehr oft gibt Anja Dennis Spielzeug mit nach Hause, das sie 'wirklich nicht mehr brauche'. Corinna hat für Dennis kein Spielzeug von Deutschland mitnehmen können, ja, sein ganzes Kinderzimmer steht ja noch unberührt daheim bei Walter. Irgendwann, hoffentlich bald, würden sie nach Deutschland fahren und einen Möbeltransport organisieren können. Aber, bis Walter sich beruhigt hatte, müssen sie sich behelfen.

      Corinna ist froh, daß es Anja und ihre netten Eltern gibt, und als sie wieder mal bei ihnen in der Ikea-Couch sitzt und mit der Mutter bei Kaffee und selbstgebackenen Zimtschnecken redet, flitzt mehrmals ein Kaninchen durchs Zimmer, verfolgt von einer dicken schwarzen Katze. Corinna blickt auf, aber kein anderer notiert die Tiere, die laufen wohl immer frei im Haus herum.

      Völlig unwichtig, daß es hier nicht deutsch ordentlich ist, denn hier ist man immer herzlich willkommen und kann