Frank Föder

Fremd- oder Selbstbestimmung?


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jeweils lediglich dem Willen eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe entsprungen. Denn zu herrschen, das hat Charme.

      Von epochaler Bedeutung aber ist, daß diese Institution umgehend etwas in die Welt setzte, das die Menschheit vorher nicht gekannt hatte.

      „Nach meinen Daten“, sagt der Ethnologe Jürg Helbling von der Universität Luzern, „lag die kriegsbedingte Mortalität über weite Strecken der Menschheitsgeschichte praktisch bei null. Die frühen hochmobilen Jäger- und Sammlergruppen bekriegten sich kaum oder gar nicht.“ (Gemäß Süddeutscher Zeitung vom 21./22. April 2012 auf Seite 24).

      Diese Begebenheit bestätigt eine Studie des amerikanischen Anthropologen Douglas Fry und des schwedischen Entwicklungspsychologen Patrik Söderberg. Ihnen zufolge kommt es seit je her innerhalb von Gruppen zu Tötungsdelikten. Daß aber ganze Gruppen gegeneinander ins Feld ziehen, sei äußerst selten festzustellen. Es gebe noch heute Stämme in Afrika und in Asien, die sich noch nie mit Krieg, dem systematischen Kampf zwischen Gruppen, beschäftigt haben (Die genannten unter dem Titel „Krieg liegt uns nicht im Blut“ in Science, Bd. 341, Seite 270, 2013).

      Eine weitere Erhärtung dieses Sachverhalts geben die Anthropologen Joachim Burger und Ruth Bollongino von der Universität Mainz (in Science online im September 2011). Ihnen zufolge lebten die Jäger und Sammler mit den vor 7500 Jahren in Mitteleuropa eingewanderten Ackerbauern in friedlicher Nachbarschaft, wahrscheinlich über drei Jahrtausende hinweg. Beide Gesellschaften hätten sich eindeutig gekannt: Wildbeuterfrauen hätten Bauern geheiratet. Sie hätten ihre Toten am gleichen Ort begraben. Schwerwiegende Konflikte zwischen den Gruppen aber hätten offenbar nicht stattgefunden. Wahrscheinlich weil sie unterschiedliche Lebensräume beansprucht hätten.

      Auch hat es in den Äonen vor der Zeitrechnung durchaus Zusammenführungen von Menschen zur Erfüllung eines gemeinsamen Wunsches oder Ziels gegeben, wie unter anderem die Errichtung von Stonehenge beweist. Hier haben Mitglieder einer egalitären Gesellschaft eine beachtliche Gemeinschaftsleistung vollbracht. Die von der Welt noch wenig wissenden Jäger und Sammler im Süden Englands vermochten über Jahrtausende hinweg schwerwiegende Konflikte untereinander zu vermeiden. Statt ihre Pfeile und Speere gegen einander zu richten, legten sie gemeinsam mit primitiven Mitteln Kilometer lange Prozessionsstraßen an, daneben über Jahrhunderte gemeinsam genutzte Begräbnisstätten und ein gewaltiges Heiligtum. Sie kannten offensichtlich Priester und Baumeister, aber keine Könige.

      Daß ein Herr A einem Herrn B den Schädel eindellt, das hat es gegeben – wie bezeugt -, seit der Mensch einen Knüppel schwingen kann. Und das wird sich, wie man annehmen muß, weiterhin zutragen, solange es Menschen gibt, in jeder denkbaren Daseins- und Gesellschaftsform.

      Mit der Unterwerfung unter eine Herrschaft aber, mit dem Staat kommt Krieg in die Welt.

      Zum grundlegenden Selbstverständnis des neuen Gebildes gehörte von Anfang an, quasi unabdingbar, nicht nur herzuzeigen, was ihm eigen ist, sondern auch, es zu gebrauchen. Macht verführt, geradezu unwiderstehlich, sie zu demonstrieren – und sie anzuwenden, wenn ein Vorteil lockt.

      Staat muß sich als wehrhaft darstellen. Zugleich aber weckt er die Sucht seiner Vorstände nach Vergrößerung des Machtbereichs. Dafür wiederum braucht er Leute, die das dazu geeignete Handwerk beherrschen. Damit hatte die Stunde des Militärs geschlagen. Seither tritt eine auf Menschentötung bewaffnete und trainierte Streitmacht auf den Plan und in Aktion. Staat und Streitkräfte verschmolzen umgehend zu einer unzertrennlichen Einheit.

      Seither gibt es „Geschichte“. Seither fallen organisierte Massen von Menschen über einander her, richten Tod und Zerstörung an. Erst mit der Fremdbestimmung, mit dem Staat stellt sich Gefahr ein für Leib und Leben in großem Umfang durch Mitmenschen. Vor allem aber, erst mit seiner Existenz töten Menschen nicht aus Wut oder Haß, sondern wider Willen, auf Befehl.

      Aus der Sicht der neuen Untertanen freilich hatten Herrscher und Heer eine eindeutig eingeschränkte Aufgabe. Indem sie der Staatsgründung zustimmten, das liegt wohl auf der Hand, ging es ihnen darum, andere Gewalthaber von dem Beutegang gegen sie abzuhalten und, sollte die Abschreckung versagt haben, ihnen den Erfolg zu verwehren.

      Dieser Selbstbeschränkung indes hat sich kein Staatsoberhaupt je über einen längeren Zeitraum unterworfen. Kaum eine Generation von Staatsbürgern ist ohne das Erlebnis eines von der eigenen Obrigkeit heraufbeschworenen Gewaltakts geblieben. Als „groß“ apostrophierte Herrscher zeichneten sich sämtlich durch Kriegszüge aus.

      Doch von Anbeginn an verstanden es die Befürworter der neuen Einrichtung, die Überzeugung wachzurufen, als sei allein dieses Gebilde imstande, das Verlangen nach Frieden, nach Sicherheit vor Krieg zu befriedigen. Die Methode, einen Verdruß zu erzeugen und zugleich auf dessen Beseitigung das Monopol zu erwirken, ist offensichtlich schon früh erfunden worden.

      Dennoch konnte diese Einrichtung Jahrhunderte überdauern. Die Unstimmigkeit wurde ihr nicht und wird ihr noch heute nicht verargt, wo Schild und Schwert zu Killerdrohnen sich gemausert haben. Das erinnert unwillkürlich an Platons Höhlengleichnis. Der Mensch weigert sich, Realitäten wahrzunehmen, die dem widersprechen, an das er – absichtsvoll – gewöhnt worden ist.

      Nach Heraklit ist Krieg aller Dinge Vater, aller Dinge König.

      Unverkennbar schaffen Waffengänge Veränderungen. Nachdem sich der Pulverdampf verzogen hat, sieht die Welt anders aus. Unter den Umgestaltungen, das läßt sich nicht bestreiten, waren ehemals auch solche, die für den Sieger und dessen Untertanen einen Vorteil erbrachten - wenn man denn sozialen oder ökonomischen Nutzen gegen Tod und Verderben aufwiegen kann. Und er regt den Geist an: Hat der Krieg das Rad erfunden? Vom Heldentum ganz zu schweigen. Heraklit: „Die einen macht er zu Sklaven, die anderen zu Freien“.

      Die Gegenwart aber läßt davon nichts mehr übrig. Was seinen Nutzen anbelangt, kann kein moderner Krieg ihn gegen den Schaden aufwiegen, den er verursacht. Überdies hat die Sache eine Wendung ins Irrwitzige genommen. Militärischer Erfolg nämlich hängt neuerdings nicht mehr von der Genialität der Generäle ab oder der Tapferkeit der Truppe, sondern von technischen Gegebenheiten. Das Kriegsgeschehen ist völlig aus den Fugen geraten. Es begann mit der Kernspaltung und explodiert jetzt mit der Digitalisierung. Das Menschliche ist aus dem Krieg völlig entschwunden.

      Die Hochrüstung der großen Staaten ist so weit gediehen, daß Krieg unter ihnen seine Denkbarkeit verloren hat. Zum einen ist die Explosionskraft der Sprengköpfe so gewaltig geworden, daß, sollte der Inhalt der Arsenale in Gebrauch kommen, auf der Erde kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Zum anderen sind die Einsatzmittel neuerdings von einer Art, die sie der menschlichen Einflußnahme weitgehend entzieht. Nachdem der Krieg eröffnet worden ist, können die Generäle Golf spielen gehen. Was auf dem Feld geschieht, bestimmt allein das Instrumentarium. Da gehen nur noch Automaten auf einander los, bis auch ihnen der Input ausgeht. Der Krieg hinterläßt nicht mehr nur noch Verlierer. Es bleibt überhaupt niemand und nichts mehr übrig.

      Krieg deshalb darf nicht mehr stattfinden. Das macht die Frage relevant, ob erwartet werden darf, daß die Staatsoberhäupter das, was sie bisher nie haben einhalten wollen oder haben einhalten können, fürderhin gewährleisten werden. Sind die Regierungen in Anbetracht der neuen Lage dahin zu bringen, daß sie bei Vorliegen einer Veranlassung entgegen ihrer bisherigen Gewohnheit darauf verzichten werden, eine militärische Lösung zu suchen? Werden sie sich zur Selbstgenügsamkeit verpflichten? Werden sie neuerdings dauerhaft der Verlockung widerstehen, den Vorteil ihres Staates gewaltsam im Außenbereich zu decken?

      Friede ist nötig. Krieg war ohnehin selten jemals die bessere Lösung. Jetzt scheidet er als solche vollends aus. Friede ist unabdingbar geworden, weil Krieg, wenn er die Großen erfaßt, das höhere Leben auf der Erde beendet.

      Das versetzt die Menschheit in eine conditio sine qua non, in eine Lage, aus der es nur einen Ausweg gibt: Die Menschheit muß die Anlässe beseitigen, die die Anwendung von Gewalt heraufbeschwören. Gefordert ist, die Zerwürfnisse, die zwischen ihren Gemeinschaften anstehen, dauerhaft aus dem Weg zu räumen. Denn solange Kriegsgründe auftreten, auftreten können, ist an Entwaffnung nicht zu denken, bleibt der Orlog die latent lastende Existenzbedrohung der Menschheit.

      Es