Rainer Seuring

Utz wider die Alben


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und Hosen und Röcken aus Leder, die mit Röhrenknochen oder Lederfransen verziert sind. An den Füßen sehe ich leichte Schuhe aus weichem Leder, die mit dünnen Bändern oder Schnüren gebunden sind.

      Die Haare tragen sie offen oder leicht gebündelt, aber nicht geflochten. In diese Bündel haben sich manche Federn als Schmuck gesteckt.

      Nicht unweit des Lagers sehe ich Felder, auf denen sie Getreide anbauen. Das Dorf muss schon sehr lange hier bestehen.

      „Doch zurück zu unserer Flucht.“, fährt Lachsfänger fort. „Wir lebten also im Lager am Fluss. Unsere Wachen entdeckten auf der anderen Seite im Wald Rauch, der sich langsam näherte. Wir wussten also, dass sich dort ein Feuer vorwärts fraß. Dies war normaler Weise nichts Besonderes. Das kam immer wieder einmal vor, wenn der Sommer besonders heiß und trocken war. Trotzdem hieß unser Häuptling die Wachen, weiter die Rauchsäule nicht aus den Augen zu lassen.

      Des Nachts wurde der Brand so groß, dass nun auch ein Feuerschein den Himmel über dem Wald erhellte. Häuptling Adlerblick besah es sich, nachdem ihn die Wachen geweckt hatten, hielt es aber noch nicht für gefährlich. Leider ein gewaltiger Irrtum. In der zweiten Nachthälfte kam ein Wind auf, der die Flammen weiter anfachte und als wir des Morgens durch die Wächter mit einem Alarmruf geweckt wurden, konnte man schon das Prasseln des brennenden Waldes hören. Unzählige Tiere brachen zwischen den Bäumen hervor und suchten ihr Heil in der Flucht durch den Fluss. Viele schwache und kleine Tiere ertranken und wurden von den Fluten fort gerissen. Andere waren derart von der Situation verwirrt, dass sie zurück in die Flammen eilten.

      Kaum, dass wir unser Hab und Gut zusammen gerafft hatten stand das gegenüber liegende Ufer in hellen Flammen und der immer noch starke Wind trug den Funkenflug trotz der gewaltigen Breite des Stromes bis auf unsere Seite herüber. Es wurde augenblicklich sehr heiß. So schnell unsere Beine es erlaubten, flüchteten wir vor dem Feuer. Die Alten und Kranken und kleinen Kinder wurden gestützt oder getragen. So mancher alter Krieger ergab sich seinem Schicksal und schickte uns fort. Sie wollten uns nicht behindern und opferten ihr Leben. Möge Wakan-Tanga sie in den ewigen Jagdgründen verwöhnen.

      Tagelang flohen wir, stets das unbändige Flammenmeer auf den Fersen. Tag und Nacht waren wir auf den Beinen. An Ruhe war nicht zu denken. Immer schwächer wurde unser Volk und nicht wenige brachen zusammen, unfähig, die Flucht fortzusetzen. Keiner mehr war stark genug, ihnen beizustehen oder gar zu helfen. Erst als der Wind drehte und das Feuer auf die verbrannte Erde zurück trieb, wo es nichts mehr zu verbrennen gab, konnten wir es wagen, Halt zu machen. Vor uns lag eine scheinbar grenzenlose fast öde Graslandschaft. Hinter uns flackerten immer noch ein paar Glutnester über der schwarzen Erde. Wenige ausgebrannte Bäume hielten sich noch aufrecht. Es schien, als wollten sie uns warnen, ja nicht zurückzukehren.

      Völlig erschöpft lagerten wir uns einfach dort, wo wir standen.“

      Lachsfänger macht hier eine Pause in seinem Bericht und ich bin völlig gebannt und damit beschäftigt, die dazu gesehenen Bilder zu verarbeiten.

      Als das Feuer über den Fluss sprang, packten die Frauen ihre Sachen in große Ledertragen, einem offenen Sack gleich, die sie sich auf die Schulter warfen und mit einem Band über die Stirn nur mit der Kraft des Nackens trugen. Die Männer hatten die Stangen ihrer Behausungen zu Tragen mit Lederplanen dazwischen zusammen gebunden und darauf die Felle, Nahrungsmittel und sonstige Habe gebündelt abgelegt, die sie hinter sich herzogen. Mit dem breiten Band um die Stirn oder der Brust und zwei der Stangen in den Händen zerrten Sie ihre Last über den holprigen Boden. Die Frauen, die noch Säuglinge hatten, trugen diese, fest gewickelt, auf einem Wiegebrett. Dann musste sie ihre Sachen, wie ein Mann auf Stangen ziehen. Die lauffähigen Kinder mussten sich an den Tragestangen festhalten, um Schritt zu halten oder wurden von größeren Geschwistern an der Hand hinterher gezerrt, dass die kleinen Beinchen kaum folgen konnten. Bei den Männern lag oftmals auch ein alter Mensch zwischen den Stangen, der mit ängstlichem Blick und lautem Gejammer das nahende Feuer verfluchte.

      Entsetzlich und herzzerreißend musste ich mit ansehen, wie sich ein alter Mann unter großer Mühe während des Marsches aus seiner Trage stürzte, um es seinem Sohn leichter zu machen. Anfangs noch sahen sich die Kinder um, wurden aber von den Alten fortgeschickt, die Familie zu retten. Fast lautlos starben die Zurückbleibenden. Einen sah ich, der sich noch aufraffte, einen neben ihm liegenden dicken Ast als Stütze nehmend aufstand und wankend, die Arme stolz ausgebreitet, auf das Flammeninferno wartete. Das Feuer war schneller heran, als er stürzen konnte.

      Mein Blick verschleiert sich vor all der Tränen, die ich darüber vergieße. Gar fürchterlich ist das Geschehen.

      „Ich denke, für diesmal ist es mehr als genug.“, schaltet sich nun Gilbret ein und schickt mich zurück.

      * * * * *

      Die Niederschrift des Gesehenen nimmt mich erneut heftig mit und immer wieder muss ich unterbrechen, da ich mich der Tränen nicht erwehren kann. Mir wird eine traumlose Nacht der Erholung gewährt. Fast den ganzen folgenden Tag verschlafe ich, derart erschöpft bin ich.

      * * * * *

      „Willkommen zurück, Waltruda.“, begrüßt mich Lachsfänger. „Dein Mitgefühl für mein Volk ehrt dich sehr. Ich hoffe, dies wird sich nicht ändern, wenn du nun unseren weiteren Leidensweg erfährst, wo doch auch dein Volk unter den Nachfahren meines Stammes zu leiden hatte.“

      Jetzt erst wird mir wieder bewusst, dass Gilbret mir den Mann als Nordlinger vorstellte, also einen jener Krieger der Alben, die uns Zwerge später im großen Krieg bekämpften. Sein gänzlich anderes Aussehen hat mich dies völlig vergessen lassen.

      Ich habe keine Gelegenheit, darauf etwas zu erwidern, denn schon beginnt Lachsfänger.

      „Die Ältesten und viele der kleinen Kinder haben diese Flucht nicht überlebt. An so manchem Kleid oder Hemd haben Flammen genagt. Wenige haben mehr als das eigene Leben retten können.“

      Wie ein Geist scheine ich zwischen den Menschen zu stehen.

      „Höret meine Worte!“

      Häuptling Adlerblick ist aufgestanden und macht auf sich aufmerksam. Er hat seinen rechten Arm erhoben, an dem das Lederhemd nur noch in Fetzen hängt. Ein Tuch wurde um eine Brandwunde gewickelt.

      „Ein jeder von uns hat durch das rasende Feuer große Verluste erlitten, sei es Vater oder Mutter oder Mann oder Weib oder Kind. Groß ist die Trauer, die jeden von uns ergriffen hat. Keiner soll diese seine Lieben vergessen, aber bedenkt: Wir leben noch und dafür müssen wir Sorge tragen. Lasst uns zusammentragen, was noch vorhanden ist. Alles, was an Nahrung noch genießbar ist, bringt hier auf diese Seite.“ Dabei zeigt er nach rechts. „Schnatternde Gans und Bärenpranke, ihr ordnet und sichtet, was gebracht wird.“

      Wie ich von Lachsfänger gelernt habe, geben die Namen der Menschen ihre Eigenschaften oder Leistungen wider. Darum ist klar, weswegen Schnatternde Gans seinen Namen trägt. Jedem auf seinem Weg zu seinem Platz muss der etwas schmächtige Mann berichten, dass der große Häuptling ihn mit einer Aufgabe betraut hat und welche Ehre dies doch ist.

      Bärenpranke hingegen könnte tatsächlich einen kleinen Bären darstellen. Mit leicht tapsenden Schritten geht der breite starke Mann mit den unglaublich großen Händen zum Häuptling vor.

      „Alles was ein Wi-Kiwa werden kann, bringt dorthin.“ Dabei zeigt er auf seine linke Seite. „Zwei-Federn Geier und Skunk, seht, was vorhanden ist und sorgt dafür, dass zumindest die Bedürftigen unter kommen.“

      Weil sich mir die Namen der beiden Letztgenannten nicht sogleich erschließen, höre ich, wie mir Lachsfänger diese erklärt. „Zwei-Federn-Geier will von jeder Beute das Meiste für sich. Also ist er wie ein Geier und auch beim Haarschmuck ist ihm eine Feder nicht genug.

      Skunk hat einmal auf der Jagd ein Stinktier mit einem Dachs verwechselt und dabei die gesamte stinkende Wolke des Tieres abbekommen. Es hat sehr lange gedauert, bis er wieder ins Dorf durfte, weil der Gestank weg war. Den Namen wird er wohl nie wieder los, gleich was er tut.“

      Adlerblick