Monika Starzengruber

Mein Chef und andere Hürden


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ich kann heute nicht den Lückenbüßer spielen.“ Meine Lider ... blinzelten.

      „Was heißt Lückenbüßer ... es kommen nette Leute, auch Willibald, erinnerst du dich an ihn?“

      Lieber nicht. Aber nachdem sie von ihm gesprochen hatte, war es nur mehr ein Wunschdenken. Der gute Will - mein Sandkastengefährte aus Kindergartentagen und Völkerball Spielpartner in Teenie-Zeiten, mit abstehenden Ohren und Lispelzunge. Das Szenario ihn mir als erwachsenen Mann vorzustellen, ersparte ich mir. Wo in aller Welt hatte sie den aufgegabelt?

      „Sag Will, ich wäre wild darauf, ihn zu treffen, nur bin ich leider nicht ganz momentan.“

      „Nicht momentan? Was soll das heißen?“

      Ja, was eigentlich. So genau wusste das keiner, wahrscheinlich nicht einmal Will selbst, der dieses Vokabular seinerzeit als Kind irgendwo aufgeschnappt und es dann ständig benutzt hatte. Bei jeder Gelegenheit, fast in jedem Satz. Was ihm den Spitznamen Momento-Will einbrachte. „Sag ihm das. Er kennt sich schon aus.“

      „Soll das heißen, du kommst nicht?“

      „Mir geht es heute nicht gut, Mutter.“

      „Du kränkelst? Warst du beim Doktor?“

      „Eine Mütze Schlaf tut es auch.“

      „Wie immer treibst du Schindluder mit deiner Gesundheit, Rena. Geh zum Arzt, sonst tut es dir noch leid.“

      Typisch Mutter. Die Sorge in Person zu mimen, ohne zu fragen, woran ich „erkrankt“ sei.

      Im Hintergrund rief jemand: „Gerdi, wir warten auf dich!“

      „Ich muss auflegen. Willst du bestimmt keinen Lammbraten?“

      „N e i n.“

      „Wie du magst.“

      Aufgelegt. Entgeistert starrte ich auf den tutenden Hörer. Mein Zynismus ließ mich sagen: „Danke für die lieben Genesungswünsche“, und legte ebenfalls auf. Solchen Situationen ausgeliefert, steuerten meinen Gedanken automatisch hilfesuchend zu meinem Leitfaden fürs angenehme Dasein im Jetzt. Dem Buch mit dem Titel: Wünsche beim Universum bestellen. Darin stand, wie man Wünsche formulieren musste, um sie vom Universum auch richtig erfüllt zu bekommen. Stets positiv, nie negativ in der Aussage ausgedrückt. Und ich bestellte: „Universum, ich bestehe auf eine erholsame, schlafreiche Stunde.“ Mit Sicherheit würde nun Ruhe sein. Als esoterischer Anhänger überzeugte mich diese Methode voll und ganz, da sie bisher stets funktioniert hatte. Spätestens bei der Parkplatzsuche lieferte ich mich nach zwei Runden vergeblicher Suche diesem Ritual jedes Mal hingebungsvoll aus. Und es endete stets mit einem Spitzenparklatz. Unglaublich, aber wahr. Okay, manchmal mit vier Suchrunden zusätzlich.

      Zufrieden rekelte ich mich in mein Kissen und stellte mich darauf ein, wieder in das Land der Träume zu segeln. Leider nicht, auf halbem Weg wieder umzukehren, weil irgendwo irgendwas immens schrillte. Schlaftrunken hob ich meinen Kopf, um mich zu orientieren, um herauszufinden, welcher Krach wo um mich wäre. Sekundenlang fehlte mir erst mal der Plan. Als sich mein benebeltes Denken stufenweise lichtete, ortete sich der Krach als „rufendes“ Telefon. Fauchend stülpte ich das Kissen über mein Gesicht, wobei mich die naive Hoffnung erfüllte, den nervigen Tönen so zu entkommen. Mit dem Resultat, dass kurz darauf jede einzelne meiner Nervenzellen K.O. gehend meinen Willen lähmten. Mit jeglichen Verwünschungen, die mir schlaftrunken in den Sinn kamen, grapschte ich nach dem misstönigen Ding.

      „Verena, Schätzchen, bist du dran?“

      Ich atmete durch.

      „Verena, du kommst doch heute Abend?“

      „Jaaa.“

      Hörbares Rauschen und Knacksen. „Bist du verstimmt?“

      Ich nickte. „Nööö.“

      Kurze Stille. „Dann bis abends, okay?“

      „Mhhh.“

      Mich noch abmühend den Hörer zu bugsieren, wohin er gehörte, fiel mein Blick auf die Uhr und traute meinen Augen nicht. Waren wirklich erst zehn Minuten vergangen? Mit einem Schlag war ich hellwach. Wo war das zuverlässige Universum geblieben, das meine Wünsche erfüllte? Nach so einem Flop gab es nur eines für mich - mir den gesagten Wunsch ins Gedächtnis zu rufen. Wie war das? „Universum, ich bestehe auf eine erholsame, schlafreiche Stunde.“ Alles klar. Mein Fehler. Zu ungenau definiert. Es brauchte einen nochmaligen Start. „Universum, ich bestehe auf der Stelle, auf eine erholsame, schlafreiche Stunde.“ So ausgedrückt musste es funktionieren. Anderenfalls - nein, es gab kein anderenfalls. Zweifel verhinderten, dass das Universum zu einem durchkam. Positives Denken war unerlässlich. Gääähn. Na dann, gute Nacht.

      Ein fünftüriger Schrank, vollgestopft mit Kleidern, war einem keine Hilfe. Nach meinem geruhsamen Nachmittag im Bett, übrigens, dafür vielen Dank, Universum, stand ich bereits eine Weile vor geöffneten Kastentüren und wurde nicht mit mir einig. Meine Entschlusskraft riss mich hin und her. Was ziehe ich an? Dabei war es nicht der Opernball, die Romy-Verleihung oder eine Gala, die auf mich warteten, sondern nur meine Schwester. Auf dem Bett türmten sich Blusen, Röcke und Hosen, die ich im Spiegelbild vor meinem Körper gehalten und danach beiseite geworfen hatte. Als es an der Wohnungstüre klingelte, kam das einer Erlösung gleich. Erstens war mir klar, wer klingelte, schon an der Art des Klingelns. Zweitens verstand sich für mich von selbst, dass endlich Hilfe für meine Outfitzweifel antanzte. Meistens zweifelten wir dann ja zu zweien ...

      „Jaaa, ich komme!“

      Elegant schwungvoll riss ich die Tür auf. Hielt das rote Etwas modellhaft vor meine Brust und sah der blondierten, mähnenartig hoch toupierten, beneidenswert jungen Simba, mit einem erwartungsvollen ‚geht das?‘, entgegen. Die fixierte sekundenlang die Bluse in meiner Hand, dann mich, rümpfte die Nase und schüttelte schließlich den Kopf. Hätte sie nicht zu tun brauchen. Verstand sich von selbst, dass dieser rote Fetzen längst in den gelben Sack gehörte. Ich wandte mich ab und eilte in mein Schlafgemach zurück, wo ein weiteres Textil samt Kleiderbügel auf dem Bett landete und ich rücklings oben drauf. Genervt krallten sich meine Finger in die verschiedenen Stoffe unter mir, während meine Stimme verschnupft plärrte: „Hab nichts anzuziehen.“

      Simba - mir gefolgt - lehnte sich an den Türrahmen und sah sich interessiert, fast lauernd im Raum um. Wie ihr Namensvetter aus dem Film „Simba, der weiße Löwe“. Sie sagte nichts. Dafür verrieten ihre Gesichtszüge, dass sie das bunte Wäscheknäuel im Bett, davor, daneben und rundherum, alles andere als dekorativ fand. Letzten Endes gab sie von sich: „Du hast nichts anzuziehen?“ Kurze, demonstrative Pause und dann: „Das sehe ich.“

      „Nur eine Frau versteht die Sorgen einer Frau“, überkam es mich sarkastisch, da ich von meiner Lieblingsnachbarin mehr Anteilnahme erwartet hätte. Jahrelang in einem Mietwohnblock in dritter Etage Tür an Tür mit ihr zu wohnen, bedeutete letztendlich auch ein bisschen seelenverwandt zu sein.

      Anstatt vor Mitleid zu zerfließen, begab sich Simba ausdruckslos zum Schrank. Davor stehend machte sie zuerst Bewegungen, als wolle sie sich darin durchgraben. Schlussendlich verschob sie nur vereinzelt die Kleiderbügel.

      Als wir uns vor Jahren zum ersten Mal im Treppenhaus begegneten, fielen mir gleich ihre hoch toupierte Haare auf und der besagte Film ein. Eine Mähne, wie ein Löwe, dachte ich staunend, da es heutzutage selten bis überhaupt nicht vorkam, auf jemanden zu treffen der sich das Haar auf diese Weise noch verfilzte. Es lag nicht im Trend. Ab da war sie für mich geboren, die „menschliche Löwin“ Namens Simba und aus ... oh ... Schande, wie hieß Simba mit wahrem Namen? Zuletzt gebrauchte ich ihren Namen vor ... ja, wie vielen Jahren? Trotz meines fieberhaften Grabens in meinem Denken regte sich in meiner Erinnerung nur gähnende Leere, die sich ausweitete wie ein schwarzes Loch, je tiefer ich grub. Kommt ihr Helferlein in meinen grauen Zellen, regt euch! Falls nicht blieb mir nur, diese Peinlichkeit als eines meiner bestgehütetsten Geheimnisse zu wahren. Ansonsten würde dies zur Blamage gegenüber meiner besten Freundin ausarten. Aaaah, ... Vicki Kamp hieß sie. Oder nicht? Unumgänglich, bei nächster Gelegenheit auf ihr Türschild zu sehen.

      „Bequem