Julie Starke

Mutterherz Teil 3


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ich!“ knurrte Tim und legte grußlos auf. Rasch versteckte er sich in einer Kabine.

      Es waren zwei Damen, wie Tim schnell heraus hörte. Was war das für eine merkwürdige Angewohnheit von Frauen, immer zusammen aufs Klo zu gehen? Tim erkannte die Stimme der einen Frau - und ihm wurde siedend heiß. Warum war Frau Bayerl um diese Zeit auf dem Damenklo? Hatte sie ihm nicht eben gesagt, dass es während der Dienstzeiten nicht gern gesehen wurde? Die andere Stimme gehörte zu Frau Herbert aus dem Nebenzimmer. Er spitzte seine Ohren. Frau Bayerl suchte gar keine Kabine auf, sondern blieb vorne bei den Handwaschbecken stehen, während Frau Herbert hörbar verschiedene Kabinentüren aufriss. Mit Schrecken dachte Tim daran, dass er Turnschuhe in Größe 46 trug – keine Frau würde je so etwas tragen. Mit pochendem Herzen stellte er sich auf den Kloschüsselrand.

      „Es ist schon traurig, dass unsere Firma den Leute von der Reinigungsfirma einen Stundenlohn von 16,00 € zahlt und wir dabei mit nicht einmal 12,00 € herumkrebsen. Und dass, obwohl wir schon zehn Jahre dabei sind.“

      „Und dass, obwohl die Reinigungsleute oft schlampig arbeiten und wir sie immer kontrollieren müssen. Aber die Waschbecken hier, die sind in Ordnung!“

      „Die ersten beiden Toiletten auch!“ sagte Frau Herbert. „Vielleicht kriegen sie die 16,00 € ja auch gar nicht ausbezahlt und das meiste geht an deren Firma. Weiß man‘s? Es könnte doch sein, dass man sie mit 8,00 € abspeist und der Rest ist Verwaltung.“ Sie wandte sich der anderen Seite zu. Der anderen Seite, in der sich die Kabine befand, in welcher Tim auf dem Toilettenrand stand. Sie riss die Tür auf. Vor lauter Schreck glitt Tim von der Schüssel und sein rechter Fuß geriet in den Ablauf.

      „Was, was tun Sie da?“

      „Mir, mir war schlecht“, stammelte Tim und zog den nassen Fuß heraus.

      „Das ist die Damentoilette!“

      „Das Herrenklo ist nebenan!“ sagte Frau Bayerl, die sofort herbeieilte. „Nur eine Tür weiter.“

      „Bis dahin hab ich es nicht mehr geschafft!“

      „So schlimm?“ diesmal klang es besorgt. Er kletterte herunter und nickte, sehr bemüht, krank auszusehen. Sein Fuß tropfte. Es war ein bisschen schwierig, da er knallrot geworden war, als Frau Herbert ihn entdeckt hatte. Ein bleiches Gesicht wäre überzeugender gewesen.

      „Irgendwie hab ich das Kantinenessen nicht gut vertragen!“ behauptete er.

      „Das glaub ich langsam auch“, sagte Frau Bayerl spitz. „Und ich hoffe für Sie, dass es tatsächlich das Kantinenessen ist – und Sie nicht generell an akuter Arbeitsunlust leiden. Gehen Sie nach Hause und kurieren Sie sich aus!“

      „Danke“, stammelte Tim. „Morgen geht es mir wieder gut. Versprochen.“

      „Das wünsche ich Ihnen!“

      Tim ging aus der Tür. Sein Schuh triefte. Im Gang begegnete er Ed Poulsen, der ihn stumm anstarrte, als hätte er gerade einen Mann mit einem nassen Schuh aus der Damentoilette kommen sehen.

      ***

      „Ihr Name ist Milka Krasnick, sie ist 47 Jahre alt, ca. 1,60 m groß, hat dunkelbraune Haare und trägt fast immer einen Pferdeschwanz. Sie hat eine auffällige Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen. Sie ist seit Anfang letzten Jahres angestellt bei Blitz & Sauber GmbH, einer riesigen Reinigungsfirma mit mehr als 150 Mitarbeitern, verdient 11,00 € die Stunde, während ihr Arbeitgeber 16,00 € berechnet und wird bei Bayerisch Media eingesetzt, aber auch in anderen Firmen. Sie gehört zu den guten und gründlichen. Ich hab ihre Dienstpläne von Bayerisch Media der letzten drei Monate kopiert. Ich glaube, dass sie bei Frau Deubacher schwarz arbeitete, denn bei unserem Mordopfer wurden nirgendwo Sozialversicherungsunterlagen gefunden. Frau Deubacher hat auch keine Betriebsnummer und dementsprechend keinen Minijobber beschäftigt, ich habe da angerufen. Unter dem Namen Milka Krasnick ist keine Firma gemeldet, so dass sie auch keine zu versteuernden Rechnungen gestellt hat.“

      Tim lehnte sich zurück. Dabei fiel sein Blick auf die Wanduhr im Besprechungsraum der Detektei. Es war kurz nach zwei. Er war pünktlich und gründlich gewesen – und mit seiner Arbeit rundherum zufrieden.

      „Gut gemacht“, lobte Keller und Tims Gesicht begann zu leuchten. „Wir werden uns Milka Krasnick noch etwas genauer ansehen. Frau Lausitz, Sie sind jetzt am Zug, ich will alles über Frau Krasnick wissen. Ich brauche die Privatanschrift, eine Kreditauskunft und alles, was wir sonst noch über sie kriegen können. Sie machen das. Sofort.“

      „Warum ich?“ jammerte die Assistentin. „Das kann ebenso gut der Praktikant machen!“

      „Weil Sie schon seit vielen Jahren Erfahrung haben, ich davon ausgehe, dass Sie die Sache gut ausführen werden, Sie die schönste Frau im Büro sind, es nie schadet, ein bisschen Demut zu üben… suchen Sie sich etwas aus, aber beeilen Sie sich! Ich will die Ergebnisse so schnell wie möglich!“

      Franziska nickte. „Okay.“

      „Herry, bitte geh noch einmal die Deubacher-Festplatte durch, ob du irgendwas über Milka Krasnick oder jemanden, der so ähnlich heißt, findest. Es kann sein, dass sie ein Pseudonym benutzt hat. Und check auch die neuen Daten, die Tim von der Heldmann-Festplatte und dem Deubacher-IPhone mitgebracht hat.“

      „Mach ich!“

      Herry hinkte hinter Franziska her und ließ Manfred Keller allein mit Tim zurück.

      „Fuchs?“

      Missmutig sah Tim auf. Warum gab er Franziska und nicht ihm die Aufgabe, über die von ihm entdeckte Verdächtige Informationen zu besorgen? Aber vielleicht hatte Herr Keller noch etwas anderes mit ihm vor, um ihn für seinen Ermittlungserfolg zu belohnen?

      „Fuchs, Sie können sich jetzt an die neuen Kfz-Halter-Überprüfungen machen!“

      Herr Keller drehte sich um und ließ den sprachlosen Tim zurück.

      Nachdem er die zwölfte Halteranfrage erledigt hatte, sehnte sich Tim nach Nuray. Sie war wohl die einzige, die sich in dieser Aufgabe voll und ganz wieder fand und auch nach der 20. Eingabe noch immer mit Begeisterung dabei war.

      „Entschuldigung“, hörte er eine Stimme und sah auf.

      Franziska Lausitz stand in seinem Türrahmen.

      „Ich bitte Sie nur ungern“, begann sie, doch Tim unterbrach sie sofort.

      „Das glaub ich Ihnen“, konterte Tim kampflustig. Doch diesmal wirkte sie weder spöttisch, noch überlegen. Ihr hübsches Gesicht wirkte sorgenvoll.

      „Ich kann hier noch nicht weg und meine Tochter muss dringend aus der Kita abgeholt werden und zur Oma gebracht werden. Deren Auto hat eine Panne und so kann sie Jolina nicht holen.“

      „Was ist mit Ihrem Mann?“

      „Der – der kann nicht“, sagte sie ausweichend.

      „Öffentliche Verkehrsmittel?“

      „Das kann meine Mutter nicht mehr pünktlich schaffen.“

      „Dumm sowas.“

      „Sie können mein Auto nehmen! Da ist ein Kindersitz drin. Sie können mein Auto auch über Nacht behalten! Ich werde morgen mit dem Bus fahren.“

      Tim antwortete nicht sofort.

      „Es ist ein Cabrio!“ sagte Franziska lockend.

      „Und was sag ich dem Boss?“

      „Ich hab Herrn Keller schon gefragt, ihm ist es lieber, dass ich mein Zeug hier fertig mache und Sie bitte, zu fahren. Er sagte, aufgrund Ihrer Überstunden sei das in Ordnung. Sie haben danach frei.“

      „Sie erwarten, dass ich meine Überstunden nehme, um Ihre Brut abzuholen?“ Es klang aggressiver, als beabsichtigt. Tim tat sein Tonfall schon fast wieder Leid. Er rechnete fest mit einer patzigen Antwort. Aber Franziska sah ihn bittend an.

      „Jolina kennt Sie bereits und wird mit Ihnen mitgehen!“