Stefan G Rohr

Am anderen Ende der Sehnsucht


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einer leichten Rauchfärbung, waren aus Bleikristall und das ganze Arrangement hätte ebenso gut in das Landgut eines Edelmannes gepasst, so gediegen und wertig sah alles aus.

      In einer Ecke stand eine glänzende Mahagoni-Kommode, deren Schellackversiegelung das letzte Sonnenlicht zu spiegeln vermochte. Auf dieser thronte ein altes Grammophon, dessen metallener Schalltrichter in den Raum gerichtet war, und Leon hätte sich jetzt nicht gewundert, wenn blecherne Musik aus den goldenen Zwanzigern, ein Charleston zum Beispiel, jetzt ertönen würde.

      Daneben lag der Kamin, dessen Umrahmung in grauem und geschliffenen Felsstein gefasst war, ganz wie es in dieser Region wohl in besseren Häusern üblich war. Darüber hing ein großes Ölgemälde, auf dem ein bunter Fliederstrauß in Spachtelarbeit abgebildet war, mit weißen und lila Blüten, in einer Vase, die Leon der Epoche des Art-Deko zuordnen konnte.

      Und nun sah er auch die beiden schweren Ohrensessel, zwischen denen ein Tischchen platziert war, auf dem eine kleine hübsche mit Intarsien verzierte Holzkiste stand. Er vermutete sogleich, dass hierin wohlmöglich einmal Zigarren gelagert waren, die sich der Herr des Hauses mit seinem Besuch nach dem Essen anzuzünden pflegte.

      Seine Blicke wanderten noch einmal im Raum herum. Fast ein wenig Ehrfurcht erfasste Leon dabei, und ein wohliges, dann aber zugleich auch wieder unbehagliches Empfinden ergriff seine Magengrube mit einem Mal.

      „Gefällt Ihnen unser Speisesaal nicht?“ Frau Theissen hatte unbemerkt den Raum betreten und stand nun im knappen Abstand hinter Leon.

      „Oh, doch!“ rief dieser unmittelbar. „Ganz und gar ein wunderbares Zimmer!“ bekundete er aufrichtig. „Es ist nur …“

      „… ein wenig Respekt einflößend, nicht wahr?“ ergänzte Frau Theissen wissend.

      Leon zögerte. Doch ja, sie hatte damit wohl Recht. Irgendwie nahm man sich respektvoll zusammen, der Raum wirkte mit einer Erhabenheit, die sich seinen Besucher ein wenig klein fühlen ließ.

      Frau Theissen lächelte nun wieder. Sie nahm ihren neuen Gast kurzerhand am Arm und führte ihn zu dem für ihn vorgesehenen Platz an der Tafel. „Bitte, lieber Herr Renatus, ist Ihnen dieser Platz angenehm?“

      „Absolut, Frau Theissen.“ Leon hatte zudem ohnehin keine Chance auf Widerspruch. „Ein wunderbarer Platz, vielen Dank!“ Und mit einer kleinen Verzögerung fügte er hinzu: „Offensichtlich haben Sie heute eine voll besetzte Tafel.“

      Frau Theissen war bereits schon wieder auf dem Weg in ihre Küche. Doch beim Herausgehen antwortete sie Leon noch kurz: „Ja, ist das nicht wunderbar?“

      Als Leon sich an den Tisch setzte, fühlte er sich recht alleine und verlassen. Da saß er nun, in einem prächtigen Raum, vor all diesen herrlichen Sachen aus längst vergangener Zeit. Hier waren sie aber noch fast lebendig, hier war die Zeit für sie stehen geblieben, hier konnten sie ihre ganze Würde und Eleganz noch ungeachtet moderner Vorlieben zeigen.

      „Guten Abend der Herr!“ Leon wurde mit diesem Gruß aus seinen Gedanken gerissen und er erhob sich unwillkürlich von seinem Platz. Ein alter Herr, Leon schätzte ihn sofort auf Anfang Siebzig, hatte den Raum betreten und stand nun neben dem neuen Mitbewohner. „Mein Name ist Schilling.“ Er reichte Leon die Hand. „Marius Schilling.“ ergänzte der Herr. „Langzeitbewohner dieser schönen Villa und bekennender Nutznießer der fulminanten Hospitalität der Eignerin, der von mir überaus verehrten Frau Theissen.“

      Leon schüttelte sichtlich beeindruckt die Hand seines Gegenübers. „Leon Renatus.“ retournierte er höflich. „Seit gestern Abend neuer Dauermieter und somit wohl Ihr Nachbar.“ Er schaute dem alten Herrn nun freundlich aber durchaus fest ins Gesicht. „Dann irre ich mich wohl nicht, wenn ich davon ausgehe, dass Sie der werte Herr `Professor´ sind, von dem Frau Theissen in so vorzüglicher Weise mir gegenüber bereits geschwärmt hat?“

      Ein Lächeln kam über sein Gesicht. „Es ist wohl an dem, dass die liebe Frau Theissen mitunter einmal zur Übertreibung neigt. In meinem Falle, so gut es auch immer von ihr gemeint sein mag, so sehr es mir auch zur Ehre geneigen sollte, ist ein überschwängliches Lob weder angebracht noch in meinem Sinne.“ Nun erwiderte der Alte den Blick seines jüngeren Gegenübers in ebensolcher Festigkeit. „Es wäre mir demnach das Liebste, junger Mann, wenn Sie meine Habitulation einfach außer Acht ließen und mich mit meinem Namen ansprechen, der recht einfach und sich somit auch leicht merken lässt. Wie gesagt: Schilling. Marius Schilling. Das sollte zwischen uns genügen.“

      Daraufhin setzte sich der Ältere an den Tisch, an den Platz direkt gegenüber von Leon, der höflich abwartete, bis Herr Schilling, der Professor, sich den Stuhl zurecht geschoben hatte, um sodann selbst wieder Platz zu nehmen.

      „Wie ich vernommen habe, wurden Sie durch Vogelgesang geweckt. Von Sperlingen und wohlmöglich auch Finken? Dann waren es ja vielleicht Letztere, die Ihnen rieten, Ihren ersten Tag in diesem Städtchen mit dessen Erkundung zu verbringen. Und ich hoffe doch sehr, dass Ihnen das Erlebte einen positiven Ersteindruck vermitteln konnte, Sie sich Ihres Zugegenseins nicht gleich schämten, schlimmer noch, sich gar grämten.“

      „Es war ein wirklich schöner Tag.“ antwortete Leon schnell. Und er meinte es ja sogar ernst. „Wenngleich es mir die vielen Touristen nicht unbedingt angetan haben, man diesen ja nur sehr schwer aus dem Weg gehen kann, so war doch meine Exkursion in die Gässchen und Lädchen am Rande der Routen von erhellenden Entdeckungen geprägt, über die sich ein Jemand wie ich, dann doch recht freuen kann.“

      Seine freundliche Antwort täuschte aber über etwas hinweg, das Leon selbst zwar nicht in ganzer Tiefe so empfand, es ihm dennoch ansatzweise im Gemüt saß. Die Art und Weise zu fragen, der Sprachgebrauch, auch die spürbare Neugier, welche sicher nicht ausgeprägt daher kam, dennoch unterschwellig mitschwang, war irgendwie nicht nach seinem Geschmack. Dazu fühlte er sich, obwohl auch hierzu kein evidenter Ansatz bestand, beobachtet und auf dem Prüfstand sitzend.

      Herr Schilling strich sich nachdenklich mit einer Hand durch sein längeres graues Haar, welches er offensichtlich gern nach hinten gebürstet trug, es auf diese Weise vermochte, den Ausdruck eines gelehrten Mannes zu unterstreichen. Seine blauen Augen zeugten von großer Leidenschaft und blitzten fast neckisch unter den dicken und ebenfalls ergrauten Brauen hervor. Seine runde, in Silber gefasste Brille sorgte für die Komplettierung des Eindruckes, dass der nun vor einem Sitzende gewiss jemand sein würde, dessen Studien und die Wissenschaft ihn zum Gelehrten gemacht haben werden. Er war mit einer braunen, leicht ausgebeulten Cordhose, einem sauberen Hemd, über dem er eine wollene Weste trug, die sorgsam von unten bis oben zugeknöpft war, bekleidet, und Leon fielen die Manschettenknöpfe auf, die Herr Schilling sich angelegt hatte. Es waren zwei Geschmeide, die jeweils einen großen geschliffenen Rubin inmitten schweren Goldes aufwiesen.

      Der Alte schmunzelte. „Ja, mein lieber Junge, es wird Ihnen gewiss nicht an schönen Impressionen mangeln. Und ich meine dabei nicht nur die herrlichen Weinberge, den so wunderbaren Fluss, auch nicht die Architektur oder die vorzüglichen Weine, die wir hier kredenzt bekommen.“ Er blickte mit einer liebevollen Listigkeit auf sein Gegenüber. „Und nicht alles, was zu uns zu stören geeignet erscheint, ist gleichsam zu umgehen. Mitunter ist es erst die Konfrontation, die Klarheit schafft, und das Ausweichen eine solche nur ungesund verzögert.“

      Der Alte machte eine nachdenkliche Pause, nicht aber ohne sein Gegenüber aus dem Blick zu nehmen. „Natürlich ist man geneigt, sich von Unbequemen frei zu halten, lieber den reizvollen Augenfälligkeiten zu widmen. Besonders geeignet erscheint dabei die Anmut und Schönheit der hiesigen Damenwelt, und wachen Auges kommt man nicht umhin, diese recht schnell auch zu bemerken. Wie ich vernommen habe, ist Ihnen das ja bereits schon gleich am ersten Tag trefflich gelungen.“

      Leon war sichtlich beeindruckt, und der Anflug seines vorangegangenen Eindrucks verstärkte sich soeben. Wie in Gottes Namen war es seinem Nachbarn zur Kenntnis gelangt, dass er Isabella in ihrem Lädchen kennengelernt hat? Zudem ging es diesen alten Herrn doch auch wirklich nichts an. Aber nun Ausflüchte zu suchen, etwa leugnen oder beschwichtigen zu wollen, schien ihm nicht nutzbringend. Dazu war die Lage zu klar: Herr Schilling,