Christer von Lindequist

Deutscher sein !?


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in einem Kino der Filmhochschule kam es zu tumultartigen Szenen während der Vorstellung. Der Film spaltete das Publikum in zwei Lager. Empörung und Wut auf der einen, Applaus und Begeisterung auf der anderen Seite. Eine rasante Mundpropaganda war die Folge. Bald rissen sich mehrere Filmfestivals um eine Kopie. Die Reaktionen waren immer die gleichen. Die Vorstellungen waren ausverkauft, der Film gewann sogar einige Publikumspreise.

      Das deutsche Feuilleton geriet in Aufruhr, Kritiker schrieben Lobeshymnen und Hasstiraden, feierten den Film als „helle Fackel am Ende des dunklen Tunnels der deutschen Seele“ oder tadelten ihn als „plumpen Versuch eines neonazistischen Wolfes im Schafspelz banaler Unterhaltung ohne Tiefgang“. Doch das war nur der Anfang, denn nun schaltete sich die Politik ein. Er war überzeugt, hätte er den Film nicht in einem Wahljahr herausgebracht, wäre vieles anders gekommen.

       Ich weiß nicht, ob es Schicksal war, aber ich hatte heute in Paris beim Mittagessen ein sehr interessantes Gespräch mit einem Exilchinesen. Sein Name war Camille Chang. Wir waren die einzigen Gäste im Restaurant, so kamen wir leicht ins Gespräch. Ich erklärte ihm, woran ich arbeite und welche Probleme die Deutschen mit dem Patriotismus hätten. Er nickte ganz verständnisvoll und sagte: „Das ist schwierig, weil die Menschen zuerst den Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus kennen müssen.“

       „Genau“, sagte ich, „das muss man ihnen erklären. Aber wie?“

       „Das ist ganz einfach!“, sagte er.

       „Was ist der Unterschied zwischen Patrioten und Nationalisten?“

       Ich wartete gespannt auf seine Erklärung.

       „Zwei Patrioten unterschiedlicher Nationalität können sich stundenlang über ihre Heimatländer austauschen und kommen bestens miteinander aus. Zwei Nationalisten dagegen werden von der ersten Minute an versuchen, den anderen davon zu überzeugen, dass ihr Land das Bessere ist, und sich nach kurzer Zeit in den Haaren liegen.“

       Ich war beeindruckt. Einfacher ging es wirklich nicht. Camille erklärte mir auch, dass sich Patriotismus in jedem Land anders ausdrückt, aber im Kern die Identifikation mit dem Land steht, in dem man sich heimisch fühlt.

       Mir geht es nicht anders. Meine Heimat ist Deutschland, mein Herz schlägt für Deutschland, auch wenn ich noch nicht mal einen deutschen Namen habe. Aber der eigene Name spielt für die Identifikation mit seinem Land die geringste Rolle.

      4. IN EINEM KINO IN DEUTSCHLAND

      Auf der Leinwand sind vier Plasmabildschirme zu sehen. Jeder füllt ein Viertel der Leinwand aus. Auf dem Bildschirm links oben sieht man die deutsche Fahne, rechts oben die amerikanische, darunter die britische und daneben die französische.

      ERZÄHLER

      Patriotismus heißt bekanntlich Flagge zeigen. Wir waren in Berlin, London, Paris und Washington unterwegs, um zu sehen, wie dort Flagge gezeigt wird. Vom Wahrzeichen der jeweiligen Stadt aus, in Paris der Eiffelturm, in London Big Ben, in Washington das Weiße Haus und in Berlin das Brandenburger Tor, sind wir mit durchgehend laufender Kamera eine Stunde durch die Stadt gefahren und haben Flaggen eingefangen. Zählen Sie mit …

      Im Schnelldurchlauf werden die Bänder nun parallel auf den jeweiligen Bildschirmen abgespielt und die Flaggen gezählt. Die Anzahl wird in jedem Fernseher angezeigt und mitgezählt.

      Die Zahl in den USA geht rasant schnell aufwärts, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. Nur Deutschland klettert langsam nach oben und bleibt nach etwa dreißig Sekunden bei achtzehn Fahnen stehen.

      ERZÄHLER

      Das Ergebnis: USA – 389. Frankreich – 296. England – 183 und Deutschland – 18. Was lernen wir daraus? Die Deutschen spielen patriotisch in einer anderen Liga.

       In der Zeitung steht, dass bei der Wiedereröffnung des Brandenburger Tors die Leute gebuht haben, weil die Nationalhymne nicht gespielt wurde. Was für ein Patzer der Organisatoren. Da wollen die Deutschen einmal Patrioten sein und werden dann so bitter enttäuscht.

       Ich bin auch schwer enttäuscht. Ich habe in sämtlichen Buchläden Berlins nach Büchern über Patriotismus gesucht. Fehlanzeige. Das Thema scheint in der neuen deutschen Prosa nicht zu existieren. Nicht in der Literatur, nicht in der Musik, nicht im Film, nirgendwo. Das Einzige, was ich gefunden habe, ist eine Designerin, die Motive wie den Bundesadler in ihrer Mode verarbeitet.

       Um meine Enttäuschung über den fehlenden Patriotismus zu dämpfen, habe ich die Momente aufgeschrieben, in denen ich besonders stolz war, Deutscher zu sein. Viele haben mit Sport zu tun, wie die WM 1990. Der Mauerfall 1989 gehört auch dazu, so wie die Euroumstellung. Nicht dass ich für den Euro gewesen wäre. Ich wollte ihn nicht. Ich wollte die D-Mark behalten und wurde ganz sentimental, als ich die ersten Euros in der Hand hatte. Das fühlte sich an wie Spielgeld aus dem Kaufmannsladen. Irgendwie war ich stolz auf die D-Mark und ich glaube, sie war ein Symbol für die Deutschen, mit dem sich alle identifizieren konnten. Leider gibt es davon nicht sehr viele.

      5. IN EINER BERLINER FUSSGÄNGERZONE

      Ein Obdachloser sitzt mit seinem Hund vor einem Kaufhaus und philosophiert über den Sinn der Währungsreform, während ab und zu Passanten Geld in seinen Hut werfen.

      OBDACHLOSER

      Die Leute wissen gar nicht, wie schwer wir et jetzt haben. „Hasse ma ’ne Mark?“, dat war ne Aussage, ’nen Statement, damit konnten die Menschen wat anfangen. „Hasse man ’nen Euro?“ klingt, als ob ich nach ’nem Hund fragen würde. Hasse man ’nen Bello? Euro? Nach ’nem Euro kannst de eh nicht fragen, det sind ja praktisch zwee Märker. Wir wollen de Leute doch nicht ausnehmen. Und „Hasse ma 50 Cent?“ klingt ooch dämlich. Wie soll man denn da noch motiviert an die Arbeit gehen?

      Der Hund schaut ihn genauso fragend an, während eine Frau den Hund streichelt und zwei Euro in den Hut legt.

      OBDACHLOSER

      Besten Dank, Gnädigste. Besten Dank.

       Ich nehme mir Zeit für eine patriotische Bestandsaufnahme der Republik. Habe das Grundgesetz durchgelesen, doch keinen Verweis auf Patriotismus gefunden. Das hat auch etwas Gutes, er ist zumindest nicht verboten. Im Internet habe ich bei Google verschiedene Begriffe eingegeben. Die Ergebnisse: „Patriot“ – über 50 Millionen Verweise, „Patriotism“ – über 12 Millionen, „Patriotismus“ – 220.000, „Patriotismus in Deutschland“ – 103.000 Verweise.

       Das bedeutet entweder, dass Patriotismus in Deutschland kein Thema ist oder dass der Begriff nicht sehr oft benutzt wird. Ich habe mal „Stolz auf Deutschland“ eingegeben und über zwei Millionen Verweise gefunden, darunter etliche Chatrooms, in denen heftig über Deutschland und die Lage der Nation diskutiert wird. Wie immer ist es leichter, zu einem Thema offen zu sagen, was man denkt, wenn man anonym bleiben kann.

      In der Öffentlichkeit ist es gar nicht so leicht, stolz auf Deutschland zu sein, ohne dafür gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden. Daher eine neue Frage: Wie können sich die Menschen mit Deutschland identifizieren und dieses Gefühl ausdrücken? Großteile des patriotischen Vokabulars wie „Heimat“ und „Volk“ sind durch die Nazis mit negativen Assoziationen belegt. Vieles davon könnte man aus dem Duden streichen und keiner würde es merken. Doch selbst wenn das Vokabular vorhanden wäre, hätten wir immer noch das Problem, dass wir gar nicht wüssten, wie