Maxi Hill

Liebe, die auf Trümmern wächst


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      Maxi Hill

      Liebe, die auf Trümmern wächst

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       DIE QUELLE MEINES WISSENS

       EINE LIEBE IM VORHOF DER HÖLLE

       ILSE

       WERNER

       EINE TRISTE ZEIT

       LETZTE KRIEGSWEIHNACHT

       EINE SCHÖNE BESCHERUNG

       FRONTEINSATZ ?

       EIN TREFFLICHER PLAN

       MACHTLOS

       AKTION DONNERSCHLAG

       EINE UNHEIMLICHE BEGEGNUNG

       DIE SCHWERE ZEIT

       NOT-ZAMPERN

       DIE RUSSEN KOMMEN

       MAX

       HOFFNUNG AUF LEBEN

       LIEBE, BROT; TOT

       QUELLEN

       MAXI HILL

       Impressum neobooks

      DIE QUELLE MEINES WISSENS

       A ls absurd bezeichnen wir, was nicht möglich schien

       und doch passiert ist.

       Was aber möglich war und nicht passieren durfte,

       schweigen wir zu Tode.

      Während einer Bahnreise begegnet mir ein Mann russischer Herkunft. Zu meinem Erstaunen kennt er eine Geschichte aus meiner Stadt.

      Noch folgen meine Gedanken dem Manne nicht. Ich versinke in Erinnerungen an meine Kindheit, als es die ersten Begegnungen mit den »Siegern« gab. Aber ich verliere mich auch in den Vorurteilen, die aus einer Zeit stammen, als die Sieger sich ungefragt nahmen, was sie sich zurecht erobert zu haben glaubten.

      Ich möchte schamvoll versinken. Wie konnte ich angesichts eines amüsanten Plauderers daran denken? Diese Zeiten sind vorbei. Heute weiß man, es gab Grausamkeiten auf allen Seiten, das ist das Alphabet von Kriegen. Keine der Kriegsparteien hat je ein Recht, den anderen «das Böse» zu nennen. Leider lässt man auch heute überall dort, wo man vorgibt, den Frieden retten zu müssen, ausschließlich Waffen sprechen. Kein Frieden wird durch Krieg erreicht — jedenfalls nicht auf Dauer.

      Der Mann erhebt sich — nicht kerzengerade, aber deutlich — reicht mir die Hand und sagt: »Ich heiße Sergeij. Deutsche Freunde sagen Serge zu mir … und meine Anja auch.« Serdsch spricht er.

      Während der Mann redet, mustert er mich mit einem erwartungsvollen Blick. Und sofort erfahre ich, dass er gerade aus Bansin kommt, wo er mit seiner deutschen Frau eine Pension führt, die ihn in dieser Jahreszeit entbehren kann. Früher habe er ein gut florierendes Café direkt an der Promenade betrieben. Es musste einem bombastischen Hotelneubau weichen.

      Ohne Übergang erzählt er in ruhigem Ton, dass er in Russland geboren ist — damals Sowjetunion, daran muss er vermutlich viele Deutsche erinnern. Er habe sein Land vor vielen Jahren verlassen, der Liebe wegen.

      Vielleicht sei sein Großonkel Iwan Stepanowitsch schuld an dieser Entscheidung gewesen. Er habe der Familie oft von Deutschland erzählt, aber auch von der schweren Zeit, die die Völker — jedes auf seine Weise — durchgemacht haben. Die meisten Russen mögen Deutschland noch immer nicht.

      Noch spricht er über die Deutschen von damals und was er über sie denkt. Er sagt, der Großonkel habe seiner Mutter von den «besseren Deutschen» berichtet, von Menschen, die sich weigerten, die hirnrissigen Befehle Hitlers oder dessen Vasallen zu befolgen.

      Ich bleibe still, überdenke seine Worte, und mein Herz hämmert dabei sehr unangenehm. Es gelingt mir kaum, mich auf das Thema Krieg zu konzentrieren, das unausgesprochen über zwei völlig fremde Menschen hereingebrochen ist, wie die Sturzwelle, die ein kalbender Eisberg unvermittelt auslöst.

      Sergeij redet inzwischen von etwas sehr Vertrautem, von etwas, wovon ich selbst vielleicht gesprochen hätte, wäre uns die überwundene Zeit nicht so ungestüm in den Sinn gekommen? Was gab den Ausschlag?

      Ich denke nach, aber seine Worte sind stärker:

      »Ihre Stadt hat schönes Theater. Jugendstil von altem Jahrhundert.«

      »Oh, Sie kennen es?«

      »Nein, nur Bild. Aber Iwan Stepanowitsch erzählt über Weigerung von Befehl: Vor Einzug von Rote Armee, Theater in Luft sprengen. War auch Munition dort gelagert.«

      Ich sortiere die Worte in meinem Kopf und kann den Sinn kaum glauben. Ganz unverhofft kommt aus mir: »Oh, tut mir leid.« Ich hebe die Schultern, und es ist, als möchte ich die letzten drei Stunden wie lästigen Staub einfach abschütteln. Es ist beschämend, ich weiß davon nichts. »Ich sollte vielleicht dazu recherchieren.«

      Er reicht mir die Visitenkarte von seiner Pension, und ich nicke schuldbewusst. Es ist nicht gesagt, dass man die alten Geschichten überhaupt aufbewahrt hat.

      »Wenn Sie wissen mehr, ich habe Interesse.«

      Wieder allein auf dem letzten Abschnitt meiner Reise sinne ich nach: Was mag einen fremden Menschen so sehr bewegen, dass er etwas aus seiner Erinnerung holt, wovon kaum ein Einheimischer etwas weiß.

      Ich beschließe nachzuforschen, und vielleicht… ja, vielleicht schreibe ich auch darüber.

      Nach Monate langer Recherche bin ich am Verzweifeln. Wohin ich auch gehe, was ich auch nutze, nirgendwo kann ich mehr über den Retter des Theaters erfahren als seinen Namen: Paul Geiseler.

      War es eine Heldentat oder nur Zufall? In der Art, wie etwas zustande kommt, und in der Art, wie Menschen denken und warum sie so handeln, zeigt sich das Heldenhafte. Manchmal ist aber alleine das Gewissen schon ein Held.