Oliver Geischberg

Die Insurgenten. Die Chevreuse.


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die Kleider vom Leib riss, in allergrößter Drangsal seinen Kiel in meinen Leib senkte und los schwamm, als wollte er eine ganze Meerenge auf einmal überqueren. Es waren übermenschliche Manneskräfte, die entbunden wurden, es ging ein Sturm über mich hin; mehrmals wurde mir schwarz vor Augen. Siebenmal fand diese erregende Meerfahrt statt! Ich meinte, es ginge eine Sturmflut über mich nieder! Danach war ich wie tot, konnte gerade noch dem Lord, der mich über und über küsste, zuflüstern: „Wir haben den Fisch an der Angel!“, dann rief ich mein Zöfchen. Ich instruierte sie, zum Gemach der Königin zu springen, die Bediensteten zu fragen, was sich ereignet hätte; sie brachte dann die Nachricht, man habe alles beobachtet und genau registriert. Hubertine sei durch eine Tapetentüre Zeugin von allem geworden, die Königin war wie benommen, wie in Ohnmacht auf ihr Bett gefallen, habe sich unentwegt an Rock und Ärmeln gerissen, dann die Arme in den Nacken gestreckt.

      Ich schilderte dem vor Hitze triefenden Grafen, was sich zugetragen hatte, und er bekannte: „Ich kann die Spannung, die das bevor stehende Eintreffen der Herzogs in mir auslöst, kaum noch ertragen, er ist einer der schönsten Männer des vereinten Königreichs, der Herrscher verehrt ihn gleichsam, und ich selbst wurde von zahlreichen Bewunderinnen gebeten und bedrängt, die Aufmerksamkeit des Herrlichen auf sie zu lenken und ihm Botschaften zuzustecken. Ich habe auch einige Male die Ehre gehabt, von ihm das Vertrauen zu erhalten, als Postillon d’Amour in galanten Angelegenheiten ihm dienen zu dürfen.“

      Dann langte der Begehrte in Frankreich an! Dann traf das ein, was so viele heiß ersehnten! Ein Schiff legte am Seinekai an, der Erwartete war über den Ärmelkanal und den Fluss aufwärts gesegelt, und Hofdamen, Adelige, Prinzessinnen und Gräfinnen säumten das Ufer. Wie viele neugierige Blicke waren auf ihn gerichtet! Dann brachte man ihn in den Palaste, die Tore öffneten sich und man empfing ihn mit offenen Armen.

      Himmel, Gott! Welche Dramen machte ich durch! Welche Zustände machte ich durch! Ich begann, um meine ohnehin schon angegriffene Gesundheit zu fürchten. Der Graf und ich waren natürlich höchst gespannt, wie die Herrscherin, die wir vorher schon so heiß gemacht hatten, auf den Herzog reagiere. Ich bemühte mich, bei jedem ihrer Treffen zugegen zu sein. Ich war natürlich schon geübt, jede ihrer Gesten, jede ihrer Bewegungen zu deuten.

      Doch sie schenkte ihm Zuneigung! Doch sie schien ihn gar zu lieben! Ich konzentrierte meine ganze Aufmerksamkeit auf das Gespräch, und ich sah, wie ihre glutvollen Augen ihn fixierten. Er fesselte sie, indem er erzählte, dass er auf der Überfahrt einen Sturm erlebt habe, der ihn fast getötet habe, und ihre Augenlider waren geweitet vor Angst. Ihr Blick folgte ihm fortwährend, und wurde dann heller, heiterer, ihr ganzes Antlitz wurde liebevoller. Ich saß neben ihr, fixierte sie, und hörte genau zu, als Buckingham von seinen jungen Jahren sprach, die er am französischen Hofe verbracht habe. „Wie viele frohe, glückliche, spielerische Stunden verbrachte ich dort“, sagte er, und ich dachte, hoffentlich sagt Anna jetzt nichts falsches. Ich feuerte sie so mit meinen Gedanken noch an! Und wie wunderbar, wie willig sie ihnen folgte!

      „Und wie viele Sehnsüchte ließ ich auch dort zurück“, fuhr er fort, und Anna antwortete mit feuchten Augen: „Auch ich erinnere mich des Zaubers, der über einer Kindheit liegt“, „Es ist alles Heiterkeit“, ergänzte er, und sie fuhr fort, „es sind anmutige Freundschaften, in der Rückschau ist alles in ein gleißendes Licht getaucht.“ Das machst Du ja ganz wunderbar, dachte ich, und Buckingham erwiderte ihr: „Ich erinnere mich eines Spiels, in dem es darum ging, Ringe über in den Boden gestoßene Pfähle zu werfen, in dem es darum ging, genau zu treffen, es war nahe von Wasserspielen, und auch blinde Kuh.“

      „Graf! Graf! Es läuft! Es klappt alles, wie wir es und wünschten!“ Ich war dann in sein Gemach gelaufen, schilderte ihm meine Beobachtungen und meldete: „Es lief alles wie am Schnürchen, die Fische sind an der Angel“, und er nahm mich wieder in die Arme und küsste mich. Mit aller seiner Kraft senkte er dann noch einmal sein Ankertau in mich ein, wie geölt, geschmeidig lief es auf und ab, und als er dann erschöpft wie ein Schiffbrüchiger dalag, riss ich ihn an seiner Kleidung und schrie: „Wenn sie aber nicht mehr dazu kommen! Wenn sie aber nie mehr allein miteinander sind! Bei Hofe ist immer jemand um sie herum, sie werden sich niemals noch näher kommen können!“

      Gott, ich befürchtete, dass alle unsere Mühe bald umsonst sein könnte, ich befürchtete, dass alles scheitern könnte, und beschimpfte den Frosch. „Verehrtester Graf, tun sie etwas, danken Sie sich etwas aus, strengen Sie sich an, schaffen Sie eine Gelegenheit, bei der die Liebenden allein, ungestört mit sich selber sein können!“ Er richtete sich auf, glotzte blöde und ich hoffte, er habe jetzt verstanden.

      Es rückte die Theateraufführung, die Teil der Feierlichkeiten war, dann näher. Gott!, welche Aufregung ich bei dieser Darbietung durch gestanden habe, ich war vorher von dem Gedanken besessen, dass sich Anna und der Herzog doch näher kommen mögen, und ich starrte sie von Beginn der Aufführung ab unentwegt an. Holland hatte mich vorher noch ermutigt: „Geliebte!“, sagte er, „ich bin zuversichtlich, dass es gelingt, was wir und erhoffen, die beiden, die für einander bestimmt sind, werden unzertrennlich!“

      Doch der Vorhang geht auf, die Herrscherin scheint eher traurig, melancholisch, als ob sie sich fehl am Platze fühle, sich hinweg wünsche, und ich beginne, Qualen der Ungeduld auszustehen. Ich will nicht mehr hinsehen, aber, trotz des gedämpften Lichtes, scheint mir, dass sich auf der Herzog nicht wohl fühlt. Verehrter Holland, denke ich, wenn doch nur das Licht wieder anginge, was haben wir uns aufgeopfert, war alle unsere Mühe umsonst? Ich schiele wieder zu Anna hinüber, aber sie hat einen Gesichtsausdruck wie ein Walross, und auch Buckingham glotzt wie ein Nilpferd auf die Vorführung. Gott, wenn euch beiden doch einmal die Augen aufgingen, denke ich, doch Holland, zu dem ich kurz hinsehe, blickt noch zuversichtlich. Doch da seufzt Hero, die in dem Stück auf ihren geliebten Leander wartet, eine schmalzige Arie und plötzlich sehe ich Buckingham erwachen, und er strahlt plötzlich in der Dunkelheit. Auch Anna ist von derselben Stelle angerührt. Beider Lachen wird immer breiter und immer heller, ich kann mich daran gar nicht satt sehen. Wie sich ihre Blicke nun umschlingen! Wie sich ihre Augen nun anstrahlen! Als das Licht wieder angeht, möchten beide aufeinander zu gehen, stoßen wie vor einem Hindernis zurück, lassen aber die Augen nicht voneinander. Himmel, wie sie sich später umarmen werden, wenn sie sich jetzt schon mit den Augen umschlingen!

      Holland und ich sinnierten am nächsten Tage, nachdem wie uns von unseren Seefahrten ausgeruht hatten, noch über den Erfolg der Nacht. Ich hatte Schlaf nötig, begab mich kurz zur Ruhe, dann stürzte wie ein Gewitter Hubertine herein, ich erschrak mich fast zu Tode, und erzählte, wie Gondi, ein Kleriker von Notre-Dame, den sie dafür fast habe herzen mögen, verbreitete, dass es gestern Nacht ein Stelldichein zwischen Buckingham und der Königin gegeben habe im Garten des Louvre, das man nicht nur von den Räumen Marias von Medici habe sehen können. Man habe einen Schrei gehört, Anna sei völlig aufgelöst in ihr Zimmer zurückgekehrt und habe immer wieder, mit stieren, ausdruckslosen Augen, gerufen: „Alle Männer sind brutal und frech.“

      Ich bedankte mich standesgemäß bei Hubertine, ich rannte zu Holland und wir weinten vor Freude. Ich musste mich zusammenreißen, dass ich vor Erregung nicht in die Hose machte, dann liefen wir zur Seineinsel zur Kathedrale Notre-Dame, forderten einen Küster auf, sofort den Kleriker Gondi herbeizuschaffen, so schnell es möglich sei. Ich konnte es kaum noch erwarten, die Geschichte, damit ich mir absolut sicher sein konnte, abermals erzählt zu bekommen, der Küster jedoch antwortete, dass der Gesuchte heute vormittags noch eine Weihe und eine Taufe absolviert hatte, dann jedoch in sein Heimatschloss, das am Meer liege, abgereist sei. Ich wurde übermannt von Zorn, wollte ihn mit meinen Blicken beinahe töten, und antwortete ihm, dass es unerhört sei, dass ein so geehrter Domherr für edle Besucher in dringenden Angelegenheiten nicht zu sprechen sei.

      Wieder zurückgekehrt, stellte ich mich in Hollands Gemache ans Fenster, blickte hinaus, erinnerte mich, dass ich gerade die Seine überquert hatte, und ein großes Gefühl überschwemmte mich: Wie auf der Wasseroberfläche alles so gefunkelt hatte, wie erhaben ich war, wie mächtig, wie ich die beste Freundin der Königin war, wie ich auf alles andere so hinabblickte, und wie herrlich außerdem, dem König einen solchen Bären aufzubinden.

      Dann wandte ich mich wieder zu dem großartigsten aller Männer um: Seine Augen hatte plötzlich allen Glanz verloren. Er flüsterte mir ins