Mo. Moser

Schattenkind


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rief. Johannes und Heinrich, das klang für Jim, wie Arsch und Friedrich. Also hatten sie sich Namen ausgesucht, die zu ihnen passten. Wie Jeans und Coca Cola, wie heiße Autos und Rock and Roll und nicht wie Kuhmilch und Landeier. Auch wenn seine Mutter es nur widerwillig zur Kenntnis nahm, schien sie sich doch die meiste Zeit daran zu halten. Aber eben nur meistens. Er warf vom rustikalen Flur aus einen Blick ins Wohnzimmer und sah das immer gleiche Bild, eingemeißelt für die Ewigkeit. Eine Frau die sich seine Mutter nennt und strickend vor dem Röhrenfernseher sitzt, während der Mann der sich sein Vater nennt, ein Bier nachschenkt und aufpasst das es nicht überläuft und den alten Korkuntersetzer benässt. Das alte und bewährte weißbraune Sofa, mit den kleinen Brandlöchern von Papas Zigaretten. Der abgenutzte Wohnzimmertisch, wo man noch sehen konnte, wo Mama einen zu heißen Topf hastig abgestellt hatte. Die völlig unpassenden giftgrünen Gardinen mit psychedelischen Spiralmustern und die völlig abartige Tapete, entworfen von einen Heroinsüchtigen auf LSD. Jim hatte Verständnis für jeden Terrorristen, der blindwütig versucht die Welt in die Luft zu jagen, wenn er nur in einem Wohnzimmer wie dem ihren aufgewachsen war. Vom Holzesel, dessen Hintern Zigaretten ausspuckt, bis zum potthässlichen, polizeigrünen Telefon, auf einem alten, mit Spitzendecke überzogenen Beistelltisch, war alles dabei, um einen astreinen Psychopaten heranwachsen zu lassen. Die geschmacklosen Wanderpokale und goldverzierten Teller an den Wänden und die kleinen Puppen mit ihren selbst gestrickten Kleidchen samt engelsgleichen Grinsen, die Mama wohl die Tochter ersetzen sollen und einen aus jeder Ecke mit großen toten Glasaugen anstarrten, gaben dem Ganzen den Rest. Der blöde rote Kippvogel, der angeblich für alle Ewigkeiten Wasser aus einem Schnapsglas trinken kann und schon lange nicht mehr funktionierte, hatte da noch etwas tröstendes an sich. „Hy Henry, begrüßte ihn Jim ebenfalls, gehen wir nach oben.“ Jims Zimmer hatte zumindest eine einigermaßen neutrale Tapete mit braunem Schilfmuster, wenn auch die mit buntem Karomuster versehene, altmodische Deckenlampe, das Ganze in ein surreales Licht tauchte. Von der Tür aus gesehen gegenüber, links unter der schrägen Wand und einem kleinen Dachfenster, stand sein gebrauchtes Jugendbett mit passendem Nachttisch, das sein Vater vor Jahren beim Sperrmüll entdeckt hatte. Gleich rechts neben der Tür, stand ein abgeranzter, alter Schreibtisch. Zu seinen weiteren Schätzen gehörte ein großes, grünes Sofa mit aufgerissener Naht an der Seite, das seinem Bett auf der rechten Zimmerseite gegenüberstand und auf das Henry immer übernachtete wenn er zu Besuch war. Dazu kam ein alter, brauner Ledersessel vor einem immerhin! Man höre und staune, gut erhaltenen Tisch. Sein hellbrauner Kleiderschrank, der gleich links neben der Tür an der flachen Wand stand, war mit Stickern voll geklebt, um den abgeplatzten Lack zu überdecken und an seinen Wänden hingen unzählige Poster. Sein ganzer Stolz war eine Fahne der USA, sowie eine selbst gefertigte Bleistiftzeichnung der Enterprise und natürlich seine unzähligen Comics. „Ich kann richtig spüren, das heute noch was kommt“, sagte Jim begeistert und blickte aufgeregt aus dem Fenster. Der Himmel hatte eine seltsam unwirkliche Farbe, wie Kupfer und am Horizont zogen immer mehr dunkle Wolken auf. Selbst die Luft roch irgendwie metallisch. Das funkeln in Jims Augen, machte Henry spürbar nervös. „Habt ihr einen Blitzableiter?“ Fragte er, nur um seine Gefühle auf eine für ihn sichere, wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Das Jims altes Haus so weit abseits lag, nur umringt von Bäumen und Wiesen, quasi schutzlos dem Sturm ausgeliefert, half ihm nicht gerade dabei sich zu entspannen. „Ja, leider“, entgegnete Jim missmutig. Das war immerhin etwas, fand Henry, aber entspannen konnte er sich trotzdem nicht. Irgendetwas näherte sich ihm, wie ein bedrohlicher Schatten und es war nicht nur das Gewitter, das mit seinen dunklen Wolken heranzog. Es hing beinahe spürbar, greifbar in der Luft. Als würde sich etwas nähern, das über das natürliche hinausging. Etwas mächtiges, unkontrollierbares und bedrohliches. Henry schrieb es seinen gereizten Nerven zu, doch wäre Jim nicht da gewesen und damit die Aussicht sich komplett lächerlich zu machen, - er wäre ohne zu überlegen auf der Stelle nachhause gerannt und hätte sich in seinem Zimmer verbarrikadiert. Da sich längere Zeit nichts bemerkenswertes Tat, hörten sie eine Platte von Little Richard, spielten Karten, unterhielten sich über Bekannte, Klassenkameraden und Außerirdische. Zum Schluss unterhielten sie sich über Klassenkameraden die aber in Wirklichkeit Außerirdische waren, eine Invasion aus dem Weltall und die Möglichkeit mit Lichtgeschwindigkeit zu fliegen. Doch die Unterhaltung endete abrupt, als ein greller Blitz den nächtlichen Himmel durchzuckte, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donner. Sofort sprang Jim ans Fenster und Henry folgte ihm. Der Himmel war inzwischen pechschwarz. „Das wird ja besser als ich dachte“, freute sich Jim, als er sah, wie ein heftiger Wind aufkam und die Bäume sich darin bogen, als würden sie gleich umknicken. „Jim!“ Rief seine Mutter von unten herauf. „Ich mache die Sicherung heraus. Nur zur Sicherheit, falls der Blitz einschlägt.“ Seine Mutter hatte irgendwann einmal gehört, dass der Blitz durch die Leitungen kommen könnte und wertvolle elektronische Geräte, wie Fernseher, Radio oder die Waschmaschine zerstört, und da Geld in diesem Haus so selten war, wie Afrikaner in ihrem kleinen Dorf, war das ihre Methode dem Schlimmsten zuvor zu kommen. „Aber wir haben doch einen Blitzableiter!“ Rief ihr Jim sichtlich enttäuscht zu. „Ach das alte Ding“, rief seine Mutter zurück, wer weiß ob das überhaupt noch funktioniert.“ Das wiederum war Musik in Jims Ohren, auch wenn kurz darauf das Licht ausging. Henry hingegen überkam die blanke Panik. „Lass uns das Fenster aufmachen!“ Rief Jim aufgeregt. Er hatte ein Glänzen in den Augen, als wäre er wahnsinnig. „Aber Jim, der Donner war viel zu nah und bei dem Sturm zerwüstet der Wind dein ganzes Zimmer“. „Ja!“ Rief Jim begeistert und riss das Fenster auf. Er ballte die Faust und jubelte mit gestrecktem Arm dem Wind entgegen. Henry war fassungslos. Wieder blitzte es auf und wieder donnerte es, schneller folgend, lauter und gnadenlos. Henry hatte das Gefühl, er stünde schutzlos im Freien. „Jim, flehte Henry, lass uns das Fenster zu machen. Bitte, das ist kein Spaß.“ „Für dich vielleicht nicht“, sagte Jim und lachte. „Schau mal dort drüben.“ Tatsächlich war der Wind jetzt so stark in einen Baum gefahren, das Teile seiner Äste brachen, als wären es Streichhölzer. Die Ziegel auf ihrem Dach klapperten mehr als verdächtig und das Haus ächzte, die Dielen knarrten, als würde es gleich davonfliegen. Ein starker Windstoß fegte Jims Comics vom Regal und schleuderte sie durchs Zimmer, doch Jim schien es gar nicht zu bemerken. Er war wie weggetreten. Henrys Nerven flatterten wie die Dachziegel im Wind. Für ihn war das, das Ende der Welt. „Jim!“ Schrie er panisch und umfasste seinen Körper, um ihn vom Fenster wegzuziehen, als ein gewaltiger Blitz nicht weit entfernt von ihrem Haus, auf einem freistehenden, hügeligen Berg, in eine uralte Eiche einschlug, die sofort Feuer fing. „Wuha, es brennt!“ Rief Jim außer sich vor Freude. Das Henry mit aller Kraft an ihm zog, nahm er kaum zur Kenntnis, auch wenn er sich deshalb am Fensterrahmen festhalten musste. „Bitte“, flehte Henry, und es war der Klang in seiner Stimme, der Jim aufhorchen ließ. Henry weinte. Jim sah ihm ins Gesicht und sah die nackte Angst, die sich darin spiegelte. „Ok, sagte er, schließen wir das Fenster.“ Er hatte es kaum geschlossen, als ein starker Regen einsetzte. Das war kein normales Gewitter. Es war, als hätte sich eine infernalische Naturgewalt entfesselt, die mit ihrer zerstörerischen Kraft alles mit sich reißt. Gnadenlos, wie ein hasserfüllter Dämon, der über sie hinweg zieht und seine Krallen an die Fundamente des Hauses legt, um es einfach aus dem Boden zu reißen und in den Himmel zu schleudern. Der Regen peitschte regelrecht gegen die Mauern des Hauses und so direkt unter dem Dach, hörte es sich an, als würden sie von einem Maschinengewehr beschossen, dessen Kugeln gegen die Ziegeln hagelt. Dazu kam der aufheulende Wind, der das Ganze, wie ein Orchester des Wahnsinns begleitete. Pfeifend, tobend durch die Ritzen des Daches ziehend, wie eine Symphonie des Grauens, die in Interwallen lauter und leiser wird, bis sie plötzlich verstummt, nur um mit einem gewaltigen Tusch zurückzukehren und sich mit dem knarren und ächzen des Hauses, auf einen neuen Höhepunkt zu begeben. Henry saß apathisch auf dem Sofa, die zitternden Beine nah an den Körper gezogen und wartete einfach nur noch auf das Ende. Er hatte es längst aufgegeben seine Gefühle zu kontrollieren. Eine Mischung aus Furcht und Resignation lag in seinen Augen. Furcht davor, wie es sein würde, wenn hier gleich alles zusammen fällt und Resignation, weil er eh nichts mehr daran ändern konnte. Noch immer blies der Wind wie ein fauchender Drache und zerrte am ganzen Haus, doch Jim beachtete es nicht mehr. Selbst als der Sturm langsam nachließ, dauerte es noch lange, bis Jims tröstende Worte endlich zu Henry durchdrangen.

      3. Auf Entdeckungstour.

      Als sie am nächsten Morgen aufwachten, war Jim zwar enttäuscht, weil ihr Haus