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mit seinen rasiermesserartigen Zähnen zu zubeißen. „Also das is ja eigenartig“, sagte Jim vor dem Stein kniend und fügte dann, von einem inneren Pioniergeist ergriffen hinzu, „aber das kriegen wir schon raus. Los pack mal mit an.“ Henry war gar nicht wohl bei dem Gedanken, die abgespaltene Hälfte des Felsblocks wegzuziehen, um herauszufinden was sich dahinter verbarg. Doch bevor er sich’s versah, zerrte er gemeinsam mit Jim, mit aller Kraft an dem wuchtigen Stein. Henrys Unwohlsein kam nicht nur von der Angst vor dem, was er dahinter erblicken würde. Sie mussten auch aufpassen, dass ihnen der schwere Steinblock nicht einfach auf die Füße fällt, sollte ihr vorhaben gelingen. Doch so sehr sie auch zogen, er bewegte sich keinen Millimeter. „Verfluchtes Drecksding“, schimpfte Jim und machte eine Pause. „Soviel kann der doch gar nicht wiegen“, fügte Henry nach Atem ringend hinzu. „Los, wir zählen bis drei, sagte Jim schließlich, und dann ziehen wir noch mal mit aller Kraft.“ Sie stellten sich in Position, zählten, zogen, und mit einem saugenden, schmatzenden Geräusch, gab der Stein schließlich nach, kippte nach hinten und auf die Seite. Dabei hatte es Henry nur seinen guten Reflexen zu verdanken, dass er ihm nicht wirklich auf den Fuß fiel. „Geschafft“, jubelte Jim und machte sich sofort daran das Loch zu untersuchen. Viel sehen konnte er nicht, nur das es wie eine Röhre schräg nach unten führte. Schließlich schauten sie beide hinunter, was auch nicht mehr brachte, denn so sehr sie sich auch anstrengten, es war zu einfach dunkel, um etwas zu erkennen. Henry gelang es nur mühsam, seine Fantasie im Zaum zu halten und auch Jim ging es nicht anders. Was immer auch dort unten war. Es schien zu ihnen herauf zu blicken… nach ihnen zu rufen… als wäre etwas nach langer Zeit aus einem düsteren Schlaf erwacht. Jim konnte es spüren und Henry ebenfalls, und obwohl es sehr warm war, bekam Henry eine Gänsehaut und Jim hatte das seltsame Gefühl, mit Lichtgeschwindigkeit durchs All zu rasen, an einen Ort, den noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat und den vielleicht auch niemals ein Mensch sehen sollte. Aber lange hielt das Gefühl bei Jim nicht an. „Hallo?“ Rief Henry nach unten. Jim schaute ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Hör mal Henry, der Stein liegt da bestimmt schon seit einer halben Ewigkeit. Glaubst du wirklich, dass dir jemand antwortet?“ Henry lächelte unsicher und kratzte sich am Kopf. „Ich weiß auch nicht, ich hatte nur plötzlich so ein komisches Gefühl.“ Jim auch, doch davon sagte er ihm nichts, denn dafür war die Vorlage einfach zu gut. Das konnte er sich nicht entgehen lassen. „Das kommt davon, begann er einleitend, wenn man sich von Mami so verwöhnen lässt. Weißt du, da bekommt man irgendwann so komische Gefühle.“ Dann tat er so, als ob er ernsthaft nachdenkt. „Hattest du eigentlich schon mal den Gedanken Papi aus dem Weg zu räumen, um Mami ganz für dich allein zu haben? Ich meine, machte dich das nicht eifersüchtig, wenn du in deinem Babybettchen lagst und daran denken musstest, wie er an ihrer Brust nuckelt, so wie du, bevor er sie rammelt wie ein wild gewordener Osterhase?“ Henry wurde knallrot im Gesicht. „Du bist`n Arsch.“ „Entschuldige, sagte Jim, ich wollte ja nicht deine zarten Gefühle verletzen.“ Henry stand auf, lief wortlos zu den Felsblöcken zurück und machte sich an den Abstieg. Es war eigentlich gar nicht seine Art so empfindlich zu reagieren und gerade das, alarmierte Jims innere Warnanlage. Ein Teil von ihm sagte ihm deutlich, das es besser wäre ihn in Ruhe zu lassen, aber er konnte ihn jetzt unmöglich einfach so gehen lassen, ohne sich den restlichen Tag schuldig zu fühlen. Mann, war doch nur Spaß!“ Rief er Henry hinterher, bevor er ihm folgte. Obwohl er ein paar Mal ungeschickt abrutschte, gelangte Henry doch relativ schnell nach unten, so dass Jim ihn erst einholte, als er bereits über die Wiese lief. „Warte doch mal“, rief er erneut und fasste ihn von hinten an die Schulter. Mit einer blitzartigen Bewegung drehte sich Henry um und stieß Jim so heftig von sich, dass er rückwärts ins Gras fiel. Er beugte sich über ihn und schnaufte wie ein tollwütiges Tier. Sein Blick war so voller Wut, dass Jim Angst bekam, und Jim hatte fast nie Angst. Henry war ein stilles Wasser, doch sein Staudamm war gerade explodiert und ergoss sich über Jim mit voller Wucht. Jim wusste nicht, ob es Regen war, oder Tränen in Henrys Augen, nur das er bereit wäre ihn zu töten, wenn er jetzt auch nur ein falsches Wort sagt. Sie kannten sich schon so lange, doch zum ersten Mal wurde Jim bewusst, das er eigentlich nichts über Henry wusste. Noch nie hatte er ihn so erlebt. Seine Augen waren wie eisiges Feuer und sein Gesicht so weiß wie gefrorener Schnee. Henrys Atem ging immer noch stoßweise und sein flackernder Blick wanderte unruhig hin und her, als er sich plötzlich umdrehte und einfach ging. Jim blickte ihm noch lange hinterher, bevor er langsam aufstand und nachhause lief.

      In dieser Nacht konnte er kaum einschlafen. Zum einen wollte er die Höhle untersuchen, die er dort oben unterhalb der Röhre vermutete. Doch das wollte er nicht alleine tun. Und zum Anderen plagte ihn sein Gewissen wegen Henry. Das Zweite wog dabei mehr als alles andere, das er sich im Zusammenhang mit der Höhle ausmalte. Er war gemein zu ihm gewesen. Hat ihn in einer Art und Weise verletzt, wie er es kaum für möglich gehalten hätte. Dieser Blick, den Henry ihm zugeworfen hatte. Obwohl es überaus warm war, fröstelte es ihn. Henry war mit Abstand Jims bester Freund, doch alles was er heute in seinen Augen gelesen hatte, war ein abgrundtiefer Hass. Dabei wollte Jim eigentlich nur Spaß machen. Er konnte ja nicht wissen, auf welche Landmiene er da treten würde. Jim beschäftigte sich noch lange mit dem Gedanken und als er dann endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, träumte er nur wirres Zeug. Bettlaken, die im Sommerwind flattern, aufgehängt an einer Wäscheleine. Schatten die sich dahinter bewegen. Ein Windspiel über einer alten Tür, mit silbernen Stangen die im Wind klimpern. Eine schwarze Katze die ihn vom Dach herunter anfaucht und wieder die Bettlacken im Wind, besprengt mir Blut. Dann sah er plötzlich Henrys Vater und seine Mutter, die stöhnend unter ihm aufschrie, während er schwitzend auf ihr lag, stoßweise sein Becken bewegte und seine Hände in die Bettdecke krallte. Und dann sah er Henry, wie er hinter dem Bett stand und weinte. Wie er fassungslos das Geschehen beobachtete, den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet, bis er endlich unter Tränen hervorstammelte, er solle Mami nicht wehtun. Und wieder sah Jim die Bettlaken, wie sie im Wind flattern. Und als eine davon vom Wind umgeschlagen wurde, sah er Henry, der aussah wie ein Zombie und Jim mit großen Augen anstarrte, bevor er die herabhängenden Hände zu Fäusten ballte, den Mund öffnete und schrie.

      Als Jim aufwachte, lag er schweißgebadet in seinem Bett und war total verstört. Ein Teil von ihm sagte sich, das es nur ein verrückter Traum gewesen war, - völlig bedeutungslos. Ein anderer, tiefer liegender Teil in ihm, erzählte ihm das Gegenteil. Er war nicht nur nahe dran, er hatte genau ins Schwarze getroffen. Wehalb sonst sollte Henry so abdrehen. Er hatte seinen wundesten Punkt entdeckt. Treffer. Versenkt. Henry. Stilles, tiefes Wasser. Ein Bettlaken im Wind. Blutrot, - und keiner wäscht es weiß.

      Bereits am frühen Vormittag machte er sich auf den Weg. Er war noch nie so nervös, wie an diesem Tag, als er zu Henrys Haus lief. Er hat ja schon so manches mal etwas verbockt, doch diesmal hatte er seinen Wagen so tief in den Sand gesetzt, dass er beim besten Willen nicht wusste, wie er ihn wieder herausziehen soll. Er hatte Angst Henry zu verlieren. Bisher war es für ihn einfach immer völlig normal, das Henry für ihn da war. Wie ein Bruder. Ein Teil seiner Familie. Es wäre ihm auch nicht im Ansatz in den Sinn gekommen, dass es jemals anders sein könnte. Bis Heute. Als er an der Haustür klingelte, zitterte seine Hand. Es dauerte etwas, dann öffnete Henrys Mutter die Tür. Sie stand vor ihm, mit verschränkten Armen, wie eine ein Mann Armee. Jim schluckte. „Ist Henry da?“ „Tut mir leid“, sagte sie und musterte ihn von oben bis unten. „Ich fürchte, er ist für dich nicht zu sprechen.“ Jim hatte das Gefühl, als hätte ihn jemand mit voller Wucht in den Magen geschlagen. Er musste tief durchatmen bevor er wieder etwas sagen konnte. „Dann, stammelte er schließlich, möchte ich ihm wenigstens etwas da lassen.“ Er gab ihr einen länglichen Karton und ohne noch etwas Weiteres zu sagen, drehte er sich um und ging. Er konnte nichts mehr sagen. Sein Hals war wie zugeschnürt und sein Herz schien zu zerspringen und schon nach wenigen Metern musste er sich die Tränen aus dem Gesicht wischen, bevor er erneut tief durchatmete und in Richtung seines Hauses lief. Henry trat vom Fenster zurück und war total verwirrt. Er konnte einfach nicht glauben, was er gerade gesehen hatte. Sicher hatte er Jim schon einmal weinen gesehen, als er noch kleiner war, doch das war vor einer halben Ewigkeit. Das er es jetzt wieder tat und offensichtlich wegen ihm, war für Henry nicht nur überraschend, es war einfach unglaublich. Und doch konnte es nicht anders sein. Aufgeregt sprang er die Treppe nach unten, um seine Mutter nach dem Paket zu fragen. „Ach das… das liegt im Flur“, sagte sie und man merkte, dass es ihr gar nicht gefiel, das Henry davon wusste. „Und wann hattest du vor es mir zu