Mo. Moser

Schattenkind


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er tun sollte, doch dann stand er auf, lief zur Tür und sah wie der Junge einfach durch sie hindurch ging. Nach kurzer Überlegung öffnete er die Tür und sah den Jungen die Treppe hinunterlaufen. Als hätte die Schwerkraft für ihn keine Bedeutung, lief er auch hier wesentlich langsamer, als es eigentlich möglich gewesen wäre. Jim folgte ihm nach unten, wo der Junge ohne zurück zu blicken durch den Flur und die Haustür lief. Jim überlegte, ob er zurücklaufen sollte und sich wenigstens Schuhe anziehen, aber dann ließ er es bleiben und folgte ihm nach draußen. Der Geisterjunge lief nicht wie Jim annahm in Richtung des Hügels, sondern ums Haus herum, in Richtung des dahinter liegenden Waldes. Je mehr sich Jim von seinem Haus entfernte, desto unheimlicher wurde ihm zumute. Hier draußen, nur bekleidet mit seinem Schlafanzug, fühlte er sich schutzlos. Und die zunehmende Dunkelheit, zusammen mit seinem leuchtenden Begleiter, half nicht gerade dabei, seine angespannten Nerven zu beruhigen. Während er stehen blieb, lief der Junge unbeirrt weiter. „Wo willst du denn hin?“ Rief er ihm hinterher. Der Junge hielt an und deutete in Richtung des Waldes. Jim schüttelte den Kopf. Er war bestimmt kein Feigling, doch das überstieg eindeutig die Grenze des machbaren. „Es tut mir leid, sagte er schließlich, aber ich kann da nicht mit dir hinlaufen. Nicht mitten in der Nacht.“ Der Junge sah ihn an und schüttelte traurig den Kopf. Es lag eine so tiefe Traurigkeit darin, dass es Jim schier das Herz zerriss. Während er Jim noch ansah, schien seine Leuchtkraft stetig abzunehmen, seine Gestalt immer mehr zu verblassen. Jim hatte das Gefühl, das er irgendetwas tun müsste. Irgendetwas um ihn zurückzuhalten, ihm Trost zu schenken, Hoffnung zu geben, aber er wusste beim besten Willen nicht was er sagen sollte. Bevor er ganz verschwand rief er ihm zu, „komm wieder!“ Er dachte dabei gleichzeitig an die darauf folgende Nacht, wie auch daran, dass er jetzt wiederkommen sollte. Doch es half alles nichts. Der Junge verschwand vor seinen Augen und alles was zurückblieb, war der Wind der durch seine Haare strich und das Gefühl versagt zu haben.

      Jim saß zuhause auf seinem Bett und verstand gar nichts mehr. Ein Blick auf die Uhr ergab, dass es kurz vor zwei war, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Die Gedanken rasten nur so durch seinen Kopf. Was um alles in der Welt wollte ihm der Junge in dem Wald zeigen? Wieso bestand er nicht darauf, dass er den Kopf zurückbringt? Und das, was ihm am meisten verunsicherte, - er kannte den Jungen. Er hätte bei allem was ihm heilig ist (und das war genau genommen nicht viel) schwören können, dass es der gleiche Junge war, wie der in seinem Traum. Der, mit dem er dieses Spiel spielte. Das mit den Kugeln. Das wiederum führte ihn zu einem anderen Gedanken. War vielleicht alles ganz anders? Vielleicht gab es keinen Geist und er war nur einen Einbildung in seinem Kopf? Eine Fantasie seines krankhaften Geistes? Es wäre fast schon beruhigend, wenn es so einfach wäre, aber möglich wäre es durchaus. Vielleicht waren ja giftigen Dämpfe in der Höhle, oder irgendwelche Pilzsporen wie bei ägyptischen Ausgrabungen. Ja… das würde auch seinen Alptraum erklären. Er beschloss den Schädel sicherheitshalber in einen Karton zu verstauen. Es war gar nicht so leicht, um zwei Uhr nachts in seinem Haus unauffällig nach einem Karton zu suchen, der zusätzlich auch noch die passende Größe hatte. Aber schließlich fand er einen geeigneten und umwickelt mit einer großen Plastiktüte, verstaute er das Paket auf dem Schrank. So, jetzt fühlte er sich schon halbwegs sicher, falls seine Theorie stimmen sollte. Da gab’s natürlich noch die andere Möglichkeit und der Geist war echt, aber um das herauszufinden, müsste er Henry einweihen. Weiter überlegte er, was er tun soll, wenn der Geist wiederkommt und ihn bittet mit in den Wald zu gehen. Ihn noch einmal so traurig zu sehen, brächte er nicht übers Herz. Ihm schnürte sich ja jetzt schon alles zusammen, wenn er nur daran dachte. Er würde ihm folgen müssen, doch auch das wäre nur machbar, wenn Henry da wäre und mitgehen würde. Er könnte ja Henry einfach nur so anbieten, bei ihm zu übernachten und falls der Geist auftauchen sollte, den Überraschten spielen. Kaum hatte er den Gedanken gedacht, schämte er sich dafür. Das wäre ja so, wie Henry in eine Falle laufen zu lassen. Nein, es half alles nichts, er musste es ihm sagen und das würde bestimmt nicht leicht werden.

      6. Geisterstunde.

      „Bist du wahnsinnig?“ „Jetzt beruhig dich doch mal.“ Jim wusste ja, dass es nicht ganz so einfach sein würde, es ihm zu erklären, aber Henry ging ab, wie eine Rakete die man zum Mond schießt. Er war so laut, das Jim befürchtete, Henry`s Mutter könnte nach oben auf sein Zimmer kommen, um nachzusehen was da los ist. „Einen Scheiß beruhig ich mich. Na klar, außer ein paar fette Spinnen war da nichts. Na ja, und das Skelett eines Kindes, aber das sieht man ja tagaus, tagein, wozu es also groß erwähnen. Nö, da lügen wir doch lieber dem besten Freund die Hucke voll.“ „Aber ich hab’s dir doch erklärt. Ich hatte Angst, das du zur Polizei gehen würdest.“ Henrys Stirn sah inzwischen aus, wie Wasser wenn es ein Kind zeichnet. „Das wäre ja wohl auch das Vernünftigste gewesen. Sag mal, hast du eigentlich schon mal daran gedacht, dass dieses Kind sich nicht zum Spaß dort unten reingelegt hat? Vielleicht hat es jemand umgebracht und rein geschmissen, oder es ist… jetzt kommt’s mir ja erst. Dieses scheinheilige Gelaber, das Kinder reinfallen könnten. Hattest du Angst, jemand könnte die Höhle finden und deine Ersatzteile klauen?“ Jim wollte etwas sagen, aber Henry schnitt ihm das Wort ab. „Wie auch immer. Wir bringen heute noch den Kopf zurück und melden es der Polizei und wenn du mich ganz lieb bittest, dann erzähl ich ihnen nichts von deiner morbiden Veranlagung, Totenköpfe zu sammeln.“ „Also, begann Jim und atmete tief durch, ich fürchte, so einfach ist das nicht.“ Er erzählte ihm von seinem nächtlichen Besucher und was er mit ihm erlebt hatte. Er erzählte ihm auch von seiner Theorie, sich mit irgendetwas in der Höhle infiziert zu haben. Von seinen Träumen erzählte er nichts, um Henry nicht noch mehr zu verwirren. Es klang auch so schon unglaublich genug. Nachdem Jim geendet hatte, war Henry sehr schweigsam und nachdenklich. Er kannte Jim zu lange, um zu glauben, dass er sich das nur ausgedacht hatte, um sich einen Spaß zu erlauben. Außerdem brauchte es schon einen triftigen Grund, dass Jim zu ihm kam und so eine Beichte ablegte. Das würde er bestimmt nicht tun, nur um einen billigen Witz los zu werden. Also was, wenn Jim sich wirklich etwas eingefangen hat? (Das war für ihn übrigens die wahrscheinlichste Erklärung. Er glaubte genauso wenig an Geister, wie an den Weihnachtsmann.) Könnte er ihn dann ruhigen Gewissens heute Nacht allein lassen? Womöglich irrt er noch nachts mit seinem Schlafanzug im Wald herum. Außerdem konnte er Jims Wahnvorstellung nur widerlegen, wenn er anwesend war, während für Jim sein angeblicher Geist wieder auftaucht. Nach reiflicher Überlegung sagte er schließlich zu, bei Jim zu übernachten. Jims Erleichterung und Freude war nicht gespielt.

      Die Sonne war schon am untergehen, als Henry endlich bei Jim auftauchte. Henry blickte zum Hügel hinüber, der mitten in die Landschaft hineingeworfen, mehr den je auf ihn den Eindruck eines alten, mit groben, rauen Steinen geformten, pyramidenförmigen Grabes machte. Mit einem riesigen Grabstein an der Spitze. So in der Ferne, wirkte es auf Henry, wie ein Mahnmal vergangener Zeit, dessen Schatten durch die untergehende Sonne langsam in seine Richtung kroch. Er hatte ein seltsam unwirkliches Gefühl als er an der Tür klingelte. „Hy Henry.“ Jims strahlende Laune holte ihn schlagartig wieder in die Realität zurück. Jim hatte sich nachmittags etwas hingelegt, um für die Nacht fit zu sein und fühlte sich, ganz im Gegensatz zu Henry, frisch und ausgeruht. Böse Träume hatte er zum Glück keine. Genau genommen Träumte er gar nichts. (Zumindest konnte er sich an nichts erinnern.) „Hy, Jim, begrüßte ihn Henry und fügte leise hinzu, nachdem er sich vergewissert hatte, das Jims Eltern nicht in der Nähe waren, und, alles bereit für die Geisterstunde?“ „Der Dreizack ist vom Staub frei gewedelt, das Pentagramm frisch nachgezogen und die schwarzen Kerzen stehen in Reih und Glied. Nur die einäugige Katze hat sich irgendwo draußen verlaufen“, scherzte Jim. Nun, abgesehen von seinen nächtlichen Halluzinationen, schien Jims Gehirn noch erstaunlich gut zu funktionieren, stellte Henry mit freudiger Erleichterung fest. Kaum das sie auf seinem Zimmer waren, platzte es aus Jim heraus, „willst du ihn mal sehen?“ „Lieber nicht“, entgegnete Henry nachdenklich. „Denn falls du dich wirklich mit irgendetwas infiziert hast, was mit der Höhle zu tun hat, dann ist es besser, wir lassen ihn gut eingepackt. Ich meine, bis wir ihn zurückbringen, falls deine Geist, (und hier musste sich Henry verlegen räuspern) nicht mehr auftaucht.“ „Na wie auch immer, sagte Jim grinsend, spätestens heute Nacht werden wir es wissen und keine Angst mein Freund, (und hierbei legte er Henry theatralisch die Hand auf seine Schulter) denk immer daran; ich bin bei dir.“ In Jims momentaner Verfassung, wirkte das eher wie eine Drohung, als wie ein Trost, dennoch musste Henry schmunzeln,