Mo. Moser

Schattenkind


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und die Welt, wie sie es immer taten. Es dauerte nicht lange, und sie kamen wieder auf den Geist zu sprechen. Jim konnte richtig sehen, wie Dr. Dr. Professor Henry, sich geistige Notizen machte, während er sich seine Brille zurecht schob: Der Geist bewegte sich langsam, was auf einen trägen Geist des Patienten schließen lässt. Zudem konnte er nicht sprechen, was auf eine unbewusste Verdrängung hinweist. Mögliche Schuldgefühle, die der selbstkonstruierte Geist nicht ansprechen soll. Womöglich redet er mit ihm, wenn der Patient sich seinem pathologischen, destruktiven Verhalten stellt und sich im Laufe der Therapie öffnet. Der Wald, - ein weiteres Zeichen der Verdrängung, als Rückführung in ein kindliches Märchenverhalten, darf nur unter größter Vorsicht mit einbezogen werden, damit sich der Patient nicht vollends in seiner labilen, am Rande zur Schizophrenie befindlichen Psyche verliert. (Absatz) Erste Diagnose, mit Empfehlung zur weiteren ambulanten Beobachtung, Dr. Dr. Professor Henry. Jim amüsierte sich köstlich. Er machte sich sogar einen Spaß daraus so zu tun, als hätte er etwas gesehen was gar nicht da war, nur um Henry damit aufzuziehen, was Henry wiederum gar nicht komisch fand. Gegen zehn Uhr spielten sie Monopoly und ab halb zwölf, warteten sie eigentlich nur noch auf den Geist. Jim beharrte sicherheitshalber darauf, dass der Stuhl beim Schreibtisch frei bleibt, was Henry mit einem leichten Kopfschütteln quittierte. Ansonsten lasen sie Comics und blickten immer wieder zum Schreibtisch. Henry lag dabei auf dem Sofa und Jim saß auf seinem braunen Ledersessel daneben. Auch wenn Henry sein Bett auf dem Sofa bereits gemacht hatte, bat Jim ihn, sich keinen Schlafanzug anzuziehen, für den Fall, das sie heute Nacht noch spontan in den Wald müssten, was Henry nur mit einem müden zurechtrücken seiner Brille beantwortete. Henry hielt es gerade noch aus, bis zehn nach zwölf, dann schlief er ein. Auf einen Geist, der sich noch nicht mal an eine ordentliche Geisterstunde hält, und den es höchstwahrscheinlich nur in Jims Fantasie gab, wollte er nicht länger warten. Jim blieb wach, doch er wurde zunehmend nervöser. Er hatte fast genauso viel Angst davor, dass der Geist kommt, wie das er nicht kommt. Beim ersteren, würde sich entweder herausstellen das er was an der Murmel hat, weil er der einzige Mensch auf Gottes schönem Planeten ist der ihn sieht, oder aber, es würde sich herausstellen das der Geist echt ist und er würde sie wieder in den Wald führen wollen, und wer weiß, was sie dort erwartet. Von Geisterzombies, bis zum Tor zur Hölle, war für Jim alles dabei. Beim zweiten, hätte er keine Chance herauszufinden, ob der Geist nun echt war oder nicht und er müsste weiterhin mit der Ungewissheit seines Geisteszustandes leben. Auch wenn er sich ganz normal fühlte, - wer weiß, vielleicht ist das bei Verrückten ja so. Henry würde jedenfalls nicht jede Nacht bei ihm Wache schieben, nur um auf einen imaginären Geist zu warten. Er musste daran denken, wie traurig der Geist ausgesehen hatte, weil er nicht mitgehen wollte, oder besser gesagt, nicht konnte, und genau das war letztendlich der Grund, weshalb er wollte, das er wieder erschien. Er hatte nicht nur gesehen, dass der Geist traurig war, er hatte es gefühlt. Als wäre er auf einer seltsamen Weise mit ihm verbunden. Als wären sie eins. Diese tiefe Traurigkeit, doch nicht nur das, - ein darunter liegender Schmerz, der ihn wie ein glühendes Messer in die Seele traf, - das Gefühl, er wäre der Schlüssel zu einer Tür, die geöffnet werden musste, um Licht in ein dunkles Verlies zu bringen, in deren dunkelstem Eck jemand darauf wartet das er ihn befreit, - all das, stärkte von Minute zu Minute den Wunsch ihn zu sehen. Es war bereits kurz nach ein Uhr, als Jims Gefühlspegel ausschlug, wie die Nadel eines Seismographen und der Geisterjunge, sich wieder auf dem Stuhl neben dem Schreibtisch materialisierte. Jim war mit einem Schlag hellwach. Er beugte sich zu Henry hinüber und rüttelte ihn an der Schulter. „Was ist denn?“ „Wach auf Henry, er ist da!“ „Wer?“ Fragte Henry schlaftrunken. „Der Geist“, antwortete Jim aufgeregt. Henry tastete nach seiner Brille und setzte sie sich auf. Als er in Richtung des Schreibtisches blickte, war auch er schlagartig wach und nicht nur das; alles was er bis dahin geglaubt hatte, die schöne Ordnung seiner rationalen Welt, konnte er gerade getrost auf den Müll werfen. Es gibt Geister. Ein Blick genügte um daran keinen Zweifel mehr zu haben und der einzige Grund, weshalb er nicht in Panik geriet, war der, das Jim da war. „Er ist echt“, flüsterte Henry fassungslos. Der Geist schaute Jim an und es war, als würde man zwei Stromkabel verbinden. Jim konnte immer noch seine Traurigkeit spüren, doch darunter verborgen, spiegelte sich auch Jims sichtbare Freude ihn zu sehen. Jim wusste nicht was er sagen sollte, und so sagte er einfach das Erste das ihm einfiel. „Schön dich zu sehen.“ Es war das erste Mal, dass er den Jungen lächeln sah und sein leuchten wurde heller als die Sonne. Zumindest empfand es Jim so, bevor er wieder seine ursprüngliche Leuchtkraft annahm. Jim, der sich erst langsam wieder an das normale Licht gewöhnen musste, wartete etwas, dann stellte er ihm die aus seiner Sicht alles entscheidende Frage. „Willst du wieder mit mir in den Wald gehen?“ Der Geist nickte, doch dieses mal wirkte er dabei kein bisschen langsam. „Was willst du dort?“ Fragte er weiter. Der Geisterjunge schien zu überlegen, wie er das Jim, ohne die Fähigkeit zu reden vermitteln sollte, was Henry intuitiv erfasste. Selbst etwas von sich überrascht, übernahm er spontan die Initiative. „Kannst du schreiben?“ Der Geist nickte heftig. „Kannst du einen Stift halten?“ Jim wusste nicht was Henry vorhatte, doch das jemand so über sich hinauswachsen kann, wie Henry gerade, beeindruckte ihn. Der Geisterjunge schüttelte mit einem etwas verlegenen und traurigen Blick den Kopf. „Ich habe eine Idee“, begann Henry aufgeregt, der ausgelöst von seinem Geistesblitz in seiner Euphorie kaum noch zu bremsen war. „Jim, ich brauche einen fetten, schwarzen Stift.“ Jim ahnte worauf er hinaus wollte. Er ging zu seinem Schreibtisch, um einen Stift aus seiner Schublade zu holen und es war das erste Mal, dass er dem Geisterjungen so nahe kam. Es war, als ginge ein elektrisches Knistern von ihm aus, das direkt auf Jim überlief und seinen ganzen Körper durchströmte. Er reagierte auf Jim, wie ein Metallsuchgerät das auf Gold gestoßen ist und Jim wurde von einem Gefühl durchflutet, das überwältigend war. Er konnte sich kaum noch konzentrieren und selbst die einfache Suche nach dem Stift, schien ihn zu überfordern. Als er ihn endlich hatte und Henry reichte, war es ihm, als ob er neben sich stand und sich dabei zusah. Als er wieder zu sich kam, stand Henry bereits mit seinem Filsstift an der Wand und demonstrierte dem Geisterjungen seinen Plan. Ohne lange zu überlegen, malte er einen Buchstaben an die Wand und wandte sich dann an den Geist. „Siehst du? Wenn du dich neben mich stellst, und etwas langsam mit deinem Finger an die Wand schreibst, dann kann ich es mit dem Stift nachfahren und wir können es lesen.“ Der Geisterjunge schien sich darüber sehr zu freuen. Doch er stand nicht auf, um zu Henry zu laufen, was zu erwarten wäre, sondern stand wie aus dem Nichts, von einer Sekunde auf die andere neben ihm, mit dem Finger an der Wand. Henry lief ein eiskalter Schauer durch seinen Körper, auch wenn er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen. „Ok“, sagte er langsam und schnaufte tief durch. „Was willst du im Wald?“ Der Junge überlegte kurz, als ob er sich erst wieder an das Schreiben erinnern müsste, dann legte er los. Henry folgte mit dem Stift seinem Finger, doch so sehr er sich auch bemühte, konnte er nicht verhindern, dass das Ergebnis recht verwackelt aussah. Doch wer konnte es ihm verdenken. Er fühlte sich, als wäre der Geist John F. Kennedys auferstanden, um mit seiner Hilfe, eine Botschaft an die Welt zu übermitteln. Als sie fertig waren, betrachteten sie aufgeregt die krakelige Schrift und was sie lasen, trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. Dort standen nur zwei Worte. Müssen graben. „Na das ist ja prächtig“, grummelte Henry. „Und nach was müssen wir graben?“ Der Geisterjunge ging wieder näher an die Wand und Henry folgte erneut mit dem Stift seinem Finger, als er weiter schrieb. Das Nächste was sie lasen, trug eher noch mehr zu ihrer Verwirrung bei, als das es ihnen Aufklärung brachte. Eine Kette. „Wir sollen in den Wald gehen und eine Kette ausgraben?“ Der Geisterjunge nickte heftig. Die großen Augen mit denen er Henry dabei ansah, verrieten deutlich, wie aufgeregt er allein bei dem Gedanken daran war. Henry überlegte, wie er seine nächste Frage stellen sollte, während Jim sich immer mehr vorkam, als wäre er in einem Agatha Christie Roman. Die nächsten Worte die Henry herausbrachte, zeigten deutlich, das es manchmal nicht gut ist, wenn man zu lange überlegt. „Und zu was?“ Eigentlich meinte Henry, weshalb sie das tun sollten. Der Junge legte seinen Kopf leicht schräg nach hinten und kaute auf seiner Unterlippe, während er an Henry vorbei ins Leere blickte. Er wirkte dabei auf Jim, wie ein Vater, der gerade darüber nachdachte, wie er seinem begriffsstutzigen Kind mit zwei Worten die Bibel erklären soll, bevor er den Kopf schüttelte und wieder an die Wand ging. Während Henry und der Geisterjunge weiter schrieben, schoss es Jim so nebenbei durch den Kopf, dass er demnächst unbedingt ein paar Poster umhängen sollte, bevor seine Mutter das liest und ihn für einen angehenden Serienkiller hält. Die