denkst, Herzle?« Rudolf war ihren Blicken gefolgt.
»An nichts und an vieles«, lachte Annemarie. »Eigentlich habe ich nur in den schönen Herbstmorgen hinausgedöst. Aber uneigentlich habe ich dabei empfunden, wie gut ich es doch auf der Welt habe.«
»Weil du halt ein zufriedenes, glückliches Temperament hast. Mußt dich doch oft arg plagen, armes Weible!« Rudolfs Hand umfaßte in innigem Druck die auf dem Tisch liegende Rechte Annemaries. Es waren keine zarten Mädchenfinger mehr; man fühlte es der Hand an, daß sie gewöhnt war, zuzupacken. »Ich wollte, ich könnt' dir's im Haushalt erleichtern, Annemie. Aber von Tag zu Tag wird das Leben schwerer.«
»Quälst du dich etwa nicht, Rudi? Von morgens bis abends bist du auf den Beinen. Und nachts holt man dich soundso oft auch noch aus dem Schlaf. Ich wünsche es mir gar nicht leichter, Rudi. Arbeit macht das Leben süß, und – unsere Küken tun das vor allem. Besonders, wenn sie sich so pianissimo verhalten wie augenblick – – –«
Annemarie hatte noch nicht ausgesprochen, als ein Zetermordgeschrei von dem Sandhaufen herüberschallte. In einer Sekunde hatte sich die Situation dort verändert. Statt der artig dort spielenden kleinen Kuchenbäcker standen sich plötzlich drei kleine Raufbolde gegenüber. Das temperamentvollste von ihnen schien Klein-Ursel zu sein. Das warf dem älteren Bruder mit seinem kleinen Löffel Sand ins Kraushaar, in den Hals, ja sogar in die Augen, während dieser sich mit seiner Schaufel energisch zur Wehr setzte. Vronli, die ursprünglich die streitenden Parteien hatte friedlich trennen wollen, ward in den Strudel mithineingerissen und fand es amüsanter, nach links und rechts Püffe und Stöße auszuteilen.
»Lixter Ocke!« Das war Ursels Stimmchen.
»Mutti – Vaterli – Ursel hat ›verflixter Ochse‹ geschimpft«, kam Vronli pflichtschuldigst melden.
»Wo hat das Kind das nur her?« verwunderte sich Rudolf, seine Heiterkeit vergeblich unter Schnurrbartzwirbeln verbergend.
»Von mir nicht – verflixt sage ich ja manchmal, aber Ochse bestimmt nicht«, verteidigte sich Annemarie, die niemals ein ganz reines Gewissen in Bezug auf ihre Ausdrucksweise hatte. Sie wurde meist erst darauf aufmerksam, wenn ihr ein etwas derberes Wort bei den Kindern wieder entgegentrat.
» Qui s'excuse – s'saccuse, Herzle«, lachte ihr Mann sie aus. »Ursele, gleich kommst mal her!« Das sollte ungeheuer streng klingen, aber es zuckte immer noch belustigt um des Vaters Mund.
Klein-Ursel warf den im Händchen bereitgehaltenen Löffel Sand noch flink dem schreienden Hansi an die Nase und kam dann eiligst herbeigetappelt, fast über die eigenen Beinchen stolpernd.
»So atig – Lein-Usche so atig – – –« rief das Kleinchen schon von weitem, da ihm mit Evasschläue nichts Gutes schwante.
»Ja, furchtbar artig bist du! Wir können es mit deiner Artigkeit kaum noch aushalten.« Annemarie nahm ihr zorngerötetes, sandbeschmiertes und verweintes Nesthäkchen auf den Arm.
»Wo hast das häßliche Wort her, Ursele?« examinierte der gestrenge Vater.
Klein-Ursel hatte offenbar keine Ahnung mehr von irgendeinem Wort.
»Wott«, sagte sie nur getreulich nach.
»Laß doch das Kind, Rudi. Es weiß ja gar nicht, was es gesagt hat. Gewiß hat es das Schimpfwort auf der Straße aufgeschnappt. Es vergißt es wieder.«
»Nein, Annemie, das muß man halt mit Stumpf und Stiel sofort ausrotten«, widersprach der Gatte pedantisch. »Schau, wie leicht kann Ursele derartiges zu einem Fremden sagen, und wie stehen wir beid' dann da mit unserer Kindererziehung! Ursele, schau den Vater an. Wer hat Ochse gesagt?«
»Tater«, teilte das Kleinchen freudestrahlend mit.
Annemarie mußte hell auflachen über Ursels Logik.
»Nein, Ursele, der Vater sagt halt so Häßliches nit. Klein-Ursele darf es auch nimmer sagen, sonst ist Vater ganz bös.« Einer von ihnen mußte doch unbedingt die notwendige Elternstrenge zeigen.
»Tater bösch!« Das war alles, was Rudi mit seiner Pädagogik zum heimlichen Gaudium Annemaries bei ihrem Nesthäkchen ausrichtete.
Mit der Morgenfeststunde der beiden war es nun endgültig für heute vorbei. Ein jedes mußte an seine Arbeit.
»Nun seid brav, ihr Streithammele. Ärgert mir's Mutterli nit.« Mit diesen Worten wollte sich Rudi von seiner kleinen Gesellschaft verabschieden. Aber so einfach war das nicht. Ursel und Hansi umklammerten jeder ein Bein des Vaters mit sandigen Händen. Vronli hängte sich an seinen Arm.
»Vater dableiben – dableiben« – – – jeden Morgen spielte sich dasselbe Manöver ab.
»Meine Manschetten, schau, Vronli, du großes Mädle, jetzt hast mir meine reinen Manschetten schwarz gemacht; nun muß ich mich halt noch einmal umziehen.« Der Vater war ungehalten.
Vronli, die erst ihren Mund in viereckige Heulstellung bringen wollte, besann sich auf halbem Wege eines Besseren. »Dann bleibste wenigstens noch da, Vaterli!« Trotzdem Vronli sonst ganz Rudis Tochter war mit ihrem dunkelblonden, glatten Haar, den grauen Augen und dem schmalen, klugen Gesichtchen, das hatte sie von ihrer Mutter: stets noch etwas Gutes an allem herauszufinden.
»Eine arg große Rechnung habe ich erst gestern für Feinwäsche berappen müssen, und nun macht einem das Schmierfinkle gleich ein Paar neue Manschetten zunicht«, räsonierte Rudi beim Anknöpfen, während Annemarie seine Hosenbeine mit einer Bürste bearbeitete.
Ja, die teure Herrenplättwäsche! Frau Annemarie sandte einen Stoßseufzer in die Lüfte. Einmal hatte sie probiert, selbst daran Hand anzulegen. Aber Rudi hatte ihr Kunstwerk mit Protest zurückgewiesen. Die Kragen schlängelten sich wie Regenwürmer, und die Manschetten glichen einer dickgestandenen Mehlsuppe. Nein, daran wagte sie sich nicht wieder.
So – nun konnte Doktor Hartenstein endlich in die Praxis. Am weißen Gartenstaket standen die drei Blondköpfe, schrien aus Leibeskräften: »Auf Wiedersehn – Tiederdehn« – – – und warfen etwas sandige Kusshändchen hinter dem Vater her. Der nickte, bis er um die Ecke bog, zurück. Sein letzter Blick aber galt der blonden Frau, die ihm von der Veranda nachschaute.
Einen Tag wie alle Tage wiederholte sich das. Die Grüße seiner Lieben begleiteten Rudolf Hartenstein aus seinem traulichen Nest hinein in den Lärm des Großstadtgetriebes, zu Krankheit und Elend, die es zu heilen galt, und machten ihn froh für seinen schweren Beruf. – – –
Der alte Junggeselle, der gegenüber mit seiner griesgrämigen Wirtschafterin eine Dreizimmerwohnung innehatte, beobachtete tagtäglich dieses Familienglück da drüben bei Doktors. Er lächelte über die kleinen Blondköpfe, die immer noch »Auf Wiedersehn« schrien, als der Vater schon längst ihren Blicken entschwunden war. Aber es war ein wehmütiges Lächeln.
Die Hartensteinschen Kinder ahnten nicht, daß für den alten Mann da drüben, vor dem sie alle drei Angst hatten – Klein-Ursel bezeichnete ihn sogar als »Bubumann« –, daß für den ihre hellen Kinderstimmen dasselbe waren, wie die goldene Morgensonne, die seine Behausung und sein altes Herz erwärmte, wie das Vogelgezwitscher, das die tiefe Stille seines einsamen Daseins belebte.
2. Kapitel
Eine Sandtorte
Vronli, Hansi und Ursel liefen den Kiesweg entlang – das heißt, eigentlich lief keins auf demselben, die Kinderfüßchen zogen stets den weichen Rasen vor –, zur Veranda ging es im Trab, laut rufend, daß man es über die ganze Straße hinweg hörte:
»Muttißen, backen wir nu Tuchen?«
Eine ganze Weile mußten sie sich noch gedulden, die drei. Erst hatte Mutti die tägliche Morgenarbeit noch zu erledigen. Betten machen – wie oft mußte Annemarie lächelnd daran denken, als sie dieses Kunststück zum erstenmal in Tübingen in ihrer Studentenbude so kunstgerecht zustande gebracht hatte, daß die Freundinnen lachend ihr Bett mit seinen Hügelchen und Schluchten »die Schwäbische