Else Ury

Nesthäkchen und ihre Küken


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Ilse. »Für mich hat er nichts als dumme Neckereien. Mich nimmt er nicht ernst.« Ein merkwürdiges Gefühl gegen die Cousine, mit der sie ein Herz und eine Seele war, stieg in Ilse empor. Niemals hatte Ilse zuvor Eifersucht empfunden. Aber jetzt brannte das in der Brust da drinnen, brannte in den Augen, daß Ilse jeden Augenblick fürchtete, die Tränen nicht länger zurückhalten zu können. Herrgott, sie war doch kein dummes Gör mehr. Schämte sie sich, eine Sprachlehrerin in den Oberklassen des Mädchenlyzeums, denn gar nicht, sich so kindisch wie die Backfische zu benehmen, die sie unterrichtete?

      Tante Albertinchens stereotypes: »Ei, Annemiechen, du bist noch auf?« war endlich auf fruchtbaren Boden gefallen. Vronli mußte unweigerlich ins Bett. Annemarie hatte ihr schlafendes Nesthäkchen bereits überseite gebracht.

      »Tante Ilse soll mitkommen!« Ilse Hermann war ganz besonders beliebt in der Hartensteinschen Kinderstube.

      Ilse begrüßte Vronlis Bitte wie eine Erlösung.

      Aber auch Hansi hatte seine Wünsche, trotzdem ihm die Augen fast zufielen. »Ontel Tlaus soll mit.« So kam es, daß an einem Kinderbettchen Ilse mit Vronli betete, während in dem anderen Onkel Klaus dem dicken Hansi noch flink Kobolzschießen beibrachte.

      Wie liebevoll mütterlich Ilse Hermann mit dem Vronli zu sprechen verstand. Und der sollte es damit ernst sein, daß sie froh war, weder Mann noch Kinder zu haben, daß sie sich ihrer Unabhängigkeit freute? Hahaha! – – Klaus mußte vor sich hinlachen, da kannte er sie entschieden besser.

      »Na, Ilschen, wollen wir uns wieder vertragen?« fragte er, als sie zum Wohnzimmer zurückschritten. »Wenn du hübsch abbittest, sollen dir deine unüberlegten Äußerungen verziehen sein.«

      Er machte sich schon wieder über sie lustig. Zu Marlene würde er niemals so zu sprechen wagen. Diese letzte Überlegung machte Ilses Ton wieder schärfer, als dies sonst wohl der Fall gewesen.

      »Laß deine kindischen Bemerkungen! Du scheinst nur noch an den Verkehr mit Bauernmädeln gewöhnt zu sein, nicht an den mit Damen.«

      »Du überschätzt mich, kleine Kratzbürste. Ich verkehre jetzt nur noch mit Rindviechern und Gänsen.« Klaus amüsierte sich innerlich über die »kleine Kratzbürste«, während Ilse sich vor Ärger die Lippen blutig biß.

      Drinnen war man inzwischen zur Musik übergegangen. Tante Albertinchen, die jetzt nicht mehr mit Essen beschäftigt war und im Lehnstuhl ein kleines Nickerchen machte, flötete in holden Schnarchtönen. Rudolf saß am Klavier und begleitete seine Schwester Ola, die das Beethovensche Lied »Ich liebe dich, so wie du mich« mit weicher Altstimme sang.

      Als sie geendet, hatten sich die Paare verschoben. Annemarie hatte den Arm um ihren Mann geschlungen, Ola lehnte den Kopf an die Schulter von Hans. Klaus stand zwischen Marlene und Ilse.

      »Ein wundervolles Lied, nicht, Marlene? ›Da war kein Tag, wo du und ich nicht teilten unsere Sorgen‹ – welch tiefe innige Gemeinschaft liegt sowohl in den Worten wie in der Musik. ›Unabhängige Frauen‹ können das wohl nicht nachempfinden?«

      »Erst recht, Klaus. Wenn eine unabhängige Frau ihre Selbständigkeit aufgibt, um einem Manne zu folgen, wird die Gemeinschaft und Kameradschaft nur um so fester sein«, ereiferte sich Marlene. »Meinst du nicht auch, Ilse?«

      »Ich weiß nicht, ich kann mich da überhaupt nicht hineindenken.« Ilse wandte sich schnell ab.

      Während Vera ein polnisches Volkslied, das sie noch von der Mutter her kannte, vortrug, trat Ilse zur Veranda hinaus. War es noch das Beethovensche Lied oder die Worte von Klaus, was ihr die Tränen in die Augen trieb?

      »Jotte doch, hab' ick ma aber verschreckt! Sind Se mondsichtig, Fräulein Ilseken, oder valiebt?« Hanne, welche die Speisenreste auf der Veranda kühl aufbewahren wollte, fuhr entsetzt zurück. »Kommen Se man wieder mit rin in de jute Stube. Es is ieberhaupt Zeit, daß wa uns uff de Sockens machen. Dokters brauchen Ruhe. Was er is, rennt so 'n janzen Tag in Praxis rum. Und was unse jnädije Frau Jroßmamachen is, is heit' ooch keen Jingling nich mehr. Flora'n hab' ick ooch schon 'n paarmal munter jerittelt, die klappt wie 'n schieliger Schellfisch mit de Oogen mitten bei's Abdrocknen. Ick jeh jetzt – nu is jenug mit de Musike!« Letzteres verkündete Hanne laut und ungeniert mitten hinein in den »Wanderer«, den Rudolf soeben sang.

      »Wenn ich den Wanderer frage, wo gehst du hin?

      Nach Hause – nach Hause – – –«

      »Jawoll, Herr Dokter, wa jehen ja schon nach Hause. Hier bring' ick bereits de Sachen.« Rudolf konnte vor Lachen nicht weiter singen.

      Annemarie schimpfte lachend, daß Hanne ihr die Gäste vertreibe. Aber Großmama war in der Tat kein Jüngling mehr und hatte noch einen Weg von einer Stunde vor sich.

      So machte man sich wirklich »auf die Socken«. Rudolf und Annemarie gaben den lieben Gästen wie stets das Geleit bis zur Elektrischen.

      Klaus ließ es sich, trotz Ilses Protestes, nicht nehmen, die beiden Cousinen nach Hause zu bringen, während Peter ritterlich Vera und Margot begleitete.

      Marlene und Klaus trugen die Kosten der Unterhaltung. Ilse trabte – ihrer sonstigen Natur ganz entgegen – schweigsam nebenher.

      »Schläfst du schon, Ilse?« Marlene gab ihr einen aufmunternden Puff.

      »Laß mich – ich bin abgespannt!«

      »Ich habe das Pech, bei Fräulein Oberlehrer heute ein schlechtes Zeugnis zu bekommen«, zog Klaus sie auf. »Aber ich sammle glühende Kohlen auf ihren blonden Scheitel. Wenn ich erst das Gut habe und die Kuh – die Frau ist nicht unbedingt nötig – lade ich euch mit Annemarie zusammen für die Sommerferien ein. Dich, Marlene, und deinen getreuen Schatten.«

      »Ich will keinen Schatten auf euren Weg werfen, – auf mich brauchst du nicht zu rechnen – gute Nacht!« Da hatte Ilse auch schon die Haustür aufgeschlossen und ebenso schnell wieder zugeschlagen. Sie hörte noch Marlenes erstauntes: »Ja, was hat denn die Ilse heute bloß?«, und das Lachen von Klaus: »Kleine Kratzbürste!«

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