war verletzt und brauchte die 5-6 Liter menschlichen Bluts zur Regeneration seiner Wunden. Doch die Zeiten haben sich geändert. Kein Vampir muss heutzutage noch einem Hals hinterherjagen. Auch wir leben heute in Zeiten des Tetrapaks. Wir neuzeitlichen Vampire beziehen Blut von Freiwilligen Spendern, die entweder das Geld brauchen, oder einfach für einen guten Zweck spenden. Und wenn ihr mich fragt, ist es ein überaus nützlicher Zweck, wenn sie zur Ader gelassen werden. Das Blut ist klinisch untersucht und frei von Keimen oder Erregern. Im Gegensatz zum Finsteren Mittelalter, wo die Pestilenz wahre Feste feierte. Und das ist in meinen Augen der größte Fortschritt. Nie wieder ungewaschene Hälse, die nach Schweiß oder ungewaschener Haut riechen und auch dementsprechend schmecken. Der Nachteil besteht nur darin, dass man seine überschüssige Energie nun durch andere Tätigkeiten abbauen muss. Auch der Kick bei der Jagd, das Adrenalin und die Furcht in den Augen deines Opfers, gehen durch diese Ernährungsweise flöten. Doch was tut man nicht alles, um des lieben Friedens wegen, und der Zivilisation?...
»Papa? Haben Fische eigentlich Schmerzen?«, fragte Agnir nachdenklich.
»Woher soll ich das wissen? Bisher hat mir noch kein Fisch auf diese Frage geantwortet. Aber ich glaube nicht, sonst würden sie schreien, wenn sie an der Angel hängen«, philosophierte ich wagemutig.
»Hm, stimmt auch wieder!«, nickte mein Sohn zufrieden und tauchte wieder ab.
Blieb zu hoffen, dass er seiner Mutter nicht die gleiche Frage stellte. Sie wüsste höchstwahrscheinlich die richtige Antwort darauf und würde mich somit als Dummkopf entlarven. Nachdem Agnir seinen zweiten Karpfen erlegte, musste ich ihn ein wenig ausbremsen. Sonst würden die Angler, die ihre Rute ins Wasser hielten, nur noch Würmer baden.
»Das hast du sehr gut gemacht, Agnir. Ich bin sehr stolz auf dich. Es reicht jetzt. Wer soll die alle essen, hm? Die zwei bereiten wir heute Abend zu, und den anderen stecken wir in die Kühltruhe, was meinst du?«
»Okay! Wenn wir mit dem Boot fahren, dann darf ich wieder Fische jagen? Im Meer?«, hakte er nach.
»Klar, soviel wie du jagen kannst. Aber bitte keine Seesterne. Die finde ich einfach widerlich!«, grinste ich und legte ihm ein trockenes Badetuch um. »So, wenn du dich abgetrocknet hast, dann zieh dir schnell deine trockene Sachen an. Eine neue Unterhose ist in der Jutetasche. Ich will keinen Ärger mit Nana oder deiner Mama bekommen, klar? Zwar weiß ich nicht, ob du dich erkälten kannst, aber das wollen wir doch nicht ausprobieren, oder?«
Brav nickte Agnir und folgte meinem Rat.
Mich unterdessen, überkam ein seltsames Gefühl. In meinem Schädel ging sofort eine rote Lampe mit der Aufschrift »Alarm« an. Aufmerksam musterte ich die Umgebung, leuchtete jeden Baum und jeden Busch ab. Etwas stimmte nicht. Irgendjemand beobachtete uns. Gerade als ich mich weiter aufmerksam umblickte, kam eine kleine Radlerin angefahren und es ertönte eine Fahrradklingel. Auch Sascha unterlag der Helmpflicht beim Radfahren, nur trug sie einen Reithelm auf dem Kopf. Ihre Füße steckten in Reitstiefeln und die Gerte wippte lustig über den Gepäckträger hinaus. Rasant ging sie in die Bremse, sodass der Kies während ihres gewagten Drifts, heftig aufspritzte.
»Hey, Ragnor! Nana sagte mir schon, dass du wieder da bist. Hallo Agnir. Na? Ward ihr schwimmen?«, grinste sie keck. Obwohl Sascha jetzt meine Adoptivtochter ist, nennt sie mich immer noch beim Vornamen. Das fand ich soweit okay. Niemals würde ich sie dazu zwingen, zu mir »Papa« zu sagen. Saschas Vater fiel während des Krieges in Afghanistan. Und da ich nun mal nicht ihr richtiger Vater bin, soll sie mich weiterhin nennen, wie sie es gewöhnt ist.
»Hallo Sascha. Nein, wir waren Fische fangen«, hielt ich unsere Ausbeute hoch.
»Aha... Die armen Fische. Aber wenn sie schon hin sind... Kochst du heute Abend für uns?«, fragte sie neugierig.
»Klar, wenn ich schon mal wieder hier bin. Aber dann darfst du dich bis dahin auch nicht mehr mit Süßigkeiten vollstopfen. Okay?«
»Nee, das würde Nana schon nicht zulassen. Was gibt es denn?«
»Katzenscheiße mit Reis!«, schnappte ich.
»Ieeehhhh Reis!«, lachte Sascha und wollte wieder in die Pedalen treten.
»Warte mal, du fährst doch jetzt sowieso nach Hause, oder? Vergiss nicht, dir die Hände zu waschen, du riechst fürchterlich nach Pferd! Ach ja, begleite doch deinen Bruder nach Hause, ich habe hier noch etwas zu tun. Bist du so lieb?«
»Kein Problem, aber die Fische trägt er!«, rümpfte sie die Nase.
»Sicher, die wird er wohl kaum freiwillig wieder hergeben«, winkte ich ab. »Wir sehen und später. Und geht zu Fuß, alles klar?« Die beiden nickten einhellig, als wären sie ein Wesen mit zwei Köpfen. Sascha liebt ihren kleinen und ungewöhnlichen Bruder. Und er vergöttert seine Schwester. Trotzdem kommt es auch bei ihnen immer wieder zu Unstimmigkeiten. Aber das ist wohl völlig normal. Winkend entfernten sie sich von mir. Als sie meinten, nicht mehr beobachtet zu werden, ließ Sascha ihren Bruder auf dem Gepäckträger Platz nehmen und eierte mit ihm davon. So ein kleines Biest. Dabei trug Agnir nicht mal seinen Helm... Doch je eher sie diesen Ort verließen, desto besser. Unauffällig schlenderte ich an einem Baum entlang, drehte mich blitzschnell um und rüttelte so heftig daran, dass nicht nur Zweige, Blüten und Blätter herabfielen, sondern auch eine dunkel gewandete Person, die mir zu Füßen stürzte. Der Aufprall verlief ziemlich heftig. Der Bösewicht hielt seine Aura versteckt und der schwarze Kapuzenumhang umhüllte seine Gestalt. Der Kerl war nicht sonderlich groß, doch wenn jemand meine Familie so ausdauernd ausspähte, führte er nichts Gutes im Schilde. Wütend riss ich den Unbekannten auf die Beine, damit ich ihm nicht nur ins Gesicht sehen, sondern auch notfalls hineinschlagen konnte.
Leicht wie eine Feder, katapultierte er fast davon, wenn ich ihn nicht so fest gepackt hätte. Dabei riss ihm der Schwung die Kapuze aus dem Gesicht.
»Was?... Du?...«, entfuhr es mir und ließ die Faust sinken. Es schickt sich nicht, einer Frau ins Gesicht zu schlagen. Obwohl diese Person es allemal verdient hätte. Giftig betrachtete sie mich aus vielfarbigen Augen.
»Warum nicht? Es hat Jahre gedauert diesen Laden hier aufzustöbern!«, strampelte sie mit den Beinen in der Luft. »Würdest du mich gefälligst wieder absetzen?!«
Herrgott nochmal... Die Vergangenheit hat einen verdammt langen Arm. Immer wenn du meinst, du hättest sie hinter dir gelassen, tippt sie dich von hinten wieder an und macht dir begreifbar, sie könne dich jederzeit wieder einholen. Dieses dürre, struppige Wesen brachte mir schon mehr als einmal tierischen Ärger ein. Und ich wünschte mir, ich hätte sie niemals kennengelernt. Leider lässt sich das nicht bewerkstelligen, es sei denn, ich würde sie hier auf der Stelle umbringen und spontan beschließen, unter heftigem Gedächtnisschwund zu leiden.
»Du warst das in Jodhpur, habe ich recht?«, fragte ich und setzte sie unsanft ab. Woraufhin sie das Gleichgewicht verlor und auf allen Vieren landete. Typisch. Sie ist noch immer so tollpatschig wie früher. Einige Dinge ändern sich eben nie.
»Ja, ich suche meinen Schöpfer schon seit Jahren. Ich konnte seine schwache Aura in Jodhpur ausmachen«, rappelte sie sich wieder in die Senkrechte. »Nur kam ich da nicht weiter und lungerte ein wenig herum, in der Hoffnung, seine Spur wieder aufnehmen zu können. Tja, und dann spürte ich ihn am Flughafen auf. Leider war ich ein wenig zu spät dran. Das Problem war nicht ich, sondern das Flughafenpersonal. Sie ergriffen mich, als ich zum Flieger wollte. Nachdem ich mich aus meiner misslichen Situation freikämpfen konnte, flog euer Jet bereits ab.
»Dann bist du gar nicht wegen mir hier?«, fragte ich erstaunt.
»Warum sollte ich? Wir konnten uns doch noch nie besonders gut leiden, oder? Und hast du nicht schon genug Unheil angerichtet? Dir haben wir es doch zu verdanken, an den Rand der Ausrottung getrieben worden zu sein. Und ich bin ernsthaft entsetzt, zu sehen, wie gut es dir geht! Du solltest eigentlich tot sein! Ist Cornelius hier irgendwo?«, fragte sie wütend, putzte sich sauber und sah sich um.
… Jetzt muss ich mal ein wenig ausgreifen. Diese kleine, dürre Frau, deren Hals so dünn ist, dass ich gerne dem Würgereflex meiner Hände nachgeben würde, ist Esther. Sie ist das stoffelige Geschöpf von Cornelius. Eigentlich