einer Brust reden kann, eine ziemlich ausgeprägte, knochige Hühnerbrust. Tja, leider musste die arme Esther notgedrungen eine Weile ohne ihren Schöpfer auskommen, weil ich Cornelius damals in der Michealer-Burg festgesetzt hatte. Denn ihn brauchte ich dafür, um meinen verhassten Dienstherren, Lord Seraphim, aus dem Weg zu räumen. Somit hätte meine damalige Frau, die Tochter des Lords, an die Macht kommen können. Dabei brauchte ich eher das, was Connie damals vor mir so dringend verbergen wollte. Er war im Besitz eines Schwerts, mit dem sich der Bann eines Schutzamuletts brechen ließ. Dieses Schutzamulett war der ständige Begleiter Lord Seraphims, meines Dienstherren und Schwiegervaters, und es machte ihn unverwundbar. Connie wusste als einziger, wo sich das Schwert befand, weil er es zu meinem Schöpfer bringen sollte, der einen Attentäter damit loszuschicken beabsichtigte. Doch als wir vom Michaeler-Orden ihn ergriffen, trug er das Schwert Hellbent leider nicht mehr bei sich. Prinzipiell verfolgten wir ja beide das gleiche Ziel. Nur wollte Connie mir auf Gedeih und Verderb dieses mächtige Artefakt nicht aushändigen, weil ich dummerweise für die feindliche Seite arbeitete. Wahrscheinlich war es wieder so ein Kommunikationsproblem zwischen uns. Und da er mit der Sprache nicht herausrücken wollte, hielt ich ihn gefangen und bearbeitete ihn ein wenig, damit er mir das Versteck des Schwerts preisgab. Das tat er aber trotz Folter und Drangsal nicht. Darum blieb er recht lange mein persönlicher Gast in der Festung und ich versuchte wirklich alles, um ihm dieses Enigma zu entlocken. Zu guter Letzt kam mir dann auch noch diese dappige Esther in die Quere. Nur hatte sie keine Ahnung, was sie da bei sich trug – nämlich das so lange gesuchte Objekt! Es gelang mir, sie zu überlisten und in den Besitz des Schwerts zu gelangen. Was mir aber auch nicht unbedingt Glück brachte, weil ich das Attentat nicht zu Ende ausführen konnte. Oder, eher schmeichelhaft ausgedrückt: Ich wurde von jemandem aus den eigenen Reihen verraten und landete wegen Hochverrats im Kerker. Zum Glück wurde ich mit Hilfe meines Schwagers Cedric befreit. Doch alles haarklein zu erklären, würde zu viel Raum einnehmen. Letztendlich habe ich dem dämonischem Lord doch noch den Garaus gemacht.
Dass Cornelius überhaupt jemanden gewandelt hatte, davon hatte ich jedoch keine Ahnung. Soweit man mir erzählte, hatte Esther im Grunde auch keinen blassen Dunst von der Identität ihres Schöpfers, als sie damals in eine Vampirin verwandelt wurde. Sie erwachte mutterseelenallein in einem Turm und fragte sich, wer sie eigentlich war. Auch fragte sie sich, was sie war. Esther fand lediglich einen Brief ihres Schöpfers, der ihr bestätigte, bald wieder bei ihr zu sein. Ähem, das war vielleicht Connies Plan, doch er wurde unterwegs eben von mir aufgegriffen und inhaftiert.
… Connie und nicht der Plan! Muss ich denn hier auch noch Erbsen zählen?...
Irgendwann hielt es Esther nicht mehr in ihrem einsamen Versteck aus und machte sich auf die Suche, um ihren Schöpfer ausfindig zu machen. Als sie die Wahrheit erfuhr, war sie natürlich nicht gerade davon angetan. Nachdem Cornelius endlich aus der Haft entlassen wurde, petzte er bei unserem Schöpfer, der mir daraufhin eine ziemliche böse Standpauke hielt, und für Tage sichtbar, das Monogramm seiner Pranke im Gesicht vermachte. Jetzt, so im Nachhinein betrachtet, bin ich nochmal mit einem blauen Auge davongekommen. Selbstredend ist klar, ich bin nicht unbedingt Esthers Lieblingsonkel. Aber, dass sie jetzt ausgerechnet auftauchen musste, um ihrem Schöpfer kostbare Zeit zu stehlen, die er eigentlich dringend benötigt, um meinen Sohn zu unterrichten, das stank mir schon gewaltig. Deshalb brachte es mich auf eine geniale Idee...
»Na, na! Esther! Ich habe ja wohl für die Ermordung des Lords gebüßt. Immerhin war ich über 600 Jahre tot. Aber, das ist doch Schnee von gestern. Hey, ich habe mich geändert!«, versuchte ich es auf die zarte Tour.
»Ja, kann schon sein, aber ich traue dir trotzdem nicht. Hm, du bist jetzt wohl ›Der nette Massenmörder aus der Nachbarschaft‹, wie? War das dein Junge? Er nannte dich im Gegensatz zu dem Mädchen ›Papa‹«, meinte Esther schon etwas versöhnlicher. Sie ist ganz verrückt nach Kindern. Also, nicht als Bereicherung ihres Speiseplans, nein, ganz im Allgemeinen.
»Ja, Agnir ist mein Sohn, das Mädchen, Sascha, ist sozusagen mein Beutekind, sie ist die Tochter meiner Frau.«
»Ich frage mich ernsthaft, wie du das wieder hinbekommen hast. Wieso haben die schrecklichsten Leute, immer die hübschesten und nettesten Kinder?«
Daraufhin konnte ich lediglich nur mit den Achseln zucken.
»Du lässt wohl den Spießer heraushängen, was? Gehst du jetzt auch in die Kirche?«, fragte sie amüsiert schmunzelnd.
»Nee, seit mein Dienstherr mich vom Gottesdienst freistellte, weil ich Goldmünzen in den Kollektebeutel warf und dabei ›Ich schmeiß ´ne Runde für alle!‹ durchs Gebetshaus brüllte, habe ich nie wieder eine Kirche besucht. Wenn doch, dann nur rein beruflich.«
»Ist mir auch egal. Soll halt jeder nach seiner eigenen Fasson selig werden. Aber, du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet. Ist Cornelius dort im Gebäude? Wie komme ich da rein?«, hakte sie nach.
»Äh, ja, er ist da drin. Nur ihn anzuflüstern, das wirst du nicht schaffen. Das Gebäude ist abgeschirmt. Und du kommst schon mal gar nicht dort rein. Du bist keine autorisierte Person. Was sich dort drin befindet, darüber darf ich auch nicht sprechen. Und nein, ich werde da jetzt nicht mit dir reingehen. Wegen dir bekomme ich nur wieder Schwierigkeiten, Mädchen! Ist das klar?«
»Von wegen du hast dich geändert!«, schmollte sie. »Ich habe fast 600 Jahre gebraucht, um meinen Schöpfer Cornelius zu finden, und dann willst du mir nicht mal helfen?«, fauchte sie entrüstet. Zu lustig, wie sehr sich dieses zierliche Persönchen aufregen konnte!
»Jetzt dreh hier mal nicht so an der Orgel, klar? Ich habe nicht gesagt, dass ich dir nicht helfen will! Okay, ich bringe dich da rein. Aber es muss heimlich vonstatten gehen, weil ich keinen Ärger haben will!«
»Warum nicht gleich so?«, nickte sie zufrieden.
Nachdenklich holte ich eine Dose mit Bluttabletten aus meiner Hosentasche, schüttete den Inhalt in meine Hand und ließ ihn wieder in die Tasche verschwinden. Den Pillencontainer hielt ich Esther vor die Nase. »Los, du bist doch Gestaltwandlerin, oder? Na, dann mach es dir dort drin mal bequem, denn darin bringe ich dich ungesehen an den Wachen vorbei ins Gebäude und zu Cornelius. Ist das in Ordnung für dich?«
Misstrauisch betrachtete sie das Gefäß, das die Größe einer Kleinbild-Filmdose besaß.
»Sag bloß nicht, dass du die Gestaltwandlerfähigkeit immer noch nicht richtig drauf hast. Ansonsten müsste ich vermuten, du leidest unter Entwicklungsstörungen!«, provozierte ich sie ein wenig. »Weißt du wie man es nennt, wenn eine Biene einer Zwölfjährigen in die Brust sticht? Nein? Entwicklungshilfe!«, grinste ich die Schmalbrüstige an. »Das hätte sie auch mal bei dir probieren sollen!«
»Du hast einen echt kranken Humor!«, pöbelte Esther zurück. »Und ich habe es sehr wohl drauf!«, sprach´s wütend und verwandelte sich in einen Marienkäfer, der zuerst auf dem Rand der Dose landete, um anschließend gemächlich hinein zu krabbeln. Schleunigst setzte ich den Deckel drauf und verdrehte die Augen. »Esther, Esther! Du bist immer noch so naiv wie früher! Nicht mal der dämliche Wilbur fällt auf diesen alten Trick rein! Du durchkreuzt nicht noch mal ungestraft meine Pläne! Cornelius ist ein vielbeschäftigter Mann und hat keine Zeit für seine Versager-Tochter!«
Wenn Esther einfach unverhofft auftaucht, lenkt sie Cornelius nur von seiner Arbeit ab. Vielleicht würde er mit ihr weggehen und unsere Organisation verlassen. Nein, das konnte ich nicht zulassen. Nicht jetzt, wo Agnir von ihm unterrichtet werden sollte.
Diese Esther war schon immer ein einziges Ärgernis! Unschlüssig, wie ich weiter mit ihr verfahren sollte, steckte ich die Dose zurück in die Hosentasche. Über dieses Problem wollte ich mir später Gedanken machen. Zuerst musste ich meiner Familie ein nettes Abendessen kochen, und nachdem die Kinder im Bett lagen, kämen noch die Jungs zum Pokern vorbei. Heute ist Mittwoch, da pokerten wir immer bei mir.
Vielleicht musste ich Esther tatsächlich recht geben und mutierte langsam zu einem Spießer. Aber wünschen wir uns nicht alle ein wenig Normalität und geregelte Bahnen, geordnet nach Uhrzeit? Seit Menschengedenken halten wir uns an gewisse Abläufe. Sie machen uns klar, dass wir unser Leben fest im Griff haben, und nicht mehr das wilde Tier draußen vor der