Hans Herrmann

Teufelskraut


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auszusetzen, Donnerwetterchen nochmal. Ich bin stolz auf dich. Wir alle sind stolz auf dich.“

      Er griff wieder nach der Pfeife, zündete sie an, paffte, schwieg und lächelte zufrieden. Wie die meisten Menschen hier im Emmental war er kein Mann der grossen Worte.

      Sie winkte bescheiden ab. „Nun übertreib’s mal nicht mit deinem Lob“, sagte sie. „Und wie geht’s denn dir? Besucht dich in der Nacht noch immer das Toggeli?“

      Das Toggeli war jenes unheimliche Wesen, von dem sich die älteren Leute an langen Winterabenden erzählten und von dem es hiess, es setze sich nachts den Schläfern auf die Brust und raube ihnen den Atem. Manche Leute würden dabei laut schreiend erwachen.

      „In letzter Zeit nicht mehr so oft“, antwortete der Grossvater. „Und jetzt, wo du wieder da bist, verschwindet es vielleicht ganz, wer weiss. Es könnte ja sein, dass es sich vor Leuten aus der Stadt fürchtet.“ Der Grossvater zwinkerte vergnügt.

      Kathrin zwinkerte zurück. „Ja, das ist durchaus denkbar – vor allem, wenn es sich bei den Leuten aus der Stadt um junge Lehrerinnen handelt. Das Toggeli hält solche Personen für zauberkundige Hexen und fürchtet sie entsprechend. – Sag, Grossvater, wo sind eigentlich die anderen?“

      „Dein Vater und dein Bruder sind im Wald beim Holzen, und die Mutter bringt ihnen gerade das Zvieribrot. Sie wird wohl bald wieder zurück sein.“

      „Ach, ich freue mich ja so. Du, ich gehe jetzt zurück ins Haus, ich muss doch mein Zimmer möglichst schnell wieder in Besitz nehmen.“

      „Ja, tu das. Deine Mutter hat gestern alles vorbereitet.“

      „Wie lieb von ihr. Bis später dann.“

      Kathrin begab sich ins Obergeschoss und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer, das eigentlich mehr ein Kämmerchen denn ein ausgewachsenes Zimmer war. Aber hier hatte sie schon immer gehaust, es war ihr privates Reich, ein Refugium, in dem sie ihre Kinderspiele gespielt, ihre Mädchenträume geträumt, ihre Trauer ausgeweint und ihre Freude ausgelebt hatte.

      Ein vertrauter Geruch schlug ihr entgegen, eine Mischung aus jahrhundertealtem Holz, Stroh, Rauch, Leder, Erde und den betörenden Aromen der Jahreszeiten, die sich in den schweren Tragbalken der Decke verfangen und unauslöschlich eingeprägt hatten.

      Kathrin stellte ihre Tasche auf dem dicken Teppich ab und warf sich, ohne die Winterjacke auszuziehen, aufs Bett.

      Die Mutter war tätig gewesen, hatte das Bett frisch angezogen, die drei Fensterchen, die vom herabhängenden Krüppelwalm teilweise beschattet wurden, blitzblank geputzt, den Boden gebohnert und den massiven Holztisch mit einem Blumenstrauss geschmückt. Sie hatte wirklich an alles gedacht, sogar den gläsernen Schirm der Nachttischlampe, dem ein Stück fehlte, seit Kathrin fünfzehn war, ersetzen lassen.

      Kathrin schloss die Augen und atmete tief ein. Ein seliges Lächeln umspielte ihr Gesicht. Sie war wieder zu Hause.

      Kapitel 2

      Das währschafte Nachtessen hatte herrlich gemundet. Nun sass die Familie beim Kaffee. In der gemütlichen Stube mit der tiefen Holzdecke und den alten Bildern an den Wänden herrschte ein friedvolles Schweigen. Der Grossvater stopfte sich bedächtig eine Pfeife.

      Das Wiedersehen lag bereits ein paar Stunden zurück. Zuerst war die Mutter aus dem Wald zurückgekehrt, hatte Kathrin gerührt an sich gedrückt und unter Freudentränen gesagt:

      „So, mein kleines Mädchen, jetzt hab ich dich wieder, und so schnell geb ich dich nicht mehr her.“

      „Das werden wir ja sehen“, erwiderte Kathrin lächelnd.

      Später waren ihr drei Jahre älterer Bruder Toni und der Vater eingetroffen und hatten, jeder auf seine Art, die Heimgekehrte ebenfalls begrüsst, der Vater mit einem kräftigen, warmen Händedruck, der Bruder mit einem gutmütigen Rippenstoss und der Bemerkung:

      „So, sieht man sich auch einmal wieder? Du, mach bloss nicht, dass dir vor lauter schulmeisterlichem Hochmut die Nase über den Kopf hinauswächst, sonst könnte man dich hier nur noch als Blitzableiter brauchen.“

      Sie knuffte zurück und sagte: „Von wegen schulmeisterlichem Hochmut. Sei froh, dass ich zurück bin, dann bringt dir endlich jemand Manieren bei.“

      In der Stube hing noch immer jeder seinen Gedanken nach. Kathrin nahm einen Schluck Kaffee und schaute dem Grossvater zu, der seine Pfeife anzündete und genussvoll begann, blaue Wölkchen in die Stube zu paffen.

      Sie dachte an ihre Anstellung, die sie in einer Woche antreten würde. Sie übernahm die erste bis sechste Klasse; die älteren Schüler von der siebten bis neunten Klasse dagegen waren in der Obhut eines männlichen Kollegen. Ob das der alte Balsiger sein würde? Ihre Erinnerungen an die Dorfschule waren untrennbar mit dem etwas kauzigen, aber liebenswürdigen und unendlich geduldigen Herrn verbunden, der bereits ihre Eltern unterrichtet hatte und bei dem auch sie zur Schule gegangen war. Die Vorstellung, nun womöglich die Kollegin ihres ehemaligen Lehrers zu werden, dünkte sie ziemlich spassig.

      „Ist der alte Balsiger noch da?“, fragte sie unvermittelt in das Schweigen hinein.

      „Nein, er ist vor einem Jahr pensioniert worden und ist weggezogen, ich glaube, in ein Häuschen am Thunersee“, sagte Toni und setzte die riesige Kaffeetasse an die Lippen. „Jetzt ist ein Neuer da, ein Junger.“

      „So? Wie heisst er denn?“

      „Weiss ich nicht mehr, hab’s vergessen. Er hat so einen komischen Namen, keinen einheimischen jedenfalls.“ Toni überlegte angestrengt. „Holm… Helmen… Ach, ich komme nicht darauf.“

      „Helmstedt heisst er, Klaus Helmstedt“, kam ihm die Mutter zu Hilfe.

      „Helmstedt? Das tönt in der Tat nicht sehr emmentalisch“, sagte Kathrin.

      „Ist es auch nicht“, mischte sich der Vater ein. „Das ist ein deutscher Name. Die Eltern Helmstedt stammen aus Deutschland, wie man hört. Sie sind irgendwann in den Sechzigerjahren in die Schweiz gezogen, nach Bern. Dort ist Klaus zur Welt gekommen. Er spricht Berndeutsch wie jeder andere auch, du wirst mit ihm also nicht Hochdeutsch zu reden brauchen.“

      „Na, so schlimm wäre das nun auch wieder nicht. Schliesslich haben wir an der PH fast nur Hochdeutsch gesprochen.“

      „Er ist ein angenehmer junger Mann, geradlinig, bescheiden und aufrichtig, soweit ich es beurteilen kann“, sagte die Mutter. „Er wird dir gefallen.“

      „Gefallen muss er mir ja nun nicht gerade. Eigentlich genügt es, wenn wir zusammen einigermassen auskommen.“

      „Wer weiss? Vielleicht gefällt er dir ja doch. Es ist etwas Nobles an ihm. Man munkelt, seine Eltern seien adeliger Abstammung, und zum Familienbesitz gehöre irgendwo in Deutschland ein Schloss.“

      „Zufällig weiss ich, dass er noch zu haben ist“, schmunzelte der Grossvater und zwinkerte Kathrin zu.

      „Falls ihr meint, ihr könntet mich mit diesem deutschen Märchenprinzen verkuppeln, dann täuscht ihr euch gewaltig“, sagte Kathrin und drohte scherzhaft mit dem Finger. „Ihr müsst nämlich wissen, dass ich bereits vergeben bin.“

      Die Mutter sah sie erstaunt an. „Was hört man da? Du hast einen Freund und hast uns nie von ihm berichtet? Was sind das aber auch für Sitten. Bekommen wir ihn vielleicht einmal zu sehen?“

      Kathrin senkte schuldbewusst den Blick. „Nun reagier doch nicht gleich so eingeschnappt. Er heisst Rolf Graber und wohnt in Bern. Ich habe ihn euch nicht aus bösem Willen verheimlicht. Es ist nur so, dass er in manchen Dingen etwas eigenwillig ist. Ich habe ihn zum Beispiel bis jetzt noch nicht dazu überreden können, einmal mit mir hierher zu kommen. Er ist in der Stadt aufgewachsen und hat nicht den Familiensinn, wie wir ihn auf dem Land haben. Deswegen ist er aber noch lange kein übler Bursche.“

      „Warum will er sich denn nicht zeigen? Hat mein künftiger Schwiegersohn etwas zu verbergen?“ Der Vater sprach ernst.