Hans Herrmann

Teufelskraut


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nehmt es mir bitte nicht übel, aber heute denkt man nicht gleich ans Heiraten und Kinder kriegen, wenn man einen Freund hat.“

      „Mag sein“, erwiderte der Vater. „Wir wollen’s vorläufig gut sein lassen. In der Stadt läuft eben manches anders als bei uns auf dem Land, und das ist vermutlich auch gut so. Wie auch immer: Er ist bei uns jederzeit willkommen, falls er uns einmal besuchen möchte.“

      „Ich weiss“, sagte Kathrin. „Danke – und entschuldigt bitte. Ich hätte euch von ihm erzählen sollen. Vielleicht war ich einfach zu lange fort, um noch an solche Dinge zu denken. Von Bern nach hier ist es zwar nicht weit, aber dazwischen liegen Welten. So ist es mir jedenfalls vorgekommen.“

      Der Grossvater nahm die Pfeife aus dem Mund und sagte:

      „Es geschieht zuweilen, dass Kinder erwachsen werden. Und eines Tages nicht mehr alles mit den Eltern teilen wollen. Ja, das kommt vor. Ich habs selber erlebt. Einmal als Sohn. Und einmal als Vater. Meine Lieben, ihr wisst doch auch, wie das ist. Denkt einmal darüber nach. – So. Und nun möchte ich noch einen Schluck Kaffee. Du braust den besten Kaffee weit und breit, meine verehrte Schwiegertochter. Mit Ausnahme der Grossmutter, die nun freilich den Engeln Kaffee kocht.“ Er hielt Kathrins Mutter die Tasse hin.

      Kathrin war dem Grossvater dankbar. Er hatte den Bann gebrochen, die Anspannung in der Atmosphäre gelöst.

      Trotzdem war ihr noch immer ein wenig unbehaglich zu Mute.

      Kapitel 3

      Kathrin trat ins Lehrerzimmer, stellte einen Stapel Hefte auf dem Tisch ab und setzte die Kaffeemaschine in Betrieb. Vier Uhr nachmittags. Die Schule war aus – Schluss für heute.

      Die junge Frau arbeitete jetzt schon seit dreieinhalb Wochen hier und hatte sich gut eingelebt. Bereits kam es ihr vor, als habe sie nie etwas anderes getan, als im Dorf zu unterrichten. Die Kinder waren nett, die Eltern auch, und das Schulhaus war mit zeitgemässen Lehrmitteln erstaunlich gut ausgestattet.

      Die Tür ging auf.

      „Hallo Kathrin. So, das hätten wir wieder einmal geschafft.“ Dann ein Schnuppern. „Mmm, wie riecht das hier aber fein nach Kaffee. Du, schenkst du mir bitte auch gleich eine Tasse ein, wenn du schon dabei bist?“

      Das war Klaus, ihr Kollege. Er liess seine Mappe mit jungenhaftem Schwung auf den Tisch plumpsen, öffnete sie, entnahm ihr verschiedene Papiere, setzte sich und begann, die Unterlagen zu studieren.

      Kathrin hatte sich mit ihm bereits vom ersten Augenblick an gut verstanden. Er war höflich und bescheiden, ohne langweilig zu sein; er interessierte sich für viele Gebiete, las gerne Bücher, befasste sich mit geschichtlichen Themen und hatte einen Hang zur Romantik. Er strahlte etwas Gefasstes, ungekünstelt Aristokratisches aus. Zuweilen kam ihn aber eine lausbübische Anwandlung an, die Kathrin an ihm besonders mochte, weil dann ein unbeschwerter, kindlicher Schalk aus seinen Augen blitzte.

      „Hier, dein Kaffee.“

      Kathrin stellte die Tasse vor ihm ab.

      Er sah kurz auf. „Danke, das ist lieb“, sagte er und vertiefte sich sofort wieder in seine Papiere.

      „Gern geschehen.“

      Kathrin setzte sich auf ihren Platz ihm gegenüber. Sie sah ihm zu, wie er in seinen Unterlagen las und dazu am Kaffee nippte. Ihr wurde zum ersten Mal richtig bewusst, dass ihr 28-jähriger Kollege ein gut aussehender Mann war.

      Er war ungefähr einsfünfundachzig gross und von eleganter Statur. Das halblang geschnittene Haar trug er locker nach hinten gekämmt. Hell leuchteten seine auffallend blauen Augen. Sie standen in eigenwilligem Kontrast zum Dunkel seiner Haare und der von Mutterseite ererbten Bronzehaut. Seine edel geschnittene Nase zeugte von Kühnheit, seine leicht geschwungenen Lippen von Gedankentiefe.

      Mitten in seinen Papieren auf dem Tisch lag eine Fotografie, die er wohl unbeabsichtigt mitsamt dem Stapel aus der Mappe gezogen hatte.

      „Darf ich mal?“, fragte Kathrin und zeigte auf die Fotografie.

      Klaus nickte und schob sie ihr, ohne aufzusehen, zu.

      Kathrin nahm das Bild schaute es sich interessiert an. Es zeigte ein aus unverputzten, roh behauenen, zum Teil bemoosten Steinquadern aufgemauertes Schloss. Das alte Gebäude war nicht übermässig gross; es gliederte sich in einen kompakten Wohnteil und einen angebauten Rundturm mit Schiessscharten und einem Zinnenkranz. Hohe, alte Bäume umgaben das Schloss und schienen teilweise mit ihm verwachsen zu sein; rundum lief ein breiter, grün schimmernder Wassergürtel. Eine steinerne Bogenbrücke führte zum Eingangsportal. Sie spiegelte sich im Wasser; der Bogen und sein Ebenbild fügten sich zu einem exakten Kreis. Das Schloss, die Bäume und der Wassergraben bildeten eine malerische und geheimnisvolle Einheit.

      „Ist das hier euer Schloss, von dem sich die Leute erzählen?“, fragte Kathrin und hätte sich, kaum war es ihr herausgerutscht, am liebsten auf die Zunge gebissen. Sie wollte nicht neugierig scheinen.

      Klaus sah auf und lächelte. „So, reden die Leute über unsere Familie? Na, hoffentlich zerreissen sie sich dabei nicht allzu sehr die Mäuler. Wegen mir lohnt es sich nicht.“ Er deutete auf die Fotografie. „Ja, das ist das Schloss. Mein Schloss. Mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben; die Mutter starb vor lauter Kummer drei Wochen später ebenfalls. Ich habe das Schloss geerbt.“

      „Das Schloss gehört dir? Hallo, ihr Leute, mein Kollege ist Schlossbesitzer!“ Kathrin war ganz aufgeregt.

      Klaus winkte ab. „So toll ist das nun auch wieder nicht. Das Gebäude ist nicht mehr in gutem Zustand. Es zu renovieren, würde viel Geld kosten. Jedenfalls mehr, als ich habe. Obwohl ich mich eigentlich nicht Klaus Helmstedt, sondern Klaus Freiherr von Helmstedt schreibe. Weil ich einem alten deutschen Adelsgeschlecht entstamme. Aber Adel bedeutet nicht immer Geld. Meine Eltern haben zwar ein stattliches Sümmchen hinterlassen, aber es ist zum grössten Teil an meine Schwester gegangen. Das ist ja auch ganz in meinem Sinn, denn ich wollte finanziell schon immer auf eigenen Beinen stehen. Geld bedeutet mir wenig. Wenn ich so viel habe, dass ich einigermassen davon leben kann, bin ich ganz zufrieden.“

      Kathrin fand das alles höchst spannend. „Du hast einen Freiherrentitel? Fantastisch! Ich bin noch nie einem Freiherrn begegnet. Adel gibt’s bei uns Eidgenossen schon lange keinen mehr.“

      „Ja, ich weiss. Ich bin hier in der Schweiz geboren, deshalb habe ich das ‘von’ aus meinem Namen gestrichen. Man legt hier ja nicht besonders Wert auf sowas.“

      „Täusch dich nicht. Adel erregt auch hier heimliche Bewunderung. Und erst ein Freiherr mit Schloss!“

      Klaus lächelte abermals. „Ja, das Schloss. Es steht in Norddeutschland zwischen zwei kleinen Bauerndörfern. Ich kenne es nur von dieser Fotografie; ich war als Kind nie dort, auch später nicht.“

      „Ja hat man schon so etwas gehört? Da besitzt einer ein Schloss und hat es noch nie gesehen! Das musst du aber unbedingt nachholen!“

      „Das werde ich in der Tat, und zwar am kommenden Wochenende. Am Freitagabend verreise ich. Jetzt muss es endlich einmal sein, ich habe es mir bereits seit Längerem fest vorgenommen.“

      „Freust du dich?“

      „Doch doch, ich finde es ganz anregend. Wer weiss, vielleicht hat’s dort Schwerter, Lanzen und alte Ritterrüstungen.“

      „Und alte Gemälde an den Wänden, eine ganze Ahnengalerie.“

      „Ein Verlies mit einem angeketteten Skelett.“

      „Ein Burggespenst – huu, huu!“

      „Einen Geheimgang, den ich um Mitternacht entdecken werde. Und natürlich einen Goldschatz in einer unterirdischen Kammer.“

      Klaus steckte die Fotografie wieder ein.

      „Am Montag musst du mir unbedingt von deinem Schloss erzählen“, sagte Kathrin. Am liebsten wäre sie mitgereist.

      „Das werde ich“,