Hans-Joachim Koehl

Sehnsucht nach Zärtlichkeit


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Weiber hier habe ich behalten, sie gefielen mir noch am besten und ich habe sie für euch mitgebracht. Heute Abend am Feuer erzähle ich euch noch ein einmaliges Ereignis.“Das sagte er nicht ohne Stolz in seiner Stimme.

      Haleb war zwar verschlossen und in seinem Zorn unberechenbar, aber nie geizig. Habgier war ihm fremd. Wenn er etwas erworben hatte, konnte er es auch teilen. Er verstand es, die Menschen an sich zu binden. Was er wollte war Macht. In diesem Punkt war mit ihm nicht zu spaßen. Ihm zu widersprechen konnte gefährlich werden.

      Als Haleb seine erste Reise machte, hatte er keine Mühe Männer zu finden, die zum Oberlauf mitfuhren, obwohl es eine gefährliche Reise war. Bei seinen vielen Jagden hatte er eine Rotte Männer um sich geschart. Es waren raue, gefürchtete Kämpfer und es hatte sich an den Feuern herumgesprochen, dass mit Kannats Söhnen und seinen Männern nicht zu spaßen war, dadurch waren unser Land und unsere kleine Stadt von größeren Überfällen verschont geblieben.

      „Oh, Bruderherz, vielen Dank! Im Namen aller Freuden bedanken wir uns!“ Betschep und Sinks verneigten sich lachend. Jeder von ihnen hatte schon einige Frauen. Doch Arbeit gab es genug und ihre Frauen würden sich freuen, Hilfe zu bekommen und Neues von anderen Sippen und Gebieten zu erfahren.

      „Vater! Mach du den Anfang, such dir zwei aus!“, meinte Haleb.

      „Das werde ich schön bleiben lassen. Wer weiß, was unter dem Dreck hervorkommt. Lasst uns das später zu Hause entscheiden, nachdem sie gereinigt sind.“

      Die Männer lachten, sie verstanden sehr gut.

      Meine Kräfte waren inzwischen zurückgekehrt, trotzdem ließ ich mich auf dem Rückweg tragen.

      Inzwischen war es warm geworden. Der Fluss brachte keine Kühlung und der leichte Wind war, wie jeden Mittag, eingeschlafen. Die Luft flimmerte ein paar Ellen über dem Boden. Wegen der Wolken und dem Dunst, der die Erde umgab, erreichten direkte Sonnenstrahlen die Erde nicht, und so war es trotz der Wärme angenehm. Das grob gewebte Tuch, das als Baldachin vor unserem Haus und dem Brunnen gespannt war, gab ein angenehmes Zwielicht.

      Normalerweise gab es zu den Mahlzeiten immer gekochten Getreidebrei. Doch heute war Haleb zurück, ein Grund für ein Festmahl. Wir saßen auf Matten um einige Holzteller, auf denen gekochtes Fleisch, Gemüse und dünne Brote lagen. In groben Tonschüsseln gab es eine fette Brühe, die mit Holzlöffeln oder direkt aus den Schüsseln getrunken wurde. Die Frauen und Kinder hatten ihren eigenen Kreis. Wer von den Kleinsten schon laufen konnte, ging dorthin, wo es ihm am besten gefiel, beziehungsweise wo es am meisten zu essen gab.

      Die Söhne waren bei ihren Müttern und die Töchter ließen sich gern von den Vätern mit ein paar Leckereien verwöhnen. Ab dem zwölften Lebensjahr schlug diese Sitte ins Gegenteil um. Die Söhne wollten schon bei den Männern essen und die Mütter verboten ihren Töchtern bei den Männern zu sitzen.

      Wir aßen in Frieden, gesprochen wurde kaum. Es wurde nicht hastig gegessen, aber doch stetig, denn die Schüsseln waren immer schnell leer.

      Ich mochte es, wenn alle zusammen waren, es gab eine Stimmung des Vertrauens, der Sicherheit und Geborgenheit und der Zusammengehörigkeit.

      Haleb wandte sich zu mir: „Vater, ich muss dir noch etwas Merkwürdiges berichten.„Eigentlich hatte ich vor, diesem Noe das Holz zu stehlen. Er hat jede Menge ausgezeichnetes, hartes Bauholz für seinen Kasten gesammelt. Schöne, bearbeitete Stämme, gesägte Bretter und Balken, die wir hier gut gebrauchen könnten. Es ist nur eine kleine Sippe, also kein Problem für uns. Es wäre ein Leichtes, die Männer zu überwältigen.

      Wir wollten von einer Seite kommen, so dass sie zur anderen hätten fliehen können. Gut bewaffnet wie immer zogen wir los. Als wir in Sichtweite waren, überfiel mich und alle anderen plötzlich ein innerer Friede, eine Zärtlichkeit, Liebe zum Guten und Sanftmut … wir glaubten es nicht, schauten uns an und von innen heraus hatten wir das Gefühl, wir sollten unseren Plan nicht zu Ende führen. Irgendwie waren wir wie gelähmt. Uns fehlte jeder Mut und Kampfeswille. Wie geprügelte Hunde gingen wir zurück zum Schiff. Kein Wort fiel mehr, wir waren wie verzaubert. Am nächsten Morgen saß uns der Schreck vor unserer eigenen Güte noch in den Gliedern, immer noch stumm, legten wir ab.“

      „Haleb“, sagte ich, „Noe und seine Söhne stehen unter dem Schutz des Höchsten, Cherubime bewachen sie. Auch der Garten Eden wurde von den Engeln so bewacht. Gut, dass ihr auf eure Gefühle hörtet und du nicht weiter gegangen bist. Ihr hättet es nicht überlebt. Durch das, was du erlebtest, wird auch bei uns eine Veränderung eintreten.“

      Nachdenklich sah er mich an. Dann sprach er leise, denn es war nur für mich bestimmt:„Das ist noch nicht alles. Stell dir vor, auf dem Rückweg entdeckten wir ein großes befestigtes Lager, aus dem wir die Weiber entführten und gegen die Männer kämpften! Plötzlich ertönte eine helle, laute Stimme: „Im Namen des Höchsten, im Namen Jahs, hört auf mit dem Blutvergießen!“Wir hielten einen kurzen Moment inne. Wir wollten wissen, wo die Stimme her kam, da stand am Rande des Kampfplatzes ein älterer Mann. Er trug einen hellen Umhang, sein Haar war wie weiße Wolle, Waffen waren an ihm keine zu sehen; Aufhören im Namen des Höchsten! Im Namen Jahs, hört auf!“, rief er.

      „Wer hat dich über uns als Richter eingesetzt?”, fragte einer meiner Männer. Der Kampf kam völlig zum Erliegen. Alle blieben wir, ob Freund ob Feind, stehen, wo wir gerade standen. Da fing der Alte wieder an: „Jah wird euch alle, die ihr voller Gewalt seid, strafen. Vor allem die Nefihlim wird er vernichten.“

      Dabei schaute er mich an und kam zwischen uns allen, direkt auf mich zu. Ich dachte: Mut hast du, aber dir fehlt es an Klugheit. Dann sprach er mich direkt an: „Dein Vater war eine Lichtgestalt. Einer der Gottessöhne. Als die Wächter über die Erde eingesetzt wurden, damit nichts Ungerechtes ungesühnt blieb, wurden viele Wächter dem Höchsten untreu. Sie sind alle verloren. Lasst den Rest hier am Leben.“

      Meine Männer lachten: „Mal sehen, ob du nicht andere Töne schreist, wenn du auf unseren Spießen steckst!“

      Drei oder vier näherten sich ihm. Ich wusste, sie wollten sich einen Spaß mit dem Alten machen, bevor sie ihn töteten.

      Ein paar Schmerzen würde er noch aushalten müssen.

      Der erste Spieß berührte schon fast das Kleid des Mannes, als er, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, nach oben über den Boden schwebte und vor uns verschwand.

      Er löste sich einfach in Luft auf. Wir waren sprachlos. Wir suchten ihn rundum. Verschwunden, einfach weg wie Zauberei … was weiß ich?

      Jedenfalls verdankt der Rest der Sippe ihm sein Leben, denn die Lust zu kämpfen und zu töten war uns vergangen.

      „Hast du seinen Namen gehört?“, fragte ich.

      „Die Männer aus der Sippe sagten mir, er hieße Enoch oder so ähnlich.“

      Die Geschichte machte mich noch nachdenklicher als ich schon war und nach dem Essen sprach ich zu allen: „Heute in sieben Tagen will ich unsere komplette Sippe hier sehen. Wir wollen für Haleb ein Fest feiern. Es sollen die Gekauften wie die Freien kommen. Alle, die in irgendeiner Weise zur Sippe gehören. Es wird eine besondere Feier; eine Feier der Freude, der Trennung und Entscheidung wird es sein, für uns alle. Wir werden zur Dämmerung beginnen, einige Hammel schlachten und gegorenes, berauschendes Gebräu trinken. Es wird ein Fest des neuen Anfangs werden, aber auch des Abschieds!“

      Besonders die Frauen schauten mich fragend an. Doch sie waren es gewöhnt das zu tun, was ihnen gesagt wurde. Sie erfuhren sowieso alles … nachts, auf dem Lager. Sie hatten gelernt ihre Neugierde zu zügeln und bis dahin zu warten, unsere Schwachstellen zu finden und dort anzusetzen. So konnten sie all unsere Geheimnisse in Erfahrung zu bringen. Dieser Zärtlichkeit, Klugheit, Ausdauer und Neugierde war nur gespielte Gleichgültigkeit oder männliche Härte entgegenzusetzen.

      Wir hatten gegessen und lehnten uns zurück. Noch war kein Platz für die Wahrheit, aber genug für eine tröstende Lüge.

      „So,