Lars von Hasseldorf

Nakam


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befriedigte, während er seine große schwere Hand zwischen ihren unschuldigen Beinen hatte und sich dann über sie ergoss.

      Beatrix übergab sich auf den Teppich. Es roch nach Magensaft. Wie mechanisch nahm sie die Kassette aus der Kamera, legte sie zurück in die Hülle und steckte diese in ihre enge Jeans.

      Das Urteil war eindeutig. Acht Jahre Haft ohne Bewährung. Ihr Anwalt hatte Sicherungsverwahrung beantragt, weil er schon vorher sexuell auffällig gewesen war, was man ihm niemals hatte nachweisen können. Jeglicher Liebreiz war aus seinem Gesicht gewichen. Sein Charme, dem sie so einfach erlegen war, hatte sich in eine hässliche Fratze verwandelt. Ein ums andere Mal schien er sie auszulachen. Provokativ, kaltherzig, ein anderer Mensch.

      Seine Schlussworte, die ihm per Gesetz zustanden, wählte er mit Bedacht: „Ich komme hier wieder raus und dann werde ich dich finden. Denke jeden Tag daran, mein Schatz.“

      Der Richter unterbrach ihn und das Urteil wurde in seiner Abwesenheit gesprochen. Acht Jahre ohne Bewährung.

      Sie sprang aus dem Auto und rannte auf Larissa zu. Durch die Olivenhaine gab es eine Abkürzung zum Nachbarhof. Sie nahm ihre Tochter fest an die Hand und rannte los.

      „Mami, du tust mir weh. Meine Tasche!“

      Sie zerrte Larissa weiter und schaute sich um. Ein Schatten zuerst, dann eine klar auszumachende Gestalt war vielleicht 100 Meter hinter ihnen. Sie konnte den Hof sehen. Es brannte kein Licht. Noch 200, vielleicht 300 Meter, dann würden sie den Hof erreichen.

      Da fiel es ihr ein. Was hatten Michele und Angela gesagt, als sie vorgestern auf ein Glas da waren? Sie würden am Freitag für zwei Tage nach Rom fahren, um ihre Tochter zu treffen, die dort ein Auslandssemester machte.

      Panisch und nassgeschwitzt erreichten sie den Haupteingang. Die Tür war verschlossen. Angela hatte mal irgendwas von einem Schlüssel gesagt. Denk nach! Mit mehr als einem Anflug von Panik schaute Beatrix unter den Blumenkästen, die Angela immer so liebevoll mit frischen Kräutern bepflanzte. Nichts, außer modriger Erde und aufgescheuchten kleinen Insekten, die aufgeregt auseinanderstoben. Pietra lavorata, hatte Angela gesagt. Sie kannte das Wort nicht, hatte aber so getan als ob und wollte es später nachschlagen. Sie hatte es nicht getan.

      „Vielleicht hier, Mami“, sagte Larissa und streckte sich, um auf der Fensterbank neben der Haustür einen mittelgroßen Stein anzuheben.

      Beatrix half und fand den Schlüssel. Ihre Hände zitterten, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte. Sie achtete darauf, dass Larissa nah bei ihr war. Sie spürte, wie sie zitterte. In der Ferne hörte sie Motorengeräusche. Sie schaute sich um. Niemand. Die Wolken hatten dem Mond wieder ein wenig Platz eingeräumt. Pechschwarz war es trotzdem. Sie konnte Licht in ihrem Haus erkennen. Hatte sie das Licht angelassen? Die Tür sprang auf. Sie zog Larissa herein, drehte den Schlüssel zweimal im Schloss und fand den Stein noch in ihrer Hand. Sie wollte kein Licht machen.

      „Mami, was machen wir hier?“

      „Es ist alles gut“, antwortete sie. „Ich passe auf dich auf!“ Beatrix wusste, dass sie log, und Larissa schien es auch zu spüren. „Der Hintereingang“, schoss es ihr in den Kopf, als sie ein lautes Krachen hörte. Ein schweres Stemmeisen hatte die hintere Tür aufgeknackt. „Nach oben!“, zischte sie. Sie packte ihre Tochter an der rechten Schulter und schob sie die Treppe in den ersten Stock hinauf.

      Schwere Stiefel waren auf den alten Holzdielen zu hören. Sie bewegten sich jetzt schneller auf sie zu. Larissa stolperte vor ihr und weinte jetzt stark.

      Eine starke Hand griff Beatrix an der linken Fessel. Sie fiel auf der Treppe hin, drehte sich im harten Griff des Mannes, schrie Larissa an: „Nach oben, lauf!“

      Sie trat ihm vor die Brust. Er stolperte zurück, verlor nur beinahe das Gleichgewicht und setzte wieder an, sie die Treppe herunterzuziehen. Sie hatte immer noch den Stein in der Hand und schleuderte ihn auf dem Rücken liegend ihrem Angreifer entgegen. Sie hörte das dumpfe Geräusch, das entsteht, wenn etwas Festes mit großer Wucht auf menschliches Gewebe trifft. Das Stöhnen des Mannes verriet ihr, dass sie getroffen hatte.

      „Du verdammtes Miststück!“, waren seine ersten Worte. Die ersten Worte nach acht Jahren. Andreas.

      Ohne ihn sehen zu können, hatte sie sein hassverzerrtes Gesicht aus dem Gerichtssaal vor Augen. Es gab keinen Zweifel. Sie fand schnell wieder auf die Beine. Ihre Augen hatten sich jetzt an die Dunkelheit gewöhnt und sie sah, wie jemand am Treppenabsatz kniete, sich den Kopf hielt und dann zu ihr hochsah. Trafen sich ihre Augen? Fast schien es so. Der Stein hatte ihn nicht außer Gefecht gesetzt. Aber er war jetzt angeschlagen. Es erschien ihr nicht als Vorteil. Sie musste an ein verletztes Tier denken, das sich blutend weiterschleppte, um die Beute zu erlegen. Wo war Larissa? Sie nahm die letzten Stufen der Treppe und hörte, wie er bereits wieder hinter ihr war. Er stand jetzt am oberen Treppenabsatz, vielleicht vier Meter von ihr entfernt. Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit und schlug dem Mann von hinten eine Nachttischlampe auf den Rücken. Larissa.

      „Lass uns in Ruhe!“, schrie sie.

      Der Angriff überraschte Andreas, doch die Lampe verfehlte eine nachhaltige Wirkung. Er packte Larissa an ihrem langen braunen, mädchenhaften Haar und schleuderte sie in die Ecke, wie einen jungen Hund. Larissa war stumm vor Entsetzen und benommen vom Schmerz.

      Was anfangs so perfekt schien, hatte irgendwann Risse bekommen. Sie wusste gar nicht genau, wann. Sie wollte es wahrscheinlich auch nicht wahrhaben. Immer häufiger wurde er eifersüchtig. Wenn sie mit den Arbeitskollegen wegblieb, einfach etwas trinken war. 28 verpasste Anrufe in drei Stunden sprachen eine deutliche Sprache. Die Auseinandersetzungen wurden heftiger. Immer öfter wurde das Kind davon wach. Und aus dem Ruppigen, das sie am Anfang als irgendwie wild und neu empfunden hatte, wurde jetzt Wutsex. Sex als Bestrafung. Sex als Ausübung von Macht. Immer öfter hielt sie den Atem an. Von Lust und Befriedigung keine Spur mehr. Sie ergab sich. Sie traute sich nicht, gegen diesen schweren Mann aufzustehen. Immer öfter roch er stark nach Alkohol. Was passierte den ganzen Tag, wenn sie bei der Arbeit war? Und er Larissa aus der Kita holte? Hatte sie sich nicht verändert? Das fröhliche Kind war immer verschlossener geworden, fast verängstigt. Sie selbst schlief mittlerweile auf dem Sofa und da sie sich nicht mehr im Intimbereich rasierte, war er so angeekelt, dass er sie meist in Ruhe ließ.

      Es gab auch zärtliche, liebevolle Momente, die sie wieder zweifeln und alle guten Ratschläge ihrer Freunde in den Wind schießen ließen. Sie schob es auf den Alkohol. Der verdammte Alkohol. Wie bei ihrem Vater. Wie bei ihrem verdammten Vater. Doch daran wollte sie nicht denken.

      Er machte drei schnelle Sätze auf sie zu, bevor dann ohne ein weiteres Wort seine Faust krachend in ihrem Gesicht einschlug. Sie knallte hart auf den Boden. Ihre Arme und Beine versagten. Nichts half ihr, den Sturz abzubremsen. Sie war ohnmächtig.

      Als sie wieder zu sich kam, schmeckte sie Blut. Ihre rechte Gesichtshälfte war geschwollen. Sie saß am Tisch. Die Deckenleute brannte. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt, Plastik schnitt in ihre Handgelenke. Kabelbinder. Er saß ihr gegenüber. Der Stein hatte ihn an der rechten Schläfe etwas oberhalb des Auges getroffen. Er hatte stark geblutet. Sie konnte das getrocknete But an seinem Hemd sehen. Wo war Larissa? Sie schaute sich um. Er lächelte sie an. Es war das Lächeln, das sie so sehr an ihm gemocht hatte. Es war das Lächeln des anderen Andreas. Jetzt erschien es ihr nur abstoßend. Wie eine leere Fratze. Sie wollte hart und mutig erscheinen und wunderte sich selbst darüber, dass sie Kraft dafür hatte. „Etwas tiefer und es wäre das Auge gewesen, dein verdammtes Auge.“

      Er blieb ruhig. Hatte sich gesammelt. Die Provokation verfehlt ihr Ziel. „Wie geht es dir, meine Süße? Ist lange her.“ Er machte eine Pause und lächelte süffisant. „Glaub mir, es gab nicht einen Tag, an dem ich nicht an dich gedacht habe.“

      „Wo ist Larissa?“, fuhr sie ihn an. „Du widerliches Arschloch“

      „Das steht dir nicht. Das bist du nicht, Beatrix, mit dieser Vulgärsprache“, antwortete er. „Warum nur musstest du alles kaputt machen? Wir waren doch glücklich?!“ Er klang jetzt fast weinerlich. „Musstest du in meinen Sachen herumschnüffeln?“

      „Glücklich?“,