Veronika Beci

Möwe und Pflaumenbaum


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Aufatmen. Türe verriegeln. Aufatmen.

      Zyklopen haben Zyklopenangst.

      Etwas Merkwürdiges ist daran, wenn man nach langen Wochen nach Hause kommt. Alles ist bekannt und doch fremd. Jemand hat offenbar gelüftet. Arne. Überall weißer Staub. Wollmäuse neben den Stuhlbeinen. Eine dünne Spinne huscht auf und vorbei. Jemand hat alle meine Blumen auf den Balkon gestellt und regelmäßig gegossen. Ich stelle die Töpfe zurück. Den Kaktus auf meinen Schreibtisch. Die Stifte liegen hier, wie ich sie immer hinlege. Meine Post liegt da, aufgestapelt.

      In der Küche. Der Kaffee in der Dose duftet längst nicht mehr. Der Kühlschrank ist leer. Arne hat anscheinend noch nicht eingekauft. Ich finde in einem Schrank noch ein paar Blätter Minze und brühe mir Tee auf. Während ich ihn schlürfe sehe ich aus dem Fenster den fallenden Blättern zu. Sie verschleiern den Pflaumenbaum hinterm Haus gelbgolden.

      Es ist erst früher Nachmittag, aber ich fühle mich so zerschlagen, dass ich zu Bett gehe. Ich wäre so gern im Schlaf geborgen, aber ich schlafe nicht, Ich sehe die Nacht kommen und gehen. Ich sehe den Tag kommen.

      Wundervoll. Vor dem Schlafzimmerfenster stehen Bäume mit Kronen aus gelber Wolle.

      Es ist Morgen.

      *

      Großmutters altmodisch verwunschener Garten. Am Gartenzaun standen einige Grundschulkinder und lachten spöttisch hinauf.

      *

      „Joke, Kaffee?“ Arne steckt den Kopf zur Türe herein. Mich durchflutet ein Gefühl von Erleichterung. Es ist wie jeden Morgen. Ich arbeite mit Sonnenaufgang. Arne steht später auf, bereitet das Frühstück, bringt mir eine Tasse Kaffee, küsst mich sanft. „Wie geht es dir, Liebling?“ „Habe ich geschlafen“, frage ich ihn, als er mir die heiße Tasse vorsichtig zwischen die vollgeschriebenen Papiere stellt. Er nickt. „Und nun schreibst du wieder.“ „Seit wann bist du wieder da? Was war so wichtig?“ „Ich war doch auf dem Boot mit Mynher Kounis. Wir haben das Geschäft unter Dach und Fach gebracht. Gleich als man mich informiert hat, bin ich zurückgekommen, aber du warst schon entlassen. „Du hast mich doch selbst nach Hause gebracht, gestern.“ Er schaut mich verwundert an. „Liebling, als ich gestern Abend nah Hause gekommen bin, hast du schon geschlafen. Ich ließ dich schlafen. Du musst dich wieder erholen.“ Sein Blick wird besorgter. „Es geht dir doch besser?“ Ich versuche zu lächeln. „Natürlich, Schatz. Ich will gleich wieder an die Arbeit. Claudia hat mir schon im Krankenhaus die Hölle heiß gemacht. Sie ist völlig aufgeregt.“ „Dein Erfolg ist wunderbar. Wir haben lange darauf gewartet. Wenn du arbeiten willst, dann kann ich auf einige Stunden ins Büro?“ „Natürlich. Du musst nicht hier neben mir sitzen und meine Hand halten.“ „Gut. Ich versuche, früher wieder hier zu sein.“ Ein sanfter Kuss. Kaum berühren seine Lippen meine Stirn. Die Tür schlägt zu. Ich bleibe am Schreibtisch zurück. Die Stunden verrinnen. Ich schreibe. Oder schreibe ich nicht? Ich denke vielleicht nur, dass ich schreibe.

      Der Blutstropfen auf dem grauen Boden.

      Ich muss eingeschlafen sein. Als ich wieder zu mir komme, ist der Kaffee kalt. Vor mir liegt mein Notizbuch. Fetzen verschiedener Texte darin.

      *

      Es klingelt Sturm an der Tür. Ich gehe schwankend hin und öffne. Claudia. „Hallo, Liebes“, grüßt sie, umgibt mich mit ihrem Duft, küsst mich. Sie nimmt mich bei den Schultern, hält mich auf Abstand, mustert mich. „Mein Gott! Du siehst Scheiße aus. Und, entschuldige, du stinkst.“ Sie übernimmt das Kommando, zerrt mich ins Badezimmer. Sie lässt mir ein Bad ein. „Du nimmst jetzt ein Bad, dann fühlst du dich gleich besser und bist wieder ein vollständiger Mensch. Ich richte dir inzwischen was zu Essen her.“ Sie ist schon in der Küche, während ich mir mechanisch mein Hemd abstreife. Ich höre, wie sie in der Küche rumort. Schränke öffnet und zuklappt.

      „Ist dein Mann denn noch nicht zurück? Kümmert sich keiner um dich? Soll ich noch einmal versuchen, ihn zu erreichen“, ruft sie fragend aus der Küche. „Er ist gestern zurückgekommen. Musste wieder zur Arbeit!“ Ich drehe den Hahn zu und steige ins warme Wasser. Welche Wohltat! Ich will die Augen schließen. Da steht Claudia im Türrahmen. In der Hand ein Glas. „Genever – ihr habt einen merkwürdigen Geschmack.“ Sie ist so schön! Als sie mir das Glas reicht, kann ich in ihrem Ausschnitt ihre runden gebräunten Brüste sehen. Claudias Körper ist nahtlos braun.

      „Und er lässt dich hier allein?“ „Er ist nur ein paar Stunden weg und ich wollte schreiben.“ Sie schaut mich lange ernst an, während ich, meinen mageren Leib vor ihr unter dem Badeschaum versteckend, an dem Genever nippe. „Gut, wenn du schreibst. Es bringt dich auf andere Gedanken und alles schreit bereits nach einer Fortsetzung deines Buchs. - Ich mache dir übrigens Bratkartoffeln und eine Erbsenkonserve. Das ist alles, was ich in deiner Küche gefunden habe“, ruft sie mir zu, und ist bereits wieder dorthin verschwunden.

      Als ich etwas später in die Küche komme, sauber, wohlriechend und in einen Frotteebademantel gehüllt, rückt sie mir fürsorglich einen Stuhl am Küchentisch zurecht. Sie stellt das Essen vor mich hin und küsst mir dabei flüchtig aufs nasse Haar. „Danke für deine Hilfe“, sage ich: „Arne wird gewiss heute Nachtmittag einkaufen gehen.“ Als ob sie das etwas anginge. Aber sie hat mit meinem Roman anscheinend auch das Recht gekauft, für mich zu sorgen. „Soll ich morgen wiederkommen?“ „Lieb von dir, aber nicht nötig. Ich möchte mich wirklich ernsthaft an die Arbeit machen. Da brauche ich Ruhe. Du kennst mich.“ „Ich weiß“, sagt sie. Sie denkt, ich merke nicht, dass sie mich besorgt von der Seite ansieht und auch etwas beleidigt darüber, dass ich ihre Fürsorge zurückstoße. Ich stochere in den Bratkartoffeln herum. „Gut, Joke. Ich sehe schon, Du bist in Gedanken schon an deinem Schreibtisch“, sagt sie und macht sich zum Aufbruch fertig. „Ich rufe dich an“, murmele ich. „Tschüs, Liebes“, ruft sie von draußen.

      Die Tür fällt hinter ihr ins Schloss.

      Ich spucke den letzten Bissen Bratkartoffeln auf den Küchenfußboden.

      Ich sitze am Schreibtisch. Ich schreibe. Ich schreibe, ungeachtet die Kaffeetasse voller Blut ist. Ich schreibe und tue die ganze Zeit, als sähe ich nicht, wie sie langsam mit Blut voll läuft. Ich warte auf Arne. Wenn er kommt, dann wird diese Erscheinung vergehen, da bin ich sicher.

      Meeuw. Wie banal. Tausend niederländische Boote heißen Meeuw. Es hat orange Segel. Ein kleines weißes Boot mit blauem Schriftzug und dem rotweiß leuchtenden Rettungsring.

      *

      „Liebling! Liebling, wo bist du?“

      Ich fahre erschrocken hoch. Ich muss eingeschlafen sein.

      Arne. Arne sucht mich!

      Ich stehe auf. „Hier bin ich, Schatz!“ Mir ist schwindlig. Mein Blick springt zur Kaffeetasse. Bis auf ein wenig Kaffee ist sie leer. Die Tür öffnet sich. Arne ist im Nu bei mir, ehe ich ohnmächtig hinfalle. „Setz' dich aufs Sofa“, sagt er liebevoll. Er drückt mir ein Kissen in den Rücken. „Wie fühlst du dich?“ „Besser“, versuche ich lächelnd zu sagen. „Ich war wohl so tief drin in meiner Geschichte.“ Er wird ernst: „Du schreibst hoffentlich nicht wieder eines deiner Kunstbücher, die nichts einbringen.“ Er sagt 'Kunstbücher' mit einem Ekel in der Stimme, als sähe er Nacktschnecken an Hundescheiße fressen.

      Die Mühe um jedes Wort. All die Jahre, in denen ich um die richtigen Worte gerungen habe. Für Arne sind sie wertlos.

      Ich tauge nichts. Er zieht ein Gesicht wie damals, als ich im Garten hinter Großmutter Haus unter dem Pflaumenbaum saß und schrieb. Wir hatten das Haus gerade übernommen. Es gab so viel zu tun. „Und Madame sitzt hier stillvergnügt und schreibt. - Bist du wieder kreativ“, fragt er mit widerlich spitzem Unterton, so dass ich mich bezähmen muss, ihm nicht mit voller Wucht in sein glattes Gesicht zu schlagen. „Ja, kreativ - weißt du, das ist eine Sache, von der du nichts verstehst“,